Der Winterfortbildungskongress der Zahnärztekammer Niedersachen (ZKN) glänzte Anfang Februar wieder mit national und international hoch angesehenen Referenten, die der Einladung des langjährigen Kongressleiters Prof. Dr. Dr. h.c. Thomas Attin (Zürich) nach Hannover gefolgt waren. Vertreter aus Wissenschaft und Praxis präsentierten neueste Erkenntnisse zur Funktionstherapie (siehe Teil 1, dzw 04/2025). Im zweiten Teil des Beitrags steht die Sportzahnmedizin im Mittelpunkt– und deren Schnittmengen mit der Funktionstherapie.
Korrekte Okklusion vorteilhaft für Athleten
Für Prof. Dr. Dr. Daniela Ohlendorf-Trapp (Frankfurt) findet in der Körperhaltung jede Bewegung ihren Anfang und ihr Ende. Gleich ob Leistungssportler oder Nicht-Athlet, bei jedem hängen Muskelketten durch funktionelle Interferenzen zusammen und auch eine CMD und trigeminale Verschaltungen gehören zu den neurophysiologischen Mechanismen funktionaler Interdependenzen. Und weil mit einer zahnärztlichen Schiene und damit einhergehenden okklusalen Veränderungen Gangmuster verändert werden können, können auch – insbesondere bei Sportarten mit stärkerer Einbindung des Haltungssystems und Personen mit CMD – Interventionen auf die dentale Okklusion durch Schiene/Mundschutz funktionale Interdependenzen verändern und damit die sportliche Leistung verbessern [25, 26].

Prof. Dr. Dr. Daniela Ohlendorf-Trapp: In der Körperhaltung findet jede Bewegung ihren Anfang und ihr Ende.
Ohlendorfs eigenen Untersuchungen zufolge scheinen im Kontext der Interdependenzen zwischen Kieferlage und motorischer Kontrolle von Haltung und Bewegung bei Sportlern nicht nur die Unterschiede in der Schiene oder in der UK-Position (Interkuspidalposition, Zentrikscheine, Dental Power Splint und Maximale Interkuspidation) unterschiedliche Effekte hervorzurufen, auch die klinische Relevanz zeigte sich – von gering und moderat bis hoch – individuell sehr variabel und vorgefertigte Schienen schneiden allgemein schlechter ab als individuell angepasste Schienen.
Schiene als legales „Doping-Mittel“
Aus Sicht von Sportzahnmediziner Dr. Siegfried Marquardt (Tegernsee) werden individuelle Performance-Schienen oder andere Arten nicht-konfektionierter Schienen gebraucht, um Prävention und Leistungssteigerung zu berücksichtigen. Leistungstuning in der Sportzahnmedizin mittels Schiene sei erlaubtes Doping und erfolgreich [27]. Entscheidend bei der Herstellung einer Leistungs-, Präventions- und Schutzschiene für den Spitzen-, aber auch Breitensportler sei eine ästhetische und funktionelle Analyse, die auf anatomischen Referenzen basiert und abhängig von der skelettalen Klasse ist. Für die anatomisch reale Übertragung der patientenindividuellen Situation zum Zahntechniker kommen in seiner Praxis die Ala-Tragus-Ebene [28] und die Übertragung mit dem PlaneSystem zum Einsatz.

Nicht nur durch Energy-Drinks: Ausdauer-Sportler haben ein erhöhtes Erosions-Risiko und ein trainingsabhängiges Kariesrisiko.
Marquardt betonte die Bedeutung der Diagnostik von aufsteigenden und absteigenden Ketten durch den Zahnarzt (zum Beispiel durch den Test von Blockaden im Vergleich Stehen und Sitzen, Tests mit unterschiedlichen Bisshöhen unter Zuhilfenahme von Fleximeter Strips, Bausch), die aus seinem Verständnis heraus Grundlage für die Zusammenarbeit zwischen Physiotherapeuten, Orthopäde und Zahnarzt bildet. Funktionsschienen auf Basis einer nicht manipulierten und zuvor relaxierten Registratur seien bei absteigenden Ketten eine einfache Möglichkeit, funktionelle Störfaktoren beim Sportler zu eliminieren.
