Gefordert werden mehr Frauen in Führungspositionen zur Organisation des Gesundheitswesens. Aber wird auch etwas dafür getan? Politisch? Berufspolitisch?
Es gibt Frauen in den Führungspositionen im Gesundheitswesen. Dr. Doris Pfeiffer ist Vorstandsvorsitzende des GKV-SV, Dr. Ute Maier ist Vorsitzende des Vorstands der KZVBW, Ulrike Elsner ist Vorstandsvorsitzende des vdek. Sicherlich gibt es noch etliche mehr. Interessierte Leser finden sie beispielsweise unter #SpitzenFrauenGesundheit.
Aber wenden wir uns nun der Realität zu. Schauen wir in die Vorstandsetagen der KZVen und der KZBV: 6,25 Prozent Frauenanteil. Der Anteil Frauen unter den niedergelassenen ZahnärztInnen beträgt gut 39 Prozent – bei den unter 35-Jährigen sind es 62 Prozent. Mehr als die Hälfte der Patienten sind Frauen.
Folgerichtig haben Bündnis 90/Die Grünen einen Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht der da lautet: „Mehr Frauen in Führungspositionen zur Organisation des Gesundheitswesens“. Hier wird konstatiert, dass es notwendig sei, „die Wahrung der Interessen von weiblichen Versicherten und Beschäftigen im Gesundheitswesen auch durch eine angemessene Repräsentanz in den Führungsstrukturen der Selbstverwaltung sicherzustellen“. Oha. Hier verfinstern sich die ersten Mienen. Man habe nichts gegen Frauen, man sei ja offen, Frauenquote degradiere Frauen.
Zu diesem Antrag der Grünen gab es am 5. Juni 2019 eine öffentliche Anhörung im Bundestagsausschuss für Gesundheit. Das Ergebnis der Anhörung fasst die Bundestagsverwaltung unter dem Titel „Höherer Frauenanteil in der Führung der Selbstverwaltung befürwortet“ zusammen. Schlechterdings kann Mann sich auch nicht offen dagegen aussprechen. Schauen wir uns die Stellungnahmen der Sachverständigen genauer an, ist die Zustimmung nicht ganz so offenkundig. Nehmen wir den männerdominierten Arbeitgeberverband BDA, der mit dem Klassikerargument aufschlägt: „Ein möglichst repräsentatives Verhältnis von Frauen und Männern ist wünschenswert, darf aber auch nicht erzwungen werden. Gegen Geschlechterquoten spricht generell, dass durch sie ein besser geeigneter Kandidat beziehungsweise eine besser geeignete Kandidatin allein wegen des Geschlechts nicht genommen werden kann.“ Das alte Der-Markt-wird-es-richten-Argument. Deshalb fahren heute nur umweltfreundliche Autos durch die Gegend. Zwinkersmiley.
Die Stellungnahme der KZBV hat in weiten Teilen das Profil eines Schwamms, endet aber mit dem erstaunlichen Satz: „Die Einführung einer Frauenquote für Führungspositionen sollte aus Sicht der KZBV Ultima Ratio für den Fall sein, dass die vielfältigen Maßnahmen der Selbstverwaltung, die auf allen Ebenen ergriffen werden, nicht zum gewünschten Erfolg führen.“ Erkennbar sind diese „vielfältigen Maßnahmen“ von außen eher nicht so – außer dem „Zahnärztinnentag“ der KZVWL. Aber immerhin werden für die Vertreterversammlung im November „erste Arbeitsergebnisse“ angekündigt. Wir dürfen gespannt sein. [Nachtrag: Die auf Initiative der KZBV neu gegründete AG Frauenförderung kam Anfang Juni zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammen.]
Etwas feinsinniger sind dagegen die Stellungnahmen der weiblichen Sachverständigen. Antje Kapinsky, von der Kampagne SpitzenFrauenGesundheit: „Es besteht dringender Handlungsbedarf, da es im Gesundheitswesen immer noch eine große Diskrepanz gibt zwischen dem Anteil der Frauen in der Gesundheitsversorgung und ihren Einflussmöglichkeiten auf die Strukturen und Rahmenbedingungen.“ Peng. Das ist noch höflich formuliert. Ein Finger in der Wunde, darf auch mehr weh tun.
Den hellsichtigsten Satz formuliert aber Prof. Dr. Clarissa Kurscheid vom Vorstand der Healthcare Frauen e.V.: „Dies bedeutet eine strukturelle Diskriminierung von Frauen, da Familienarbeit immer noch allzu sehr als Frauenarbeit gesehen wird und Führungskräfte als voll verfügbar angesehen werden.“ Wir richtig sie damit liegt, zeigt ein einziger Satz aus der Feder des BDA: „Damit mehr Frauen in die soziale Selbstverwaltung kommen, ist es vor allem wichtig, dass die damit verbundene Gremienarbeit zeitlich nicht überfordert und damit auch neben Beruf und Familie möglich ist.“ Das Frauchen darf nicht überfordert werden, wenn es nach Arbeit, Kinder, Kochen, Mann-die- Pantoffeln-Bringen auch noch in der Selbstverwaltung tätig wird. Willkommen in den 1950er-Jahren.
Klare Worte: Wir haben ein strukturelles Problem, das nicht nur das Gesundheitswesen betrifft. Diejenigen, die derzeit in Entscheidungsfunktionen sitzen, sind mit einer Welt konfrontiert, die zunehmend jung und weiblich ist. Die im Internet lebt. Die andere Wertvorstellungen hat. Und das ist auch gut so. Wir müssen weg von dieser Gerhard-Schröder-Frauen-und-Gedöns-Mentalität.
Führung bedeutet nicht 24/7- Verfügbarkeit und -Kontrolle. Und Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist kein Frauenthema. Wenn es doch so scheint, liegt es an ungleichen Gehältern, die junge Familien in klassische Geschlechterrollen treibt. Politik – Berufs- und Standespolitik – darf nicht bei 60+ aufhören.
Auf einem Plakat einer #fridaysforfuture-Demonstration stand: „Nehmt uns endlich ernst, sonst kürzen wir Euch die Rente“.