Läuft es jetzt rund bei der Pflege? Das Bundesgesundheitsministerium legt ein Eckpunktepapier „Sofortprogramm Kranken- und Altenpflege“ vor. Es soll am 1. Januar 2019 in Kraft treten und hat ein geschätztes Finanzvolumen von 650 Millionen bis einer Milliarde Euro. Finanzieren sollen das Sofortprogramm die Kostenträger. Erst einmal. Letztlich hat Jens Spahn eine Beitragserhöhung zur Pflegeversicherung schon ins Spiel gebracht.
Tue Gutes und rede ziemlich laut darüber, getreu diesem Motto trat Jens Spahn auf den Plan und tat, wofür er als Minister angetreten sein will. Er handelt. Gegen die Lähmung, in die sich die Selbstverwaltung versetzt hat, setzt der Minister nun politisches Handeln. Da mögen nun politische Gegner und andere Interessenvertreter noch lauter lamentieren, das sei alles zu wenig, zu unkonkret, zu irgendwas. Sie mögen mit ihren Argumenten auch alle irgendwie recht haben. Was bleibt: Es kommt endlich Bewegung in die Starre. Und das ist gut so.
Sofort beginnt 2019
Das Sofortprogramm will 13.000 neue Pflegestellen allein in den Pflegeeinrichtungen schaffen. Hinzu kommen finanzielle Anreize für Krankenhäuser, neues Pflegepersonal einzustellen – verbunden mit der steilen Ansage „im Krankenhaus Pflegepersonaluntergrenzen für alle bettenführenden Abteilungen“ einzuführen. Bei knapp 2.000 Krankenhäusern deutschlandweit kommen da sicherlich noch einige Stellen hinzu. Sind also in der Summe 13.000 plus x Stellen – und das x könnte ebenfalls vierstellig ausfallen. Das ist natürlich immer noch weniger als der geschätzte Bedarf in der Alten- und Krankenpflege von 35.000 Stellen. Andere rufen jetzt schon laut nach 60.000 (VdK) oder gar 100.000 (Die Linke).
Im Krankenhausbereich werden allerlei finanzielle Anreize gegeben, die von den Kassen jetzt vollständig refinanziert werden sollen. Das betrifft jede neue Pflegekraft, die Tarifsteigerungen für die Pflegekräfte, das erste Ausbildungsjahr, die Vergütung bei erhöhtem Pflegebedarf bis hin zur krankenhausindividuellen Pflegepersonalkostenerstattung. Und Jens Spahn ist ein schlauer Fuchs: Das Ganze kostet das BMG keinen müden Euro aus dem eigenen – recht stattlichen – Etat.
Im Bereich der Pflegeeinrichtung sollen 13.000 zusätzliche Pflegekräfte finanziert werden. Einrichtungen mit bis zu 40 Bewohnern erhalten eine halbe Pflegestelle, Einrichtungen mit 41 bis 80 Bewohnern eine Pflegestelle, Einrichtungen mit 81 bis 120 Bewohnern eineinhalb und Einrichtungen mit mehr als 120 Bewohnern zwei Pflegestellen zusätzlich. Auch wird die Finanzierung für das erste Ausbildungsjahr ab 2020 übernommen und Digitalisierungsinvestitionen, die vor allem der Entbürokratisierung dienen, werden gefördert.
Kooperationsverträge: Von soll zu muss
Nach in Kraft treten von Paragraf 22a SGB V haben Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderungen einen gesetzlichen Anspruch auf „Maßnahmen zur Verhütung von Zahnerkrankungen“. Auch auf diesen Zug springt das Sofortprogramm kreativ auf. „Um die Entwicklung der Kooperationen zu beschleunigen, wird die Verpflichtung der Pflegeeinrichtungen, Kooperationsverträge mit geeigneten vertrags(zahn)ärztlichen Leistungserbringern zu schließen, verbindlicher ausgestaltet. Die bisherige Soll-Regelung wird durch eine Muss-Regelung ersetzt. Die KVen werden zudem verpflichtet, bei Vorliegen eines Antrags einer Pflegeeinrichtung zur Vermittlung eines Kooperationsvertrags einen entsprechenden Vertrag innerhalb einer Frist von drei Monaten zu vermitteln.“ Hier hat das BMG gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen.
Der tapfere Ministerlein verbessert die viel angeprangerte Situation in der Seniorenzahnmedizin (DZW-Schwerpunkt in Ausgabe 4/2018 und 5/2018). Zugleich delegiert er die Vermittlungsarbeit an die KVen, die sich auch prompt dafür bedankt haben. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Mission accomplished. Die Situation in den Pflegeinrichtungen verbessert, ohne sich die Finger schmutzig gemacht zu haben. Arbeit verteilt, und auch hier keine Kosten für das BMG. Bei so viel kreativer Energie bleibt nur der Hut zu lüften – Chapeau! Wer die gesundheitspolitischen Bälle so geschickt jonglieren kann, hat auch mehr Zeit für Fernsehauftritte.
Bestimmt gut gemeint, aber mit einem schalen Beigeschmack sind die Maßnahmen zur „Steigerung der Attraktivität“ der Pflegeberufe. Zum einen werden „Leistungen zur Gesundheitsförderung“ aufgestockt. Da wird also in das Durchhaltepotenzial des vorhandenen Personals investiert. Gesund bleiben für geringe Fehlzeiten. Bezahlt von den Krankenkassen. Dazu wird die Vereinbarkeit von Beruf und Familie mal wieder zur Frauensache deklariert, und Maßnahmen zur Deckung „besonderer Betreuungsbedarfe“ jenseits der üblichen Öffnungszeiten von Kitas werden gefördert. Das soll die „Familienfreundlichkeit“ steigern. Das klingt ein wenig nach grünem Tisch. Hier wird nicht Arbeit politisch gestaltet, sondern die Verfügbarkeit von Arbeit optimiert. Ob das die Pflegeberufe schon attraktiver macht?