DDr. Christa Eder über Auswirkungen entzündlicher Darmerkrankungen auf orale Hart- und Weichgewebe
Die Mundhöhle ist als Eingangspforte zum Verdauungstrakt von Erkrankungen des Magens und des Darms fast immer in Mitleidenschaft gezogen. Gastritiden unterschiedlicher Genese können ebenso wie entzündliche Darmerkrankungen (M. Crohn, Colitis ulcerosa) die orale Gesundheit beeinträchtigen. Besonders Resorptionsstörungen und die damit einhergehenden damit Mangelerscheinungen haben Auswirkungen auf die oralen Hart- und Weichgewebe.
Die Zöliakie (glutensensitive Enteropathie) ist da keine Ausnahme. Bei dieser Erkrankung handelt es sich um eine autoimmune Entzündung des Dünndarms durch Überempfindlichkeit auf Gluten (Klebereiweiß, wie zum Beispiel das Gliadin im Weizen). Die Häufigkeit der Erkrankung variiert regional und kann bis zu 1 Prozent der Bevölkerung betreffen. Je nach Schweregrad kommt es zu einer Atrophie der Darmzotten bei gleichzeitiger Kryptenhyperplasie und zu lymphozytärer Infiltration der Epithelien und der Lamina propria der Mukosa.
Die Ursachen sind heterogen, im Vordergrund steht eine genetische Disposition, aber auch das Vorhandensein weiterer Autoimmunkrankheiten wie Diabetes mellitus Typ I und Lupus erythematodes, das Downsyndrom und diverse Umweltfaktoren begünstigen die Entstehung der Erkrankung.
Autoimmune Mechanismen der Zöliakie
Zum besseren Verständnis der Auswirkungen auf die Mundgesundheit soll hier kurz auf die autoimmunen Mechanismen der Zöliakie eingegangen werden. Die Enterozyten des Dünndarms exprimieren unterschiedliche Klassen von HLA (human leucocyte antigen system), welche eine zentrale Rolle für das Immunsystem spielen. Gewebeantigene an den Zellen der Klasse II HLA DQ2 und DQ8 werden vermehrt exprimiert und präsentieren modifiziertes Glutenprotein an die T-Helfer-Lymphozyten, was dann eine inadäquate Immunreaktion zur Folge hat.
Über die bei Zöliakiepatienten vermehrt aktivierte Gewebetransglutaminase wird die Glutaminsäurebildung aus den Peptiden der abgebauten Glutenproteine gefördert und dadurch die lymphozytäre Reaktion vorangetrieben. Die Folgen sind massive Ausschüttung von Entzündungsmediatoren wie Interferon-gamma und Interleukinen, wie IL-2 und IL-6 mit allen negativen Folgen für die intestinale Mukosa.
Die typischen Symptome einer Zöliakie sind chronische Durchfälle, Erbrechen, Blähungen, bei Kindern Gedeih- und Wachstumsstörungen. Allerdings gibt es, besonders im Frühstadium, oft auch unspezifische Verläufe, die die Diagnose der Erkrankung und die daraus resultierende einzige wirksame Therapie, nämlich eine absolut glutenfreie Diät, verzögern und damit entsprechende Folgeschäden begünstigen.
Die Rolle bei der Früherkennung der Zöliakie kann hier entscheidend sein. Die Krankheit geht mit einer Reihe oraler Manifestationen einher, wobei dentale Schmelzdefekte besonders bei Kindern im Vordergrund stehen und von hoher diagnostischer Relevanz sind. Schmelzdefekte umfassen Hypoplasien und Hypomineralisation und sind auch bei anderen chronischen Grunderkrankungen zu finden. Allerdings zeigen sie bei der Zöliakie ein charakteristisches spezifisches Muster. Sie treten symmetrisch in den anatomischen Zahngruppen aller vier Quadranten auf, wobei am häufigsten die maxillären und mandibulären Schneidezähne und Molaren betroffen sind. Vereinzelte oder asymmetrische Läsionen sind hingegen unspezifisch für Zöliakie.