Leistungssportler ist Risikopatient für orale Entzündungen
Prof. Dr. Dirk Ziebolz (Brandenburg) präsentierte als Erklärungsmodell für die von Spitzensportlern im Vergleich zu Amateuren mehr Entzündungszeichen des Parodonts und Karies [29,30] mit dem weniger guten Präventionsverhalten bei gleichzeitiger körperlicher Belastung und immunologischem Stress, vor allem bei Ausdauer-Sportlern, was im Blut anhand eines signifikanten Anstiegs an Inflammationsmarkern [31], systemischen Entzündungs- /Blutparametern [32] und auch Cortisol und Adrenalin [33], im Speichel durch unter anderem erhöhte Interleukin-, Amylase- und aMMP-8-Werte [34] nachgewiesen werden konnte.
„Sport ist gesund“, konstatierte Ziebolz, „die Dosis macht das Gift“. Der Stressor Sport schaffe eine Immunaktivierung und „möglicherweise bewirken wir damit eine erworbene / adaptive Immunität – möglicherweise wird man dadurch weniger krank“. Nach Ziebolz wird eine gingivale Entzündung die Leistungsfähigkeit eher nicht negativ beeinflussen. Eine chronische Parodontitis dagegen ist eine multifaktorielle systemische Entzündung und ein Symptom systemischer immunologischer Dysregulation, die die Leistungsfähigkeit beeinflussen kann [35]. Liegen Entzündungen wie eine Perikoronitis vor, sind systemisch inflammatorische Einflüsse vorhanden, die dazu führen, dass Sportler eher verletzungsanfällig sind, sie länger ausfallen, weil die Regeneration in Mitleidenschaft gezogen werden kann und die Rehabilitation von Verletzungen länger dauert. Deshalb sei eine adäquate Prävention wichtig und akute Probleme wie Zahnschmerzen aufgrund Pulpitis/Parodontitis apicale oder eine mit Schmerzen und ggf. Fieber einhergehende Perikoronitis gelte es zu vermeiden oder zu beseitigen.

Kongressleiter Prof. Dr. Dr. h.c. Thomas Attin (Zürich) ging auf das erhöhte Erosions-Risiko und das trainingsabhängige Kariesrisiko von Ausdauersprotlern ein.
Auf stark saure, an Kalzium-ungesättigte Nahrung verzichten
Prof. Dr. Dr. h.c. Thomas Attin (Zürich) zeigte auf, dass Ausdauer-Sportler ein erhöhtes Erosions-Risiko und ein trainingsabhängiges Kariesrisiko aufweisen [36], verursacht durch verminderten Speichelfluss, erhöhte Reflux-Prävalenz, die Einnahme von Asthmamitteln, gesunde, vitaminreiche Ernährung, Essstörungen/Hungerkuren, saure Getränke und saure Medikamente (zum Beispiel Vitamin-C- und Magnesium-Kautabletten). Auch Konsumgewohnheiten spielen eine Rolle: mehr als dreimal täglich und länger als zehn Minuten saure Getränke, Obst oder Zwischenmahlzeiten beeinflussen das Erosionsrisiko ebenso wie das Umherspülen, schluckweises Trinken und die lange Verweildauer vor dem Schlucken [37, 38]. Laut Attin ist der Kalzium-Anteil in den Flüssigkeiten entscheidend: Bei einem höheren Anteil von Kalzium kommt es zu weniger Härteverlust, selbst bei einem an sich kritischen pH-Wert. Ein erosiver/abrasiver Zahnschmelzverschleiß durch Säfte und Zähneputzen kann durch die Zugabe frei verfügbarer Nahrungsergänzungsmittel (Calcium-Brausetablette, Probase) deutlich reduziert werden [39] und zum Beispiel das Getränk "Hohes C plus Calcium" verursache 17-fach weniger Erosion als normales Hohes C.
Neben der Patienten-Aufklärung empfiehlt er (in absteigender Reihenfolge) zur Prävention von Erosionen die Vermeidung stark saurer, an Kalzium-ungesättigter Nahrung, die Veränderung des Ernährungsverhaltens und Verwendung (Zinn)-Fluorid-haltiger MH-Produkte. Außerdem setzt Attin auf Versiegelungen zur Verhinderung des erosiven Substanzverlustes [40] und verwendet dazu ein Ein- oder Zweit-Schritt Adhäsiv auf sauberer Oberfläche.
Dr. Ulrike Oßwald-Dame, München
Im Bericht genannte behandlungsbezogene Empfehlungen beruhen auf Informationen aus den Vorträgen und unterliegen möglichen Irrtümern bei der Wiedergabe. Deshalb besteht keine Haftung.
