Anzeige

„Goldstandard“ der Lokalanästhesie überdenken

Gelehrt an allen Universitäten und in Deutschland in mehr als 50 Millionen Fällen pro Jahr in der zahnärztlichen Praxis angewandt (KZBV-Jahrbuch 2019) sind die Infiltrations- und die Leitungsanästhesie des N. alveolaris inferior der „Goldstandard“ der Lokalanästhesie. Eine erfolgreiche Schmerzausschaltung ist die Voraussetzung für die Compliance – die Kooperationsbereitschaft – des Patienten.

Grundlage für fast jede zahnärztliche Behandlung

Ein guter Behandler hat überhaupt keine Probleme, seinem Patienten zu erklären, dass die bevorstehende Behandlung – wahrscheinlich – schmerzhaft sein wird und er deshalb eine Spritze empfehlen würde. Die meisten Patienten folgen vertrauensvoll ihrem Zahnarzt/ihrer Zahnärztin.

Die gängigen und aktualisierten Lehrbücher zum Beispiel von Schwenzer und Ehrenfeld, beschreiben sehr detailliert die nervale Versorgung des Ober- und des Unterkiefers und sie zeigen und beschreiben auch, wo und wie das Anästhetikum injiziert werden sollte, um eine für die anstehende Behandlung ausreichende Anästhesie zu erhalten [1].

Ausführlich werden die Infiltrationsanästhesie im Oberkiefer und im Unterkiefer zur Schmerzausschaltung im vestibulären Bereich der Frontzähne und lingual dargestellt und beschrieben. Etwa 68 Prozent der mit den Primär- und Ersatzkassen abgerechneten Lokalanästhesien betrafen die Infiltrationsanästhesie, rund 32 Prozent waren Leitungsanästhesien – weitgehend des N. alveolaris inferior.

Schmerzausschaltung an mehreren Zähnen oder eines größeren Areals

Die Terminalanästhesie wird für die Anästhesie eines Einzelzahns (Schneidezahn, Eckzahn oder Prämolar) gezeigt und auch zur Schmerzausschaltung an mehreren Zähnen beziehungsweise zur Ausschaltung eines größeren Areals, die sogenannte fortlaufende Infiltrationsanästhesie. Das Einstechen der Kanüle erfolgt in entsprechendem Abstand etwa 1 Zentimeter vor dem Zielort oberhalb der Umschlagfalte und parallel zu dieser. Nach dem Vorschieben der Kanüle erfolgt die langsame Abgabe von 1 bis 2 Milliliter der Anästhesielösung – nach Aspiration.

Bei operativen Eingriffen am Knochen oder Zahn muss zusätzlich zur vestibulären Terminalanästhesie eine palatinale Anästhesie im Bereich der Gaumenschleimhaut erfolgen, die durch den N. palatinus major und den N. nasopalatinus versorgt wird.

Im Unterkiefer dient die vestibuläre Terminalanästhesie der Ausschaltung der distalen Endäste des N. alveolaris inferior. Dazu wird nach Einführen der Kanüle das Depot im Bereich der Frontzahnwurzelspitzen abgegeben. Um Zahnpulpa und Knochen zu betäuben, ist die Applikation von 1,0 bis 1,5 ml Anästhetikum ausreichend.
Sehr ausführlich werden von allen Autoren die Leitungsanästhesien beschrieben, die zur Anästhesie größerer Areale in Betracht kommen. Das Gelingen einer Leitungsanästhesie setzt in besonderem Maße die genaue Kenntnis der Nerven-Ein- und -Austrittsstellen voraus.

Die Leitungsanästhesie im Oberkiefer kann jeweils am Foramen infraorbitale, Foramen incisivum, Foramen palatinum majus oder Tuber maxillae erfolgen. Im Unterkiefer kann die periphere Leitungsunterbrechung der Endäste des 3. Trigeminusastes durch Blockade des Nervus alveolaris inferior, des Nervus lingualis oder des Nervus buccalis erfolgen. Die Blockade des N. alveolaris inferior und des N. lingualis erfolgt intraoral durch Injektion in das Spatium pterygomandibulae.

Die Grundlagen etwa von Guido Fischer gelten heute noch

Diese sehr konzentriert dargestellten Möglichkeiten der Terminal- und der Leitungsanästhesie werden weltweit gelehrt und in der Praxis angewandt – in Deutschland von jedem behandelnden Zahnarzt im Durchschnitt mehr als 1000-mal im Jahr. Die Grundlagen dazu hat unter anderen Guido Fischer (1877 bis 1957) gelegt – sie gelten noch heute [2]. Zur Ausschaltung der Schmerzempfindung an Milchzähnen hat Fischer auch schon die Injektion eines Anästhetikums in den Desmodontalspalt empfohlen – eine Technik, für die zu seiner Zeit jedoch noch keine geeigneten Spritzensysteme und feinen Kanülen verfügbar waren.

Die Infiltrations- und die Leitungsanästhesie sind der „Goldstandard“ der zahnärztlichen Lokalanästhesie. Für lang dauernde und großflächige dentoalveoläre chirurgische Eingriffe sind sie unverzichtbar.

Die Probleme und Komplikationen im Verlauf der Lokalanästhesie und im Anschluss daran, die auch bedrohliche Ausmaße annehmen können, lassen sich gruppieren in Anästhesieversager, allgemeine Komplikationen und in lokale Probleme und Komplikationen, wie Hämatome, durch Hämatom bedingte reaktive Kieferklemme, Fazialislähmung, Schluckstörung, Nervenschädigung, Schilddrüsenschwellung, Kopfschmerz, ischämische Zonen, Nekrosen, Verletzungen der Weichgewebe und Wundheilungsstörungen.

Bei Patienten mit hämorrhagischer Diathese dürfen auf keinen Fall Leitungsanästhesien erfolgen, da sie infolge massiver Hämatombildung lebensbedrohliche Folgen haben können – hier ist die intraligamentäre Anästhesie angezeigt [3].

Beachtet man die Invasivität und die bekannten Risiken der Nervstammblockade, so sollte die Leitungs- und auch die Infiltrationsanästhesie als „immerwährender Goldstandard” überdacht werden. Möglicherweise könnte die von Guido Fischer bereits angesprochene Möglichkeit der intradesmodontalen Injektion eine gut verträgliche und wirksame Alternative sein. Der Stand der Wissenschaft, der medizintechnische Fortschritt und die klinischen Erfahrungen der letzten 30 Jahre mit dieser minimalinvasiven Lokalanästhesie-Methode sollten als Alternative zur Terminal- und Leitungsanästhesie in Betracht gezogen werden – wo sie sinnvoll und möglich ist [4].

Lothar Taubenheim, Erkrath

 

Literatur

[1] Schwenzer, N.; Ehrenfeld, M.: Zahn-Mund-Kiefer-Heilkunde Band 3: Zahnärztliche Chirurgie. 2000 Georg Thieme Verlag, Stuttgart – New York.
[2] Fischer, G.: Die lokale Anästhesie in der Zahnheilkunde. 1914 Verlag von Hermann Meusner, Berlin.
[3] Stoll, P.; Bührmann, K.: Die intraligamentäre Anästhesie bei der Zahnextraktion von Patienten mit hämorrhagischer Diathese. Zahnärztl.Welt/Reform 1983; 92: 54-55.
[4] Benz, C.; Prothmann, M.; Taubenheim, L.: Die intraligamentäre Anästhesie – Primäre Methode der dentalen Lokalanästhesie. Deutsch Zahnärzte Verlag 2016, ISBN: 978-3-7691-2319-7.