Als sie zum Tisch zurückkehrt, sitzt dort ein ihr fremder Mann auf dem zweiten freien Stuhl. Der Mann hat es sich gemütlich gemacht, ist in die Karte vertieft und macht nicht den Eindruck, als hätte er vor, wieder aufzustehen. Wie reagiert sie am besten? Hier zwei Möglichkeiten.
Szene 1
Sie: „Sehen Sie nicht, dass dieser Tisch belegt ist?“
Er: „Als ich ankam, war er frei.“
Sie: „Aber ich habe doch extra meine Tasche auf den Stuhl gestellt.“
Er zuckt die Schultern.
Sie: „Das ist eine Unverschämtheit. Ich hole die Caféleitung.“
Er vertieft sich wieder in die Karte und ignoriert sie.
Szene 2
Sie: „Erlauben Sie, dass ich mich setze?“
Er: „Ich erwarte noch jemanden.“
Sie: „Das trifft sich gut. Ich auch.“
Der Mann legt die Karte zur Seite. „Wenn Sie auch noch jemanden erwarten, ist es von Vorteil, wenn Sie sich einen neuen Tisch suchen.“
Sie: „Leider ist kein anderer Tisch frei.“ Sie nimmt die Speisekarte und schaut hinein „Können Sie mir etwas empfehlen?“
In jeder sozialen Situation handeln wir aus, wer einen höheren Status hat und damit das Oberwasser in der Kommunikation behält. Statusspiele nennen das Tom Schmitt und Michael Esser in ihrem gleichnamigen Buch, in dem dieses Caféhausbeispiel beschrieben steht. Die Frau startet die Interaktion zunächst in einem höheren Status, denn ihr gehört der Tisch. Der Herr macht ihr diesen streitig. Wenn sie sich nun aufregt, verliert sie schnell an Souveränität und er kann ihre hilflose Art gut für sich nutzen, um statushöher zu werden.
Charmant die Stirn bieten
Das gelingt in der ersten Szene. Indem sie versucht, den Tisch zurückzugewinnen, gesteht sie zu, dass er ihn ihr abgenommen hat. Er zeigt sich unbeeindruckt, was ihm einen hohen Status verleiht. Denn damit macht er deutlich, dass es für ihn kein Thema gibt. Die Verhältnisse sind eindeutig: Er sitzt an seinem Tisch. Die Caféleitung wird der Dame auch nicht wirklich weiterhelfen können. Denn der Leiter möchte nur, dass sich alle Gäste gleich wohlfühlen. Und dafür sucht er Lösungen, unabhängig davon, wer den Tisch zuerst belegt hat.
Im zweiten Beispiel behält die Frau innerlich ihren hohen Status. Sie lässt sich nicht abwimmeln, wird aber auch nicht unfreundlich, sondern zeigt dem Herrn charmant ihre Stirn. Sie wird nicht weichen. Das gibt sie ihm zu verstehen. Und dann schwenkt sie auf ein neues Thema ein, indem sie sich bei ihrer Caféauswahl scheinbar von ihm beraten lässt. Sie spielt nach außen hin tief.
So könnte diese Szene weitergehen:
Er winkt nach dem Kellner: „Herr Ober, die Dame sucht einen anderen Tisch.“
Sie: „Aber nein, wie könnte ich auf Ihre charmante Gesellschaft verzichten wollen?“
Hier bleibt sie absolut überlegen, sie schmeichelt ihm, verfolgt aber konsequent ihr Ziel: Er soll den Tisch freigeben. Dieses Verhalten schwächt seine Position deutlich. Denn obwohl sie sich in einer Auseinandersetzung befinden, bei der nur einer von beiden gewinnen kann, bleibt sie durchgängig höflich und charmant. Dieses Verhalten bezeichnen Tom Schmitt und Michael Esser als charismatisch: Eine Person ist sich innerlich absolut ihres hohen Status bewusst und zweifelt nicht daran. Sie ist souverän und weiß, dass sie sich durchsetzen wird. Nach außen hin bleibt sie konsequent höflich und zuvorkommend und nimmt sogar einen tieferen Status ein, indem sie sich beraten lässt, um Unterstützung bittet oder sich hilfsbereit zeigt.
Der Patientenstatus verändert sich
In der täglichen Kommunikation sind wir immer wieder in Statusspielen verwoben. Jeder bringt einen sozialen Status mit – je ähnlicher dieser ist, umso mehr wird gespielt. Das können Sie in Ihrer Praxis gut beobachten. Patienten sind grundsätzlich statusniedriger als der Arzt. Das hat Tradition. In den vergangenen zehn Jahren hat sich diese Tradition deutlich entwickelt. Nicht alle Patienten sind devot und dazu bereit, zwei Stunden zu warten oder einen Termin in acht Wochen zu akzeptieren.