Literatur
[25] Baldini A, Nota A, Tripodi D, Longoni S, Tecco S. Dental occlusion and sports performance: a critical review. Gazzetta Medica Italiana Arch Sci Med 2013; 172(10):791-7.
[26] Cesanelli L, Cesaretti G, Ylaitė B, Iovane A, Bianco A, Messina G. Occlusal Splints and Exercise Performance: A Systematic Review of Current Evidence. Int J Environ Res Public Health. 2021 Sep 30;18(19):10338. doi: 10.3390/ijerph181910338.
[27] Herzog J et al. Improvement of cervical spine mobility and stance stability by wearing a custom-made mandibular splint in male recreational athletes. PLoS one 2022
[28] Ferrario VF et al. A direct in vivo measurement oft he three-dimensional orientation oft he occlusal plane and oft he sagittal discrepancyof the jaws. Clin Orthod Res. 2000 Feb; 3(1):15-22
[29] Ashley P, Di Iorio A, Cole E, Tanday A, Needleman I. Oral health of elite athletes and association with performance: a systematic review. Br J Sports Med. 2015 Jan;49(1):14-9. doi: 10.1136/bjsports-2014-093617.
[30] Merle CL, Wuestenfeld JC, Fenkse F, Wolfarth B, Haak R, Schmalz G, Ziebolz D. The Significance of Oral Inflammation in Elite Sports: A Narrative Review. Sports Med Int Open. 2022 Dec 25;6(2):E69-E79. doi: 10.1055/a-1964-8538.
[31] Scherr J et al. 72-h Kinetics of Hihg-Sensitive Troponin T and Inflammatory Markers after Marathon. Medicine & Science in Sports & Exercise 43(10):p 1819-1827, October 2011. doi: 10.1249/MSS.0b013e31821b12eb.
[32] Nieman DC, Fagoaga OR, Butterworth DE, Warren BJ, Utter A, Davis JM, Henson DA, Nehlsen-Cannarella SL. Carbohydrate supplementation affects blood granulocyte and monocyte trafficking but not function after 2.5 h or running. Am J Clin Nutr. 1997 Jul;66(1):153-9. doi: 10.1093/ajcn/66.1.153.
[33] Nieman DC, Henson DA, Sampson CS, Herring JL, Suttles J, Conley M, Stone MH, Butterworth DE, Davis JM. The acute immune response to exhaustive resistance exercise. Int J Sports Med. 1995 Jul;16(5):322-8. doi: 10.1055/s-2007-973013.
[34] Borchers J, Merle CL, Schöneborn DD, Lyko LR, Thouet T, Wolfarth B, Kottmann T, Scheibenbogen C, Zimmer J, Diederich S, et al. Salivary Diagnostic for Monitoring Strenuous Exercise—A Pilot Study in a Cohort of Male Ultramarathon Runners. International Journal of Environmental Research and Public Health. 2022; 19(23):16110. doi: 10.3390/ijerph192316110.
[35] Meyle J, Chapple I. Molecular aspects of the pathogenesis of periodontitis. Periodontol 2000. 2015 Oct;69(1):7-17. doi: 10.1111/prd.12104.
[36] Frese C, Frese F, Kuhlmann S, Saure D, Reljic D, Staehle HJ, Wolff D. Effect of endurance training on dental erosion, caries, and saliva. Scand J Med Sci Sports. 2015 Jun;25(3):e319-26. doi: 10.1111/sms.12266.
[37] O'Toole S, Bernabé E, Moazzez R, Bartlett D. Timing of dietary acid intake and erosive tooth wear: A case-control study. J Dent. 2017 Jan;56:99-104. doi: 10.1016/j.jdent.2016.11.005.
[38] Ruben et al. A new in situ modelt o study erosive enamel wear, a clinical pilot study. J. Dent 2017,57: 32-37. doi: 10.1016/j.jdent.2016.12.002.
[39] Wegehaupt F, Günthart N, Sener B, Attin T. Prevention of erosive/abrasive enamel wear due to orange juice modified with dietary supplements. Oral Dis. 2011 Jul;17(5):508-14. doi: 10.1111/j.1601-0825.2011.01797.x.
[40] Wegehaupt FJ, Tauböck TT, Attin T. Durability of the anti-erosive effect of surfaces sealants under erosive abrasive conditions. Acta Odontol Scand. 2013 Sep;71(5):1188-94. doi: 10.3109/00016357.2012.757361.