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Problembewältigung: Chef und Team müssen die Werte des anderen kennen

Simona M. ist 23 Jahre alt, und seit ihrer Ausbildung hat sie bereits zweimal den Arbeitsplatz gewechselt – das Betriebsklima war schlecht. Auch jetzt spielt sie mit dem Gedanken zu kündigen, weil sie sich von ihrem Chef nicht wertgeschätzt fühlt. Was auch immer sie macht, es scheint nie richtig zu sein. Simona hat es aufgegeben, sich zu bemühen. „Den Unterschied bekommt mein Chef doch sowieso nicht mit“, sagt sie. Und sie ergänzt: „Zumindest sind seine Reaktionen immer gleich.“ Hat sie eine Aufgabe erledigt, bekommt sie statt eines Lobs gleich die nächste Aufgabe. Es ist fast so, als würde Simona für gute und schnelle Arbeit mit Mehrarbeit bestraft werden.

Simonas Klagen sind nicht aus der Luft gegriffen. Tatsächlich lobt Simonas Chef sie nicht, sondern fordert von ihr mehr Initiative, mehr Motivation, mehr Leistung und noch mehr Disziplin bei der Arbeit. Simonas Chef Dr. Kluge (58 Jahre alt) macht sich Sorgen – im letzten Quartal sind die Gewinne ebenso wie die Patientenzahlen zurückgegangen. Um Neupatienten zu gewinnen, sollen die Sprechzeiten ausgedehnt werden. „Deshalb müssten jetzt alle mit anpacken und an einem Strang ziehen“, erklärt Kluge. Er begreift nicht, weshalb seine Mitarbeiter nicht mitziehen. „Sie müssten doch selbst ein Interesse daran haben, dass die Praxis weiterhin Patienten behandeln und Mitarbeiter beschäftigen kann.“

Mitarbeiter aus Zahnarztpraxen schildern oft derartige Probleme. Der Chef wünscht sich gut ausgebildete und engagierte Mitarbeiter. Die Mitarbeiter wünschen sich einen Chef, der ihnen Wertschätzung und Respekt entgegenbringt. Eigentlich ist das kein Wiederspruch. Und doch missverstehen sich Mitarbeiter und Chefs häufig.

Im Praxisalltag sind die Reaktionen der Mitarbeiter unterschiedlich. Die einen passen ihre Arbeitszeiten den neuen Sprechzeiten an und steigern weiter ihre Arbeitsleistung. Die anderen lehnen Veränderungen ab. Sie fragen sich, was sie mit den Patientenrückgängen zu tun haben und warum sie deswegen auch noch leiden sollen.

Kluge freut sich über jene, die sich neuen Herausforderungen stellen, und ärgert sich über diejenigen, die blockieren. Wie er das beeinflussen kann, weiß er nicht, da er das Wertesystem seiner eigenen Praxis nicht kennt. Ihm geht es wie einem Kapitän mit einem nicht manövrierbaren Schiff.

Das Wertesystem der Praxis gibt den Mitarbeitern Leitplanken, innerhalb derer sie sich bewegen können. Werte geben den Zielen ihre Bedeutung und verleihen dem Handeln einen Sinn. Für die Identifikation mit der Praxis brauchen Mitarbeiter zum einen gemeinsame Werte und Motive. Zum anderen müssen sie Einfluss darauf haben, wie sie die gestellten Erwartungen im Team umsetzen.

Harmonie kann sich nur einstellen, wenn alle ähnliche Werte vertreten oder zumindest die Werte der anderen tragen können. Heterogene Teams haben oft unterschiedliche Wertesysteme. Darin liegt ein enormes Konfliktpotenzial. Die individuellen Werte transparent zu machen, ist also nicht nur für die Praxis wichtig, sondern auch eine Grundlage für das Miteinander in einem funktionierenden Team.

Welche Generationen haben welche Werte?

Tabelle Generationen in der Arbeitswelt

Da sich die Grundwerte einer Gesellschaft im Laufe der Zeit verändern, vertreten verschiedene Generationen (Altersgruppen) verschiedene Werte. Ein Blick auf die in einem Praxisteam vorhandenen Generationen hilft, die Basis für unterschiedliche Werte zu verstehen und dann natürlich auch zu akzeptieren.

Der Wirtschaftswissenschaftler Christian Scholz teilt die arbeitende Bevölkerung in vier Generationen auf. Kluge ist in der Nachkriegszeit geboren und gehört damit zur „Generation Babyboomer“. Idealismus, Kreativität, Freiheit, Toleranz und Selbstverwirklichung sind Werte, die aufgrund des Krieges unvorstellbar waren und nach Beendigung umso wichtiger wurden. Dies wirkt sich natürlich auch auf die arbeitsbezogenen Werte aus. Den Babyboomern werden Arbeitssucht, Kritik, Fortschrittsgedanke, Weiterentwicklung und Besitzgier zugeschrieben. In der Erfahrungswelt von Kluge wird die Identifikation mit dem eigenen Unternehmen als sehr hoch bewertet. Harte Arbeit wird mit Wohlstand verbunden. Er ist in einer Welt aufgewachsen, in der die Zugehörigkeit zu einem Unternehmen eine Ehre ist. Lob ist zweitrangig.