60 Prozent der Zöliakiepatienten betroffen
Die Schmelzdefekte finden sich bei durchschnittlich 60 Prozent der Patienten mit Zöliakie. Sie können unterschiedliche Ausmaße erreichen und werden demensprechend in vier Schweregrade unterteilt. Diese reichen von Farbdefekten und Opazitäten des Zahnschmelzes, seichten Rillen, Bänderungen und Grubenbildungen bis zu schweren Strukturdefekten. Elektronenmikroskopisch präsentieren sich diese Veränderungen in einer irregulären Anordnung der Schmelzprismen und einer Verminderung der dazwischenliegenden Matrix. Die Ursachen der Schmelzdefekte sind nicht eindeutig geklärt, aber vieles spricht für eine immunologische Ursache. In-vitro-Untersuchungen zeigten sowohl bei Milchzähnen als auch beim permanenten Gebiss eine Kreuzreaktivität der Gliadin-Antikörper mit den Schmelzproteinen Ameloblastin und Amelogenin.
Defektausprägung und Patientenalter
Die beschriebenen Defekte sind mit dem Alter der betroffenen Patienten korreliert. Je früher daher die Zöliakie auftritt, desto ausgeprägter sind die Defekte. Kommt es erst im Erwachsenalter zur Manifestation der Autoimmunerkrankung, ist die Ausprägung von Schmelzdefekten auf Grund der bereits abgeschlossenen Mineralisation weniger deutlich.
Neben diesen zweifelsfrei auffälligsten Läsionen finden sich weitere orale Manifestationen im Rahmen einer Zöliakie. So treten rekurrierende Aphten und schmerzhafte orale Ulzerationen bei 16 Prozent der Jugendlichen und 26 Prozent der Erwachsenen mit glutensensitiver Enteropathie auf. Die Ulzera bilden dann Nährböden für bakterielle Besiedelung und damit Ausgangspunkte für orale Infektionen. Ähnlich wie bei anderen chronischen Darmerkrankungen kommt es auch bei der Zöliakie zu einer Dysbiose der Darmflora mit unverhältnismäßiger Vermehrung anaerober Bacteroides-Arten bei gleichzeitiger Abnahme protektiver Keime wie Bifidobakterien. Dass derartige Verschiebungen im mikrobiellen Spektrum gemeinsam mit den entzündlichen Läsionen in der Mundhöhle auch Auswirkungen auf das orale Mikrobiom haben, ist wahrscheinlich.
Bei betroffenen Kindern ohne entsprechende glutenfreie Diät beobachtet man eine deutliche Vermehrung der neutrophilen Granulozyten in der oralen Mukosa sowie Veränderungen im Proteinmuster des Speichels.
Weitere Auswirkungen der Zöliakie sind atrophe Glossitis, ausgeprägte Mundtrockenheit, Cheilitis und vermehrte Tendenz zur Entstehung eines oralen Lichen planus. Hier spielt in vielen Fällen die mit der Destruktion der Darmzotten einhergehende verminderte Aufnahme von Eisen, Mineralstoffen und Vitaminen, allen voran Vitamin B12, eine entscheidende Rolle. Die zahnärztliche Therapie dieser Krankheitsbilder erfolgt vor allem symptomorientiert und erfordert interdisziplinäre Zusammenarbeit mit dem behandelnden Allgemeinmediziner oder Internisten.
In jedem Fall stellt der Patient mit Zöliakie eine Herausforderung für das Praxisteam dar. Früherkennung erster Symptome, Vermeidung von Folgeschäden, engmaschige Überwachung und rechtzeitige Intervention bei auftretenden Problemen sind ein wichtiger Beitrag für die Verbesserung der Lebensqualität dieser Patienten.
DDr. Christa Eder,
Fachärztin für Pathologie und Mikrobiologin, Wien
DDr. Christa Eder ist Fachärztin für Pathologie und Mikrobiologin. Seit vielen Jahren schreibt sie für das österreichische Fachmagazin „Zahn.Medizin.Technik“ und die dzw – Die ZahnarztWoche. Sie ist als Referentin im Bereich der zahnärztlichen Mikrobiologie international bekannt und Autorin zahlreicher Fachbücher zu zahnmedizinischen Themen.