„Die größte Herausforderung ist die Hygiene“, sagt Sylvia Gabel, die schon im vorigen Jahr täglich für die dzw auf Facebook über ihren Hilfseinsatz mit NamCare e.V. in Sesfontain (Namibia) berichtete. Mit ihren Posts hatte sie uns schon einen sehr lebendigen Einblick verschafft und ein gewaltiges Echo der Community erzeugt, aber wir wollten es noch genauer wissen. Darum besuchte Silvia Gabel uns in der Redaktion in Bonn, und wir erlebten mit ihr einen spannenden Nachmittag, bei dem sich Mitgefühl und Lachen abwechselten und an dem wir einiges mehr über ihren Einsatz erfahren haben. Vom 7. bis 29. April 2019 hilft sie wieder in Sesfontain und postet für uns – vielen Dank schon einmal dafür! Nachstehend einige Erinnerungen von ihrem vorigen Aufenthalt."
Das besondere Erlebnis
„Die Behandlung meines ,Häuptlings gespaltene Zunge‘, der sich seine Verletzung beim Fußballspielen zugezogen hatte, war schon beeindruckend. In diesem Krankenhaus gibt es keine Ärzte; es gibt nur eine Nurse, die sogar Kaiserschnitte macht, und einen Apotheker, der alle mit ,Painkillern‘ versorgt. Und dann gab es noch uns. Als der Junge mit der gespaltenen Zunge angeliefert wurde, konnten weder die Nurse noch der Apotheker helfen; darum kam der Junge zu uns herüber. Während der Behandlung wurden wir von allen Anwesenden sehr genau beobachtet. Dass unser Chirurg helfen konnte, war etwas ganz Besonderes – von diesem Moment an hatten wir ein ganz anderes Standing bei der Bevölkerung. Wir haben daraufhin überlegt, ob wir beim nächsten Einsatz mehr Kolleginnen mitnehmen sollten. Diese müssten aber zumindest zwei Voraussetzungen erfüllen: Sie dürfen einen solchen Einsatz nicht als Ausflug sehen, denn die Arbeit ist körperlich anstrengend. Ich dachte zum Beispiel am dritten Tag, dass sich mein Rücken ,verabschiedet‘ – ich musste mich ja ständig über die Patienten beugen, die auf einem kleinen Stuhl saßen. Daraufhin bekam ich einen Stuhl aus der Lodge, damit ich eine ,ergonomische‘ Haltung einnehmen konnte. Zweitens muss man wissen, wie man früher ,saubergemacht‘ hat, denn in Sesfontain gibt es keinen Desinfektor; da kommt Miele auch nicht zur Wartung vorbei. Und es gibt auch keinen Sterilisator, sondern wir sterilisieren mit einem Dampftopf, ähnlich einem Schnellkochtopf.“
Kommunikation mit den Patienten
„Wir haben eine junge Frau, die bei uns geputzt hat, nach einigen Tagen gebeten, dass sie für uns übersetzt; sie hat den Kindern dann erklärt, was während der Behandlung passiert. Das war uns eine große Hilfe, denn die Kinder lernen erst ab der 7. Klasse Englisch. Aber es ging auch viel über die Augen und mit Händchenhalten. Dazu muss man aber auch sagen, dass die Menschen hier eine wahnsinnige Schmerzgrenze besitzen. Unsere Patienten waren selbst in Situationen noch entspannt, in denen in Deutschland jeder längst weggelaufen wäre. Missverständnisse gab es kaum. Allerdings haben einige Kinder an meiner Haut gerieben, weil sie dachten, meine Haut wäre weiß gefärbt. Wir waren ja ganz oben im Norden, dort gibt es keinen Tourismus, und die Kinder kennen keine weiße Haut.“
Die häufigsten Behandlungen
„Wir hatten es hauptsächlich mit Karies und zerstörten Zähnen zu tun. Meisten waren die 7er und 8er zerstört, und diese wiederum meistens bei den Frauen. Als ich sie nach ihrem Trinkgewohnheiten gefragt habe, kam heraus, dass sie Cola und Energydrinks bevorzugen. Diese Getränke führen dazu, dass die Zähne ganz brüchig werden. Parodontitis – das kommt irgendwann später. Wir hatten ja den Zahnarzt unserer Fußballnationalelf mit, der sehr gerne Prophylaxe betrieben und gesunde Ernährung vermittelt hätte. Mit ihm bin ich dann zum „Supermarkt“ gefahren, um ihm zu zeigen, dass es hier weder Obst und Gemüse noch Mundhygieneartikel zu kaufen gibt – für die Hygiene gab es ein bisschen Kernseife, das war alles. Aber es gab eine ganze Reihe verschiedener Kekse und drei große Gläser mit Süßkram. Außerdem zwei Kühlschränke voll mit überwiegend süßen Getränken. Zum Glück hat die Schule jetzt eine Art Schulgarten, um den Kindern den Gemüseanbau zu vermitteln. Auch einige Bewohner haben mittlerweile ein bisschen Garten um ihr ,Häuschen‘. Trotzdem ist Maisbrei die Hauptnahrung, den gibt es morgens, mittags und abends."
