Es war einmal eine Zeit, in der in der Dentalwelt Milch und Honig flossen. Die Patienten kamen, sobald das Praxisschild stand, und Wärme und Sicherheit umwogte die dentale Kleinfamilie. So soll es immer bleiben, beschloss der Rat der Ältesten. „So soll es immer bleiben“, hieß es fortan mantraartig.
Die Welt aber drehte sich dennoch weiter – Tag für Tag – Jahr für Jahr. Dentale Großfamilien entstanden, und immer mehr Frauen gründeten eigene dentale Kleinfamilien. „Es bleibt, wie es immer war“, darauf bestand der Rat der Ältesten. Und so kam, was kommen musste. Der angeblich böse Wolf kam ins Spiel und will am liebsten alle fressen. Und: Ein kleines weibliches Dorf leistet Widerstand. Noch fehlt der Zaubertrank, aber eine Druidin ist schon auserkoren, alte Zöpfe abzuschneiden.
Fakten, Fakten und Fiktionen
Mehr als 13 Milliarden Euro haben die KZVen über die Primär- und Ersatzkassen abgerechnet. Der gesamte Dentalmarkt ist gut 25 Milliarden Euro schwer. Das ist ein großes Stück Kuchen, auf das viele hungrige Augen gerichtet sind. Traditionell üben Zahnärzte in Deutschland ihren Beruf in einer Einzelpraxis aus, aber das Berufsbild als Einzelkämpfer unterliegt einem Wandel. Die Zahl der Gemeinschaftspraxen – oder sprachreguliert: „Berufsausübungsgemeinschaften“ – liegt seit 15 Jahren konstant bei knapp 20 Prozent. Ende 2017 gab es 61.852 behandelnde Zahnärzte – davon 11.218 angestellt tätige Zahnärzte. Das sind rund 18 Prozent. Im 2. Quartal 2017 gab es in Deutschland 359 MVZ mit 1.140 angestellten Zahnärzten. Zum Vergleich: Ende 2015 gab es 46 MVZ mit 221 angestellten Zahnärzten. Das bedeutet einen Anstieg um gut das Siebenfache in weniger als zwei Jahren. Die Zahl der angestellten Zahnärzte wuchs im selben Zeitraum um 500 Prozent.
Rein zahnärztliche MVZ sind erst seit 2015 mit dem Versorgungsstärkungsgesetz erlaubt. Damit sollte die Versorgung in strukturschwachen Regionen gefördert werden. Zudem sollte durch kooperative Versorgungsformen eine höhere Effizienz durch zentralisierte Aufgabenbereiche erreicht werden. Anfangs nutzten vor allem Vertragszahnärzte diese Möglichkeit, um über die sonst eng gesetzten Grenzen zu wachsen. Über den Umweg eines Plankrankenhauses oder einer Dialyseeinrichtung ist auch Investoren der Einstieg in die Welt der MVZ möglich geworden. Finanzstarke Investoren können nun den zahnärztlichen Gesundheitsmarkt in Teilen neu sortieren. Im Vereinigten Königreich und in Skandinavien ist diese Entwicklung schon fortgeschritten. Auch in Deutschland sind Praxisketten mit einheitlichem Corporate Design und zentralisierten Aufgabenbereichen wie beispielsweise die Abrechnung denkbar.
Wirtschaftlich ist ein MVZ gegenüber Freiberuflern im Vorteil. MVZ können unbegrenzt viele Zahnärzte in Voll- und Teilzeit anstellen, ein Vertragszahnarzt nur maximal zwei Vollzeitstellen pro Praxisstandort. Seit Investoren den deutschen Gesundheitsmarkt für sich entdeckt haben, schrillen bei den Standesvertretungen die Alarmglocken. KZBV-Chef Dr. Wolfgang Eßer: „Das Großkapital hat im vergangenen Jahr den Markt entdeckt und findet hier beste Strukturen. Wir stehen an einem Punkt, an dem es nur zwei Wege zu geben scheint: Großversorger im Schutze eines MVZ und diejenigen Kollegen, die die restliche Arbeit machen. Eines sollte uns allen klar sein: Mit Versorgung haben die [Investoren A.d.R.] nichts im Sinn.“ Reflexartig wird Freiberuflichkeit mit Versorgung gleichgesetzt und Investor mit reinem Profit. Als würden im MVZ angestellte Zahnärzte keinen ethischen Verpflichtungen unterliegen und freiberufliche Zahnärzte nicht auch als Unternehmer denken und handeln.
Wird die dentale Welt untergehen?
Vermutlich weder heute noch morgen. Aber es gibt noch weitere disruptive Prozesse, die die dentale Welt derzeit umkrempeln. Neben der Digitalisierung sind es vor allem demografische Entwicklungen: Die Praxisbesitzer werden immer älter. Gleichzeitig sinkt die Zahl der jungen Zahnärzte, die sich niederlassen wollen. Beide Entwicklungen werden sich in den kommenden Jahren noch verstärken: sinkende Gründungswilligkeit bei steigender Nachfolgesuche. Investoren werden diese Lücke schließen und einen Trend, den zum angestellten Zahnarzt, befeuern. Das Angebot für angestellte Zahnärzte wird zunehmen und sich vielfältiger gestalten.
„Die Zahnmedizin wird weiblich“, dieser zu oft gehörte Satz umschreibt die Tatsache, dass etwa 60 Prozent der behandelnden Zahnärzte in Wahrheit Zahnärztinnen sind. Und solange unsere Gesellschaft das Thema „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ immer nur auf der Frauenkarte spielt, ist es wenig verwunderlich, dass Frauen auch ganz andere Anforderungen an den Zahnarztberuf haben. Flexibel, Teilzeit, angestellt, feste Arbeitszeiten, weniger Verwaltung, mehr Kontakt mit den Patienten. Manche nennen es Work-Life-Balance, andere gesunden Menschenverstand. Statt „mein Auto, meine Jacht, mein Haus“, heißt es vielleicht eher „mein Leben“.
Wenn nicht alles bleibt, wie es immer war
All diese Entwicklungen scheinen die Standesvertreter irgendwie übersehen zu haben. Dr. Anke Klas, Präsidentin des neu gegründeten Verbands der ZahnÄrztinnen (VdZÄ): „Wenn Sie sich die derzeitige standespolitische Situation anschauen mit einer etwa 90-prozentigen Männerdominanz, ist es doch ganz eindeutig, dass die Belange der Frauen nicht ausreichend berücksichtigt werden.“ Die Sorge der Verbände um die Freiberuflichkeit ist wohl nur zum Teil begründet. Die Marktöffnung ist im Vereinigten Königreich am weitesten fortgeschritten. 15 Prozent der Zahnarztpraxen sind hier Teil einer Kette. Das ist so viel nicht. Die Problembereiche sind eher Relevanz und Rente: Angestellte Zahnärzte zahlen in die gesetzlichen Rentenkassen ein, und die Altervorsorgewerke der Landeszahnärztekammern haben Einnahmeneinbußen. Und MVZs, die in GmbH-Form geführt werden, sind Mitglieder der IHKs und nicht mehr der Zahnärztekammern.