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Ortstermin bei einer Zahnärztin im Katastrophengebiet

Die Dorfgemeinschaft wird von vielen freiwilligen Helfern unterstützt.

Die Dorfgemeinschaft wird von vielen freiwilligen Helfern unterstützt.

Wir sind zu Besuch im Ahrtal. Genau vier Wochen nach der Flut. In Heimersheim, einem 3.000-Seelen-Ortsteil von Bad Neuenahr-Ahrweiler. Man hört lautes Hämmern und sieht viele Schuttberge: Nach der Reinigung der Straßen ist man jetzt in vielen Häusern damit beschäftigt, den Putz von den nassen Wänden abzuklopfen. Einheimische und die zahlreichen freiwilligen Helfer sind immer noch schlammüberbezogen.

„Das Helfen stand einfach im Vordergrund“

„Sehr geehrte Patienten, unsere Zahnarztpraxis ist dank eines Stromaggregats versorgt! Unser Behandlungswasser wird gefiltert! Wir sind wieder für Sie da“, verkündet die Praxis von Dr. Heike Rump-Schaefer zwei Wochen nach der Flut.

„Sehr geehrte Patienten, unsere Zahnarztpraxis ist dank eines Stromaggregats versorgt! Unser Behandlungswasser wird gefiltert! Wir sind wieder für Sie da“, verkündet die Praxis von Dr. Heike Rump-Schaefer zwei Wochen nach der Flut.

Heimersheim hat einen Allgemeinmediziner, der seine Praxis in die Gemeindebibliothek verlegen musste. Und Heimersheim hat eine Zahnärztin: Dr. Heike Rump-Schaefer. Ihre Praxis im 1. Obergeschoss wurde nicht geflutet und sie hat es recht schnell geschafft, mit viel Eigeninitiative einen zum Teil noch improvisierten Betrieb wieder aufzunehmen. Notfallpatienten und Senioren, die alles samt ihren Prothesen verloren haben, versorgt sie in ihrer Praxis. Und sie ist inzwischen in der Lage, ihre Praxisräume Kollegen zur Verfügung zu stellen, die ihre eigenen nicht nutzen können.

Dabei hatte auch sie zunächst kein fließendes Wasser, keinen Strom, kein Telefon und kein Internet. Aber Rump-Schaefer kann organisieren. Erst hat sie nur ein kleines Notstromaggregat, das ausreichte, um auf einem Stuhl Notfallpatienten zu behandeln, bei zusätzlicher Beleuchtung durch die Patienten mit ihren Handys, fast wie bei ihren Hilfseinsätzen für Dentists for Africa. Für mehr reicht der Strom noch nicht.

Über Aushänge und durch Mund-Propaganda macht sie auf die geöffnete Praxis aufmerksam. „Einige Patienten, die kommen, haben eine großes Redebedürfnis, dann bin ich mehr Seelsorgerin als Zahnärztin. Das Erlebte setzt vielen zu, es gibt Schicksale, die auch mir schwer zu schaffen machen. Eine Folge davon ist, dass mehr Patienten als sonst eine Knirscherschiene benötigen.“

Zwölf Tage nach der Flut steht Rump-Schaefer ein dieselgetriebenes Stromaggregat für den Praxisbetrieb zur Verfügung.

Zwölf Tage nach der Flut steht Rump-Schaefer ein dieselgetriebenes Stromaggregat für den Praxisbetrieb zur Verfügung.

Immer wieder erzählt sie von Menschen, die es gerade noch aus den Fluten geschafft haben oder eben auch nicht mehr. Besonders zu Herzen geht das Schicksal einer Familie, die seit mehr als 25 Jahren ihre Patienten waren. Eines Tages stand die Kripo vor der Tür und wollte die Patientenakten einsehen. „Mithilfe der Röntgenaufnahmen der Gebisse war es letztlich möglich, die Leichen der Eltern eindeutig zu identifizieren, der Sohn ist immer noch vermisst. Der Fluchtversuch in letzter Minute mit dem eigenen Auto wurde zur Todesfahrt. Dass ich einmal zur Identifizierung von Toten beitragen muss, das war für mich unvorstellbar, das ist eine Situation, die man nur in Krimis sehen möchte“, schildert die Zahnärztin noch immer sichtlich aufgewühlt.   

Dank Rump-Schaefers Umtriebigkeit und Ausdauer fährt die Feuerwehr zwölf Tage nach der Flut ein dieselgetriebenes Stromaggregat in ihren Hof, was einem Triumph gleichkommt. Endlich ist wieder ausreichend Strom vorhanden, um die Praxis zu betreiben. Auch für die Wasserversorgung hat sie inzwischen eine Lösung gefunden: Ein Bottle-System versorgt die Behandlungsstühle, denn das Leitungswasser ist nach wie vor weder zum Trinken noch zum Zähneputzen geeignet.

