„Wer Glück hat, muss sich nicht die Zähne putzen“
Gerät die mikrobielle Lebensgemeinschaft im Mund aus dem Gleichgewicht, wird dies als Ursache für zum Beispiel Karies und Parodontitis angesehen. Eine Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Egija Zaura, Zahnärztin und Forscherin am Academic Centre for Dentistry Amsterdam (ACTA), identifizierte bei 268 gesunden Erwachsenen mit molekularbiologischen Methoden fünf Grundtypen (Abb. 1) [1].
Einer davon zeigt einen niedrigen Speichel-pH-Wert, bei zugleich hohem Streptokokken-Anteil und geringer mikrobieller Vielfalt (saccharolytischer Typ). Ein anderer ist durch einen relativ hohen pH charakterisiert, bei vermehrten Aminosäure-Abbauprodukten sowie einem erhöhten Anteil von Veilonella und Prevotella-Spezies (proteolytischer Typ).
Diese „Spezialisierung“ ist laut Zaura vermutlich mit einem größeren Erkrankungsrisiko für Karies oder Parodontitis verbunden. Das Dilemma fehlender praxistauglicher Tests besteht aber weiterhin, die ein Risiko zu einem definierten Zeitpunkt ausreichend exakt voraussagen können. Neben dem Mikrobiom werden Erkrankungsrisiken durch das Immun- und das endokrine System (Hormone), das Alter und die Beschaffenheit der oralen Gewebe bestimmt.
Stabiles Mikrobiom, große individuelle Unterschiede
Wie Zaura in ihrem Online-Vortrag betonte, ist das orale Mikrobiom das stabilste des menschlichen Körpers, die Haut das instabilste [2]. Wird das orale Gleichgewicht zum Beispiel durch Antibiotika gestört, etabliert es sich in der Regel bereits nach einem Monat wieder [3]. Im Darm sind die Unterschiede zum Ausgangs-Mikrobiom bei vielen Patienten auch nach einem Jahr noch groß, besonders bei Verwendung von Clindamycin.
Zugleich reagieren Menschen auf Störungen des intraoralen Gleichgewichts sehr unterschiedlich. So können bei Aussetzen der Mundhygiene der Plaque-Index und damit verbundene Gingivablutung bei einem Individuum innerhalb weniger Tage stark zunehmen, bei einem anderen praktisch unverändert niedrig bleiben [4]. Zaura: „Wer Glück hat, muss nicht putzen.“
Veränderungen durch gute Ernährung?
Hoch relevant ist die Frage, ob das Mikrobiom bei aller Stabilität mittel- und langfristig veränderbar ist. Dafür spricht eine Studie aus der Schweiz, die bei steinzeitlich ernährten Probanden nach 4 Wochen trotz höherer Plaque-Werte weniger Entzündung feststellte als vor der Ernährungsumstellung [5]. Zaura rief ihre forschenden Zuhörer auf, die mit nur 10 Probanden durchgeführte Studie zu wiederholen. Bei prähistorischen Funden werde zwar viel Zahnstein festgestellt, aber wenig oder keine subgingivalen Konkremente.
Das orale Mikrobiom scheint also durch Ernährung und andere Einflüsse modifizierbar zu sein (Abb. 2). Bei Rauchern ist der Anteil pathogener, anaerober Organismen sehr hoch und ähnlich wie bei Erkrankten [6]. Durch Probiotika oder spezielle Zahncremes mit gesundheitsfördernden Enzymen und Speichelproteinen lässt sich das orale Milieu bereits nach kurzer Zeit günstig beeinflussen [7]. Auf Fragen aus dem digitalen Off antwortete Zaura, dass aktuell eher versucht werde, eine bessere orale Homöostase zu erreichen. Bakterien weitgehend zu töten, sei nicht die Lösung. Nach aktuellem Stand und angesichts unserer bevorzugten Ernährung bleibe aber eine gute Mundhygiene Pflicht.