Simona hingegen gehört mit ihren 23 Jahren der „Generation Y“ an. Das Ende des kalten Krieges, der Mauerfall, fragile Familienstrukturen, die Terroranschläge vom 11. September und die Einführung des Internets prägen das Streben nach Zusammengehörigkeit, einem positiven Weltbild, Anstand und Vertrauen. In der Arbeitswelt sucht die Generation Y Balance, Leidenschaft, Lernbereitschaft, Sicherheit und Arbeitsbereitschaft. Simona lebt in einer Welt, in der Wohlstand nichts mit harter Arbeit, sondern mit Glück zu tun hat. Die Identifikation mit der Praxis ist für sie nicht aufgrund der Betriebszugehörigkeit gegeben, sondern muss vom Chef verdient werden. Ihre Motivation ist also eine völlig andere als die von Kluge. Sie vertritt moralische und ideelle Werte und fragt stets nach dem übergeordneten Sinn, anstatt bloß Befehle zu befolgen

Im Praxisalltag spürt man unterschiedliche Werte kaum. In Krisen zeigen sie sich aber schnell und deutlich. Jeder bekommt von seinem „Werte-Kompass“ eine andere Richtung angezeigt und versteht das Verhalten der Kollegen nicht. Wenn Kluge zum „gemeinsamen Anpacken“ auffordert, um die Praxis erfolgreicher zu machen, werden ihm nur die Mitarbeiter folgen, deren Wertesysteme mit seinem in Einklang stehen. Den anderen fehlt es an Transparenz und damit am Verständnis für die Situation und die Bedürfnisse.

Welche Werte bringt die nächste Generation?

Inzwischen rückt die selbstbewusste neue „Generation Z“ nach. Ihre Mitglieder sind Individualisten, die sich auf ihre eigenen Ziele konzentrieren. Sie sind mit dem Internet aufgewachsen („digital natives“) und können Informationsfluten selektiv verarbeiten.

Da sie ihre guten Chancen auf dem Arbeitsmarkt kennen, gehen sie mit dem Chef lediglich für eine befristete Zeit eine Zweckgemeinschaft ein. Ihre Wechselbereitschaft ist hoch, sie machen keine langfristigen Pläne. Angesichts der dynamischen Entwicklung gewinnen konkrete und transparente Praxiswerte als grundlegendes Führungsinstrument immer mehr an Bedeutung.

So kommen Werte in die Praxis

Schaubild Konfliktpotenzial in einem heterogenen Praxisteam

Praxiswerte ermitteln: Die Werte einer Praxis zu ermitteln, ist eine Herausforderung, die Erfahrung und geeignete Werkzeuge voraussetzt. Ohne Hilfestellung können die meisten Menschen ihr eigenes Wertesystem nicht vollständig wiedergeben. Welche Werte das Praxisteam aus eigener Überzeugung lebt, muss nicht mit der Wunschvorstellung des Praxisinhabers oder anderen Meinungsführern übereinstimmen. Daher macht es keinen Sinn, einfach ein Wertesystem von oben vorzugeben und die Umsetzung im Praxisalltag anzuordnen.
Praxistipp: Ermitteln Sie Ihre Praxiswerte schnell und einfach mit dem Werte-Navigator.

Die Praxisbegleiter der How are you, doc GbR (Isernhagen) haben eine Systematik entwickelt, um anhand von 40 Grundwerten die Werte aller Beteiligten zu ermitteln und daraus das gemeinsam getragene Wertesystem der Praxis abzuleiten.

Praxiswerte verstärken: Um die Praxiswerte im gesamten Praxisteam zu festigen, müssen sie bewusst gemacht und verstärkt werden.
Praxistipp: Entwickeln Sie im Team konkrete Regeln, Konzepte und Rituale, um die Praxiswerte im Alltag zu leben.

Jeder sollte auf die Missachtung von Werten klar und deutlich reagieren. Sonst führt das unerwünschte Verhalten zu unnötigen Konflikten.
Praxistipp: Legen Sie in einer Teamsitzung fest, wie man sich in solchen Fällen verhalten soll.

Praxiswerte vorleben

Eine wichtige Voraussetzung für die Akzeptanz von Praxiswerten ist die Vorbildfunktion des Chefs. Die Werte der Praxis sollten für jeden Mitarbeiter deutlich am Verhalten des Chefs erkennbar sein. Wenn in der Praxis zum Beispiel dem Wert Gerechtigkeit eine hohe Bedeutung beigemessen wird, sollte der Chef darauf achten, Mitarbeiter für gleiches Verhalten gleich zu behandeln.
Praxistipp: Sammeln und kultivieren Sie Geschichten, die veranschaulichen, wie Sie Ihre Praxiswerte leben.

Individuelle Werte respektieren

Transparente Werte wirken sich positiv auf die Gruppe aus. Entscheidend ist, dass jeder für sich seine individuellen Werte und die Praxiswerte als bedeutend anerkennt, um danach zu leben und zu handeln. Erfolgreiche Teams nutzen die positive Energie gemeinsamer Werte und lassen gleichzeitig jedem Einzelnen genug Raum für seine Persönlichkeit. Wenn Sie zum Beispiel wissen, dass der Wert Höflichkeit für eine Kollegin unwichtiger ist als für Sie selbst, können Sie mit mehr Gelassenheit Konflikte verhindern.
Praxistipp: Analysieren Sie mit dem Werte-Navigator, an welchen Stellen im Team Konfliktpotenzial aufgrund von unterschiedlichen Werten besteht, und besprechen Sie im Team geeignete Maßnahmen, um wertschätzend miteinander umzugehen.

Praxiswerte lassen sich leicht ermitteln. Praxiswerte zu leben, ist aber ein langfristig ausgelegtes Projekt. Hierbei geht es um die wesentlichste aller Ressourcen: die Mitarbeiter und die Bindung dieser an die Praxis. Geteilte Werte erhöhen das Gefühl von Zugehörigkeit, verhindern Konflikte und führen gleichzeitig dazu, dass Verantwortung für Veränderungen übernommen wird.

In diesem Sinne: Seien Sie neugierig und gehen Sie wertschätzend miteinander um!