Wir sind Zeitzeugen eines rasanten technologischen Fortschritts, mit dem auch jede Menge Ängste und Unsicherheiten einhergehen. Man sollte sie nicht unreflektiert hin-, sondern ernst nehmen und proaktiv angehen, betonte der Wissenschaftsjournalist und Physiker Ranga Yogeshwar im Gespräch mit Redakteurin Joanna Cornelsen am Rande des 6. Camlog Zahntechnik-Kongresses. Denn jeder könne die Zukunft mitgestalten.
Herr Yogeshwar, in Ihrem aktuellen Buch greifen Sie das Thema Zukunft auf. Warum dieses Thema? Warum jetzt?
Ranga Yogeshwar: Weil wir mitten in einer Phase kompletter Veränderungen sind. Man muss alleine überlegen, was der technologische Fortschritt, insbesondere die Digitalisierung, die künstliche Intelligenz und all die daraus resultierenden Technologien in den vergangenen Jahren hervorgebracht haben. Und es ist ein beschleunigter Fortschritt, also die Dinge werden sich in den kommenden Jahren noch schneller verändern als bisher. Und das in vielen Bereichen – von der Wirtschaft über die Gesellschaft bis hin zu uns selbst. Wenn man sich all das vor Augen führt, merkt man, wie wichtig es ist, darüber nachzudenken.
Viele Menschen fürchten sich vor der Zukunft. Sie auch?
Yogeshwar: Es gibt keinen Grund, sich zu fürchten. Denn Veränderung impliziert unter anderem die Möglichkeit, die Karten neu zu mischen. Es bedeutet aber auch, dass man – wenn man eine bequeme Position in der Vergangenheit hatte – die Sorge hat, diese in der Zukunft zu verlieren. Gerade in Deutschland gibt es die Angst des Loslassens. Uns geht es sehr gut, und dementsprechend hoch sind die „Bewahrungskräfte“. Und die Ängste vor Veränderungen ebenfalls. Aber man sollte keine Angst haben. Denn wenn man genauer hinschaut, sind wir schon immer das Ergebnis von großen Veränderungen gewesen.
Welche Entwicklungen werden aus Ihrer Sicht die Zahnmedizin und Zahntechnik maßgeblich verändern?
Yogeshwar: Ich bin kein Spezialist in der Zahnmedizin und Zahntechnik, aber was man erkennen kann, sind Trends in der Medizin. Zum Beispiel dass sich heute mithilfe von intelligenter Datenauswertung vollkommen neue Therapie- und Diagnosemöglichkeiten eröffnen. Wir kennen Beispiele, wo Röntgenärzte dank intelligenter Bildanalyse sehr früh und sehr schnell eine Diagnostik verbessern können. In Zukunft werden wir möglicherweise in vielen weiteren Bereichen wie auch in der Zahnmedizin Fragen angehen können, die wir bis dato überhaupt nicht beantworten konnten. Ich gebe Ihnen zwei Beispiele: Da wird einerseits die Biographie eines einzelnen Zahns viele wertvolle Daten liefern. Andererseits werden Daten, die den Unterschied von Mensch zu Mensch tangieren, bedeutend sein. Sie hängen mit der Genetik, mit der Ernährung und dem Lebensstil, aber vielleicht mit einigen anderen Faktoren zusammen. Es gibt jedoch keine systematische Erkenntnis darüber, was diese Faktoren sind. In Zukunft wird das vielleicht an der einen oder anderen Stelle besser möglich sein, sodass man bereits im Kindesalter beziehungsweise bei jungen Menschen schon sagen kann: „Pass auf, aus den und den Daten sehen wir, dass du eine Tendenz hierzu oder dazu hast, und wir behalten das bewußt und gezielt mehr im Blick.“
Das ist der eine Aspekt, also die Diagnostik. Der zweite Aspekt ist, dass sich diese Erkenntnisse auch in Bezug auf Fertigungsprozesse ändern. Wenn man bedenkt, was 3-D-Fräsen heute schon alleine in Zahnarztpraxen machen, dann kann ich mir vorstellen, dass wir uns in Zukunft die Prozesse und die Zwischenschritte nochmal genauer anschauen müssen. Vielleicht eröffnet sich an der einen oder anderen Stelle die Chance, dass die Produktion ein bisschen in die Zahnarztpraxen abwandert. Man muss also sehr genau schauen, welche Richtung die Entwicklungen einschlagen, man sollte aber keine Angst haben, sondern daran denken, dass dadurch beispielsweise neue Businessmodelle entstehen können. Es wird sich etwas ändern, und das ist gut. Wir müssen uns darauf einlassen!
Was möchten Sie den Teilnehmern des 6. Camlog Zahntechnik-Kongresses mit auf den Weg geben?
Yogeshwar: Ich möchte ihnen Lust machen auf Zukunft, und zwar im Sinne dessen, was wir gerade besprochen haben. Auf der einen Seite die Angst des Loslassens, die wir alle haben, zu überwinden, indem wir offen sind für Neues. Auf der anderen Seiten nicht blind die Zukunft zu umarmen, sondern reflektiert. Denn es gibt Entwicklungen, bei denen wir uns fragen müssen: „Ist das ok? Wollen wir das? Wo sind die gelben und wo die roten Linien?“ Das halte ich für sehr wichtig. Denn in Zukunft wird der technologische Fortschritt noch schneller werden als bisher. Damit muss die Auseinandersetzung mit seinen ethischen und gesellschaftlichen Aspekten Schritt halten. Beides muss synchron verlaufen, und das ist die große Herausforderung. Allerdings sind die daraus erwachsenden Chancen großartig!
Herr Yogeshwar, ich danke Ihnen für das Gespräch.