Alles beginnt mit der Planung, auch und besonders in der Implantologie. Im entsprechenden Sitzungsabschnitt im Forum „NEXTe Generation“ ging es zunächst um die Diagnostik. Bei der Entscheidung für oder gegen DVT-Aufnahmen zählt laut Dr. Kathrin Becker (Düsseldorf) auch die Auflösung. Diese ist bei zweidimensionalen Zahnfilmen aufgrund der größeren Anzahl von Linienpaaren höher. Wegen der höheren Strahlenempfindlichkeit sollte bei Kindern im Zweifel gegen DVT entschieden werden, das gleiche gelte bei Patienten mit bereits hoher erfolgter Röntgenexposition.
3-D-Planung teurer?
Für den Oralchirurgen Dr. Vladimir Golubovic (Gummersbach) besteht ein Widerspruch zwischen der mit digitaler Planung erreichbaren Präzision – diese ist am höchsten bei umfangreicher Restbezahnung – und dem tatsächlichen Bedarf. Dieser ist laut aktuellem Konsens bei wenigen oder ohne verbleibende Zähne am höchsten, die Präzision jedoch gerade hier begrenzt [1].
Auf den weiterhin einzuhaltenden Sicherheitsabstand von 2 Millimetern verwies die junge PD Dr. Tabea Flügge (Freiburg) [1]. In der Diskussion wurde deutlich, dass neuere Technologien mit Modell-Matching wahrscheinlich eine höhere Präzision erlauben. Die Planungssoftware zeigt bisher nur den Sicherheitsabstand zum Nerven und zum Beispiel keine Mindestabstände zwischen Implantaten.
Was bringt digitale Abformung?
Abstände und Präzision sind auch bei der digitalen Positionsbestimmung mit intraoralen Scannern ein wichtiges Thema. So wird die Registrierung mit zunehmendem Abstand zwischen zwei Implantaten ungenauer, wobei bewegliche Schleimhaut besonders schwierig zu erfassen ist. Hier muss weiterhin konventionell abgeformt werden. Für wissenschaftlich basierte Indikationsempfehlungen fehlen noch Daten [2, 3].
Laut Prof. Dr. Florian Beuer (Berlin) haben bisher nur 5 Prozent aller Praxen einen intraoralen Scanner. Andererseits ist es mit den Geräten möglich, die drei Schritte Abformung, Modellherstellung und Laborscan in nur einem zusammenzufassen. Bessere Wirtschaftlichkeit wird dabei laut Literatur vor allem im Labor erreicht [3], was aber in zahlreichen aktuellen Falldarstellungen auch für die Praxis in Anspruch genommen wird.
Praxis-Tipp: Implantate und Ästhetik
Einen praktikablen Ästhetik-Check für Frontzahnkronen, auch implantatgetragene, empfiehlt Prof. Florian Beuer: Belser UC, et al. J Periodontol 2009;80:140-151. [4]
Ein web-basiertes Trainingsprogramm zur Farbauswahl enthält diese Publikation: Olms C, et al.. J Dent 2013;41:1259-1263 [5]
Implantate und Funktion
Laut Prof. Dr. Peter Rammelsberg (Heidelberg) ist ein funktionelles und CMD-bezogenes Screening vor Implantatversorgungen unbedingt ratsam. Grundsätzlich profitierten Patienten mit Kiefergelenkserkrankungen (CMD) ebenso von Implantatversorgungen wie gesunde. Dies geschehe primär durch potenziell verbesserte posteriore Abstützung. Auch die in Heidelberg intensiv erforschte Pfeilervermehrung mit Implantaten habe sich hier bewährt.
Bei Bruxismus sind Komplikationen im technisch-prothetischen Bereich und vermehrte Implantatfrakturen zu befürchten, biologische Probleme dagegen nicht [6, 7]. Nach Rammelsbergs Erfahrung eignen sich okklusal hoch belastbare monolithische Materialien, also unverblendetes Metall oder unverblendete Zirkoniumdioxidkeramik. Dies steht im Widerspruch zu Aussagen über Hybridmaterialien mit „Stoßdämpfer-Effekt“.
Implantate sollten im Knochen stehen
Für PD Dr. Markus Schlee (Forchheim und Universität Frankfurt) ist Planung auch zur Vermeidung von Periimplantitis „das Entscheidende“. Eine geeignete dreidimensionale Implantatposition spiele dabei die wichtigste Rolle. Wenn Kollegen dennoch „vom Titan angelacht“ werden, bleibe häufig nur die Explantation. Wichtiger als das Material (Titan oder Zirkoniumdioxid) sei, dass Implantate im Knochen stehen.