In einem weiteren Beitrag beschrieb Dr. Nicholas Jakubovics (Universität Newcastle, UK) Methoden, mit denen die Bakterienanheftung auf oralen und restaurativen Oberflächen modifiziert werden könnte. Vielversprechend seien hier vor allem hemmende Nanostrukturen oder super-hydrophobe Oberflächen. Jakubovics ist als Nachfolger von Prof. Dr. William Giannobile Chefredakteur des renommierten Journal of Dental Research, das eng mit der IADR zusammenarbeitet.
„It takes a village to do (good) research”
Die Zahnärztin Prof. Dr. Rena D’Souza ist Leiterin des National Institute of Dental and Craniofacial Research (NIDCR), verwaltet ein Budget von 475 Millionen US-Dollar und forscht unter anderem zur genbasierten Therapie von MKG-Spaltbildungen. Bei Mäusen gelang es ihrem Team bereits, durch Hemmung genetischer Signalwege Gaumenspalten zu schließen. Beim Menschen könnten sich laut D’Souza in Zukunft große und langfristige Belastungen mit multiplen Operationen vermeiden lassen. Weitere Grundlagenforschung zu autonomen Spaltbildungen und die Übertragung auf größere Säuger stehe aber noch aus.
Das Prinzip „es braucht ein Dorf, um ein Kind zu erziehen“ überträgt D’Souza auf die Forschung. Sie plädiert für internationale Zusammenarbeit, die auch verschiedenartige Partner umfassen sollte. In der Covid-19-Pandemie gebe es 20 große Pharma-Kooperationen und Vernetzung mit staatlichen Behörden, Universitäten und praktizierenden Ärzten. Auch die Kommunikation zwischen Forschungseinrichtungen und daraus abgeleitete Publikationen haben in der Pandemie stark zugenommen.
Forschung hat laut D‘Souza zudem die moralische Verpflichtung, der gesamten Bevölkerung zu dienen, was vom US-amerikanischen NIH (National Institute of Health) in einigen Projekten berücksichtigt werde. Ihr Institut NIDCR fördert aktuell die Erforschung oraler Auswirkungen von Covid-19, zum Beispiel die Übertragbarkeit durch Speichel und die Ätiologie vaskulärer Defekte infolge einer Infektion. Eine noch engere Zusammenarbeit mit deutschen Forschungseinrichtungen ist laut D’Souza, die unter anderem mit der Universität Regensburg sehr gute Kontakte pflegt, wünschenswert.
Dr. Jan H. Koch
AfG und IADR
Die Arbeitsgemeinschaft für Grundlagenforschung (AfG) in der DGZMK hat einen vergleichbaren Fokus wie die International Association of Dental Research (IADR). Die AfG-Verantwortlichen Prof. Dr. Michael Wolf (Aachen), PD Dr. Dr. Christian Kirschneck und PD Dr. Fabian Cieplik (beide Regensburg) luden als Ersatz für ihre Jahrestagung drei hochrangige Forscher aus den Niederlanden, Großbritannien und den USA zu Online-Vorträgen ein. Diese ergänzten ihre Fachvorträge mit Informationen zur IADR und zum Journal of Dental Research. Mit über 200 zum Teil prominenten Teilnehmern (Diskussionsbeiträge zum Beispiel von den Professoren Schmalz und Radlanski) war die Veranstaltung ein voller Erfolg.
Hinweis
Im Bericht genannte behandlungsbezogene Empfehlungen beruhen auf Informationen aus den Vorträgen und unterliegen möglichen Irrtümern bei der Wiedergabe. Sie können in keinem Fall die klinische Einschätzung der Leserin oder des Lesers ersetzen und müssen eigenverantwortlich geprüft werden (siehe auch Literaturliste).
Literatur
[1] Zaura, E., et al.; ISME J 2017. 11 (5): 1218-1231.
[2] Zhou, Y., et al.; Genome Biol 2013. 14 (1): R1.
[3] Zaura, E., et al.; mBio 2015. 6 (6): e01693-01615.
[4] van der Veen, M. H., et al.; J Dent 2016. 48 71-76.
[5] Baumgartner, S., et al.; J Periodontol 2009. 80 (5): 759-768.
[6]Mason, M. R., et al.; ISME J 2015. 9 (1): 268-272.
[7] Slomka, V., et al.; J Clin Periodontol 2017. 44 (4): 344-352.