Die Kassenzahnärztliche Vereinigung Schleswig-Holstein (KZV S-H) spricht sich gegen einen vorschnellen bundesweiten Roll-out des elektronischen Rezepts (E-Rezept) aus. „Zuvor müssen die technischen Voraussetzungen geschaffen sein, und die Anwendung muss störungsfrei funktionieren“, fordert Peter Oleownik, erster stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KZV S-H. „Auch die Einlösung in der Apotheke muss für Patientinnen und Patienten problemlos möglich sein.“
Zum Hintergrund des E-Rezeptes
Ab 1. Januar 2024 soll die Nutzung des E-Rezepts für Ärzte und Zahnärzte nach den Plänen des Bundesgesundheitsministeriums zur Pflicht werden. Bis dahin müssen unter anderem in einigen Zahnarztpraxen allerdings noch Softwareanpassungen erfolgen. Dennoch hatte Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach bereits zum 1. Juli den Eindruck erweckt, das E-Rezept sei „alltagstauglich“. Dabei hatte er sich insbesondere auf einen neuen Einlöseweg mithilfe der elektronischen Gesundheitskarte bezogen.
Der Start des elektronischen Rezepts hat sich bereits mehrfach verzögert. Im Herbst 2022 war der weitere Roll-out in den beiden Pilotregionen Schleswig-Holstein und Westfalen-Lippe auf Eis gelegt worden. „Die Zahnärzteschaft ist neuen und digitalen Anwendungen gegenüber grundsätzlich aufgeschlossen“, sagt Oleownik und weist damit zugleich das Urteil Lauterbachs, der den Ärzten im vergangenen Jahr in puncto Digitalisierung „Defätismus“ unterstellt hatte, zurück.
„Voraussetzung ist aber, dass die Anwendungen einen Mehrwert für die Verbesserung der vertragszahnärztlichen Versorgung bringen. Sie dürfen sowohl für Patientinnen und Patienten als auch für die Praxen nicht mit Mehraufwand verbunden sein.“ Sollten sich beim Einlösevorgang technische Probleme ergeben, müssten Patienten unter Umständen noch einmal in die Praxis zurückkommen, um sich ein herkömmliches „rosa“ Rezept ausstellen zu lassen.
Alltagstauglichkeit unsicher
Im Falle des E-Rezepts sei bisher unklar, ob der E-Rezept-Fachdienst tatsächlich massentauglich ist. Die Organisationen der Leistungserbringer, unter anderem auch die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung, hatten in der Gesellschafterversammlung der Gematik daher gegen einen sofortigen bundesweiten Roll-out gestimmt und sich dafür ausgesprochen, an dem ursprünglichen Plan eines stufenweisen Roll-outs festzuhalten, um bei Problemen nachsteuern zu können. Sie waren jedoch vom Bundesgesundheitsministerium, das seit 2019 51 Prozent der Gesellschafteranteile in der Gematik hält, überstimmt worden.
„Seit 2022 sind insgesamt erst gut zwei Millionen E-Rezepte eingelöst worden. Das ist nur ein Bruchteil der rund 460 Millionen Rezepte, die jährlich in Arzt- und Zahnarztpraxen ausgestellt werden. Ob die Systeme der hohen Belastung, die ab 1. Januar 2024 zu erwarten ist, überhaupt standhalten, ist nie getestet worden“, erläutert Oleownik. Zu denken gibt ihm in diesem Zusammenhang auch eine Störung, durch die die Telematikinfrastruktur am 2. Juli für mehrere Stunden nicht erreichbar gewesen war.
Sanktionspolitik in der Kritik
Laut Referentenentwurf für ein neues Digitalgesetz aus dem Hause Lauterbach müssen Ärzte und Zahnärzte künftig nachweisen, dass sie in der Lage sind, verschreibungspflichtige Arzneimittel digital zu verordnen – ansonsten soll die Vergütung ihrer vertrags(zahn)ärztlichen Leistungen pauschal um 1 Prozent gekürzt werden. Auch die vom BMG neu festgelegten Pauschalen, die Praxen seit dem 1. Juli 2023 für die – gesetzlich vorgeschriebene – Nutzung und den Betrieb der Telematikinfrastruktur erhalten, wird um 50 Prozent gekürzt, wenn eine Komponente wie beispielsweise das E-Rezept fehlt.
Die Sanktionspolitik des BMG sorgt seit Jahren für Unmut in der Zahnärzteschaft. „Wir müssen die Schnellschüsse der Politik umsetzen, und wenn das nicht funktioniert, werden wir völlig unangemessen mit Strafzahlungen belegt. Sanktionen sind nicht förderlich für die Akzeptanz der neuen digitalen Anwendungen in der Zahnärzteschaft“, sagt Dr. Michael Diercks, Vorstandsvorsitzender der KZV S-H. „Digitale Lösungen sollten durch ihren Benefit für alle Beteiligten überzeugen.“
Für besonders ärgerlich hält Diercks es überdies, dass das BMG und die gesetzlichen Krankenkassen es bisher versäumt haben, die Versicherten über das E-Rezept und seine Funktionsweise aufzuklären – obwohl die Kassen gesetzlich dazu verpflichtet sind. „Dass die Gematik uns jetzt auch noch ein – kostenpflichtiges! – Informationspaket für unsere Patienten anbietet, zeigt, dass man die Aufklärung auf die Praxen abwälzen will“, kritisiert er. „Diese Aufklärungsarbeit ist aber nicht Aufgabe der Praxen und kann dort auf keinen Fall auch noch geleistet werden.“
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