Auch folgen Patienten nicht mehr uneingeschränkt den Empfehlungen und Anweisungen des Arztes. Sie haben sich emanzipiert, recherchieren selbst, holen sich eine zweite Meinung und stellen sogar Forderungen an den Arzt, weil sie sich mehr als Kunden wahrnehmen. Und der Kunde ist bekanntlich ein König. Hier kann es schon mal zu einer Verhandlung kommen. Wer hat letztlich das Sagen? Wer entscheidet über die Therapie? Wer entscheidet über die Kosten? Welche Alternative gibt es?
Nicht auf Kompetenzgerangel einlassen
Wenn nun der Patient im Leben außerhalb der Praxis einen höheren sozialen Status hat als Sie, ist es besonders interessant. Denn dieser Patient wird versuchen, Sie als Dienstleister in eine niedrigere Position zu bringen, um sich selbst so wertig zu fühlen wie außerhalb der Praxis. Gewinnen können Sie die Herzen dieser Menschen auch mit obiger Haltung: Absolut kompetent und souverän in Ihrem Fach, nach außen hin aber dienstleistungsorientiert, charmant und höflich. Kurz: innen hoch und außen tief.
Würden Sie die Variante „innen hoch und außen hoch“ wählen, käme es vermutlich zu einem Kompetenzgerangel und Ihr Patient würde Gefallen daran finden, Ihnen nachzuweisen, dass Sie Fehler machen, Dinge falsch einschätzen oder der Kostenrahmen unangemessen ist. Er würde etwas finden, um sich mit Ihnen auseinanderzusetzen.
Status im Team
Auch Mitarbeiterinnen möchten in ihrem Status gewürdigt werden. Sie stehen grundsätzlich unterhalb des Chefs. Sind sie aber in einem Fachgebiet besonders kompetent, möchten sie hier auch ihren Status genießen und in ihrer Kompetenz anerkannt werden. Die Würdigung vom Chef für Kompetenz und Leistungsfähigkeit spielt deswegen eine besondere Rolle. Auch das Abgeben von wichtigen Aufgaben in die kompetenten Hände einer Mitarbeiterin verschafft ihr einen Status. Auch innerhalb des Teams.
Gut eingespielte Teams nehmen in der Regel die Haltung „innen tief und außen tief“ ein. Keine Person will besser sein als die andere, alle helfen sich gegenseitig und alle wissen, dass es mehr Kompetenz um sie herum gibt. Wenn sich alle an diese Spielregeln halten, gibt es wenig Konflikte.
Transparenz im Team
Sollte sich eine Person aus der Gruppe herausnehmen und versuchen, mit einem höheren Status zu agieren, kann es schwierig werden. Vor allem dann, wenn sie innerlich tief bleibt – also keine besonderen Kompetenzen aufweisen kann –, aber nach außen hin eine tragende Rolle beansprucht. Seitens der Führung ist hier Fingerspitzengefühl gefordert. Wenn eine Person herausgehoben wird, ist es wichtig, dass das gesamte Team erfährt, wie es zu dieser Entscheidung kam. Alle Mitglieder im Team sollen nachvollziehen können oder am besten mitentscheiden, wer welche Verantwortung in die Hand bekommt.
Diese konsequente Transparenz und die Möglichkeit, gemeinsam die Aufgaben zu verteilen, hilft, unguten Statusspielen vorzubeugen. Auch wenn der Prozess etwas aufwendiger ist und Sie vermutlich mit dem Team ein paar Runden drehen müssen, bis alle Aufgaben auf dem Tisch liegen, klar beschrieben und fair verteilt sind, lohnt sich dieser Aufwand für die Zufriedenheit und für die gute Stimmung im Team.
Falscher Status schadet
Gelingt das nicht hinlänglich gut, besteht die Gefahr, dass eine Mitarbeiterin nach außen einen hohen Status einnimmt. Diese Haltung wird als arrogant und unangenehm wahrgenommen. Menschen in dieser Haltung versuchen sich durchzusetzen, obwohl sie nicht mehr wissen oder können als andere, sie werden laut, handeln ohne das Team, versuchen Anweisungen zu geben und verspielen sich leicht die Sympathie.
Auch gegenüber den Patienten zeigen sie ein Verhalten, das Distanz schafft. Sie geben dem anderen das Gefühl, dass er sich ihren Vorstellungen unterzuordnen hat. Und wem gefällt das schon?
Dabei werden sie nicht einmal respektiert, denn jeder nimmt intuitiv wahr, dass im innerlichen tiefen Status gespielt wird. Oft versuchen sie auch, den äußeren Hochstatus mit Attributen zu unterstützen: Sie fahren ein großes Auto, besitzen ein teures Handy, sprechen über ihre Fernreisen, bevorzugen entsprechende Kleidung, Hobbys etc. Oder sie schmücken sich mit dem höheren sozialen Status des Partners.
Da das nicht notwendig ist, wenn man sich innerlich souverän und kompetent fühlt, können Sie nach außen hin so oft wie möglich im niedrigen Status agieren und so jeden Caféhaustisch und die unterschiedlichsten Menschen für sich einnehmen.