Derzeit sind viele ihrer Patienten Senioren, die ihre Zahnprothesen in der Flut verloren haben.

Derzeit sind viele ihrer Patienten Senioren, die ihre Zahnprothesen in der Flut verloren haben.

Als wir zu Gast in Heimersheim sind, ist gerade das Stromnetz wieder in Betrieb und Telefon und Internet funktionieren wieder. Auch ihr Kompressor hat überlebt, obwohl er im Keller stand, der auch vom Hochwasser betroffen war. Ein Glück, denn so kann sie auch wieder aufwendigere Behandlungen vornehmen, wie die von Frau Schmidt (Name von der Redaktion verändert).

Die 72-Jährige hat nur dank ihres Nachbarn überlebt, der sie in der Nacht durch Klopfen in ihrer Souterrainwohnung nahe der Ahr weckte und ihr damit das Leben rettete. In buchstäblich letzter Sekunde konnte sie den Wassermassen entkommen, verlor aber ansonsten alles. Auch ihre Zahnprothese, die sie vor dem Schlafen gut gereinigt abgelegt hatte. „Ich hatte nichts mehr, alles, was ich heute besitze, ist gespendet“, erzählt uns die Seniorin.

Sie lobt die Arbeit der Rettungskräfte, das THW, das sie die ersten zehn Tage in einer Notunterkunft einquartierte und ihr in vielerlei Hinsicht half. Eine Helferin dort vermittelte auch den Kontakt zu Dr. Rump-Schaefer, die auf schnellstem Wege unbürokratisch für einen provisorischen Ersatz der Dritten sorgte. Für die endgültige Prothese fanden die Zahnärztin und ihr Dentaltechniker dann eine geeignete Lösung mit zwei Teleskopprothesen.

Da anfangs das Computersystem der Praxis nicht funktionierte, konnte kein formaler Heil- und Kostenplan erstellt werden. Hier zeigte sich die Krankenkasse kulant, dank der direkten Nachfrage durch die Zahnarztpraxis wurde die Behandlung trotzdem ermöglicht. Jetzt sitzt Frau Schmidt im Stuhl zur Wachsanprobe und schon bald werden die Prothesen fertig sein und zumindest den Verlust der Zähne wird sie schon bald hinter sich lassen können.

Großer kollegialer Zusammenhalt

Heike Rump-Schaefer lobt den kollegialen Zusammenhalt innerhalb der Zahnärzteschaft. Sie konnte den Steri einer Kollegin im benachbarten Mayen nutzen, und selbst aus Koblenz bekam sie Hilfsangebote. Sie selbst stellt ihre Praxis inzwischen freitags und samstags kostenfrei für Kollegen zur Verfügung, die nicht mehr in der eigenen Praxis tätig sein können. Das Angebot wird gerne angenommen, vor allem für Notfallbehandlungen und das Einsetzen angefangener Arbeiten.

Auch die KZV Rheinland-Pfalz hat schnell reagiert und die Praxen im Katastrophengebiet mit mobilen Kartenlesegeräten versorgt. Das Einlesen und Abrechnen funktioniert also wieder. „Anfangs ging das nicht, ich habe trotzdem behandelt, das Helfen stand einfach im Vordergrund“, so Rump-Schaefer. Auch der Zusammenhalt in Heimersheim ist herausragend.

„Das ganze Dorf steht füreinander ein. Zunächst hat der Metzger damit begonnen, jeden Mittag viele Mittagessen zu kochen, die dann von Freiwilligen, auch von mir, verteilt wurden.“ Inzwischen steht auf dem zentralen kleinen Platz zwischen der Zahnarztpraxis und der Kirche ein Zelt des DRK Niedersachsen und die Verpflegung von Einheimischen und Helfern erfährt Unterstützung durch das zentrale Krisenmanagement. Auch eine Tauschbörse und ein Infostand, etwa zur Beantragung von Soforthilfe, sind hier anzutreffen und wohl auch immer ein einheimischer oder zugereister Helfer mit einem offenen Ohr und einer hilfreichen Idee.

Trotzdem ist auch Heike Rump-Schaefer nicht frei von Zukunftssorgen. Ihre Patienten haben derzeit andere Prioritäten als an Prophylaxe zu denken. Auch werden einige von der Flut Betroffene Heimersheim und die Region verlassen. Wie groß die wirtschaftlichen Einbußen für ihre Praxis sein werden, wird sich zeigen. Sie will sich aber nicht unterkriegen lassen. Sie hält daran fest, im kommenden Jahr mit ihrem Sohn in ihren Räumen eine Praxisgemeinschaft zu gründen. Das Leben muss ja weitergehen, irgendwie, für Frau Schmidt, das Dorf und alle Menschen in den Hochwassergebieten.

Brigitte Dinkloh und Dr. Helge David