Die größte Herausforderung
„Ganz eindeutig war die Hygiene die größte Herausforderung; aber mit Improvisation lässt sich auch in Namibia die Hygienekette einhalten. Aber man muss sich klarmachen: Hier geht es ums Helfen und nicht darum, mit einer besonders schönen Versorgung einen Preis zu gewinnen. Das geht eben unter diesen Umständen einfach nicht. Wir haben zum Beispiel normale Wannendesinfektion mit unserer mitgebrachten Instrumentenlösung betrieben, haben anschließend klar abgespült, abgetrocknet und dann ab in den Sterilisationsdrucktopf. Anschließend kamen die Instrumente auf einen großen Tisch mit chirurgischen Tüchern. Das musste reichen.“
Zu Besuch bei den Himbas
„Wir haben die Bevölkerung und die Schulkinder bei uns in der Klinik behandelt, sind aber zu den Himbas rausgefahren. Die Himbas sind ein Stamm, der noch ganz traditionell in einer eigenen Gemeinschaft lebt. Wenn es hier beispielsweise für die Schafe nichts mehr zu grasen gibt, zieht der Stamm weiter. Hier fiel mir auf, dass allen Bewohnern vier Frontzähne im Unterkiefer fehlten. Das hat mich natürlich neugierig gemacht. Auf Nachfrage habe ich erfahren: Im Alter von sechs oder sieben Jahren werden die Zähne herausgeschlagen (!). Dieser für uns brutale Brauch hat aber einen nachvollziehbaren Ursprung: Vor langer Zeit sind wohl viele Himbas an Tetanus erkrankt und konnten während des Krampfes nichts essen. Mit der Lücke im Unterkiefer konnten sie aber ernährt werden. Dieser Brauch hat sich bis heute gehalten.
Wir wurden gefragt, ob wir denn bereit seien, diese vier Zähne auch bei den Kindern zu ziehen. Wir haben uns im Team beraten, aber ich muss gestehen, da haben zwei Herzen in meiner Brust geschlagen. Einerseits würden wir den Kindern einiges an Schmerz ersparen, andererseits konnten wir uns aber nicht überwinden, die Zähne ohne Indikation zu ziehen.“
Keine Angst vor Ansteckung
„Oft werde ich gefragt, ob ich keine Angst habe, mich mit einer Krankheit anzustecken. Aber nein, das habe ich nicht, gerade weil ich weiß, dass dort fast jeder krank ist. Wir arbeiten mit Visier, tragen zwei Paar Handschuhe übereinander und einen Mundschutz. Uns ist klar, dass die meisten Menschen, die wir in Namibia behandeln, entweder Hepatitis, Aids oder eine TB haben – und genauso behandle ich auch das Instrumentarium.
Hier sind ,meine Ärzte‘ sehr achtsam: Zum Beispiel ist Recapping für uns kein Thema, es war für beide selbstverständlich, dass sie dies selbst machen. Unser Sammelbehälter ist übrigens ein Pappkarton, in dem – zumindest am Anfang – ein ganz normaler Abfallsack steckt. Hier hätte ich einiges für eine Plastiktüte gegeben, denn wir hatten für zwei Wochen nur zwei Säcke. Aber die stehen schon auf meiner Einkaufsliste für das nächste Jahr.
Die leeren Spritzen habe ich übrigens vor dem Einkaufsmarkt in zwei Öltonnen gefunden. Die werden an dieser Stelle angezündet – Ende. Die ersten Tage dachte ich, dass dort gegrillt wird, aber nein, das ist die Verbrennungsanlage. Dort ist das eben anders.“
Die Stimmung im Team
„Dr. Rainer Schwedt kannte ich ja schon, aber Zahnarzt Patrick Goedicke habe ich in Frankfurt am Flughafen zum ersten Mal getroffen. Er war mir von Anfang an sympathisch; es hat einfach gepasst. Die beiden wissen, dass ich weder die Anrede ,Sprechstundenhilfe‘ noch ,Helferin‘ mag, und ,Mädel‘ geht schon mal gar nicht. Aber morgens wurde schon rumgealbert: ,Rainer, brauchst du heute die Sprechstundenhilfe?‘ – ,Nein, die Helferin kannst du haben.‘ Oder: ,Mädel, kannst du mir ... mal holen?‘ – Wir hatten schon viel Spaß untereinander.“
Birgit Strunk
NamCare e.V.
„Schön wäre es, wenn viele dem Verein (www.namcare.de) beitreten würden", sagt Sylvia Gabel. "Ich denke, den Jahresbeitrag von 50 Euro jährlich könnten sich viele leisten. Von dem Geld kann dann einiges angeschafft werden.
Auch wenn die Temperaturen tagsüber weit über 20 Grad Celsius liegen – morgens und abends ist es kalt. Ich ziehe mir dann eine Jacke über, das reicht mir. Aber meine Patienten kommen auch dann tatsächlich mit Pudelmütze und Daunenjacke, und die Kinder sitzen mit Mützen und Wollhandschuhen in der Schule. Sehr gerne würde ich ja auch Winterkleidung mitbringen, aber dafür reicht unser Platz nicht aus. Da bräuchten wir schon jemanden, der uns den Transport eines Containers sponsern würde. Dann könnten wir natürlich noch viel mehr Gutes tun.“