Aktuell ist nicht erwiesen, dass Weichgewebsverdickung um Implantate die Ästhetik fördert [8, 9]. Während sich bei Zähnen nach erfolgreicher Rezessionsbehandlung ein stabiles Saumepithel bildet, handelt es sich bei Implantaten um Bindegewebe. Auch bei guter weichgewebiger Technik bleibt durchschnittlich zirka ein Drittel der Dehiszenzen ungedeckt [10], eine komplette Deckung gelingt nach der Literatur in keinem Fall [11].
Die Erfolgsaussichten chirurgischer Periimplantitistherapie mit gesteuerter Knochenregeneration beurteilt PD Dr. Gerhard Iglhaut optimistischer. Der Memminger Fachzahnarzt für Oralchirurgie reinigt Implantatoberflächen vor regenerativen Maßnahmen mit Airflow und dekontaminiert knöcherne Defekte mit minozyklin-getränkten Schwämmchen (Verdünnung 1:20). Bukkale Dehiszenzen behandelt Iglhaut mit einer ultraschallgestützten Schalentechnik [12] in Kombination mit autologer Weichgewebsverdickung.
Der Freiburger Mund-, Kiefer- und Gesichts-Chirurg Prof. Dr. Dr. Rainer Schmelzeisen schaffte es in seinem Vortrag, die Themen Krieg, Kunst und MKG-Chirurgie zu integrieren. Anhand von Kunstwerken vor allem aus dem Ersten Weltkrieg und der Folgezeit demonstrierte er die enormen zerstörerischen Folgen für Soldaten. Neben immer wieder dargestellten Verstümmelungen im Kopf- und Mundbereich gehörten dazu auch die häufig nicht mehr heilbaren psychischen Schäden.
Schmelzeisen ist selbst Künstler und präsentierte im Kongressgebäude seine Werke, die auf lichttechnisch bearbeiteten Fotos basieren. Er verwies auch auf die in Kriegen erzielten Fortschritte für die MKG-Chirurgie und die heute durch Implantate wesentlich erweiterten Möglichkeiten, zum Beispiel mit CAD/CAM-technisch angepassten Jochbogen-Gerüsten. Insgesamt gelang Schmelzeisen mit seinem Vortrag ein beeindruckendes Signal gegen den Krieg.
Fazit
Neben den in diesem Kongressbericht besprochenen gab es eine Reihe weiterer Vorträge und Foren, unter anderem zu den Themen Blutgerinnung, Kieferorthopädie, Implantatprothetik-Zahntechnik und Assistenz. Schließlich war die Industrie sehr gut vertreten, mit allein zwei gehaltvollen Sitzungen, in denen das Management implantologischer Komplikationen beleuchtet wurde. Wer Implantologie verantwortungsbewusst betreiben möchte, war also mit dem Besuch des DGI-Kongresses – wieder einmal – sehr gut beraten.
Dr. Jan H. Koch, Freising
Kurzkommentar: „Implant Files“ und dentale Implantologie
Journalisten unter anderem der Süddeutschen Zeitung prangerten kürzlich unzureichende klinische Eignungsnachweise für Medizinprodukte an, insbesondere für ins Körperinnere eingebrachte Implantate. Der neue DGI-Präsident Prof. Dr. Dr. Knut A. Grötz sieht die dentale Implantologie hier „gut aufgestellt“ und verwies wie seine Kollegen in Wiesbaden auf die zweifellos oft vorbildlichen Anbieter im Bereich orale Implantologie.
Dabei bleibt die Tatsache unerwähnt, dass eine Reihe von Implantatsystemen nicht die geforderten Reinheitsstandards erfüllt (www.cleanimplant.com). Auch bei Augmentationsmaterialien gibt es wegen des aktuell noch gültigen Konformitätsprinzips erheblichen Nachholbedarf. Inwieweit die novellierte Medical Device Regulation (MDR) der EU die Situation verbessern wird, bleibt abzuwarten.
Dr. Jan H. Koch
Literatur
[1] Wismeijer D, Joda T, Flugge T, Fokas G, Tahmaseb A, Bechelli D, et al. Group 5 ITI Consensus Report: Digital technologies. Clin Oral Implants Res 2018;29 Suppl 16:436-442.
[2] Flugge T, van der Meer WJ, Gonzalez BG, Vach K, Wismeijer D, Wang P. The accuracy of different dental impression techniques for implant-supported dental prostheses: A systematic review and meta-analysis. Clin Oral Implants Res 2018;29 Suppl 16:374-392.
[3] Joda T, Bragger U. Time-efficiency analysis of the treatment with monolithic implant crowns in a digital workflow: a randomized controlled trial. Clin Oral Implants Res 2016;27:1401-1406.
[4] Belser UC, Grutter L, Vailati F, Bornstein MM, Weber HP, Buser D. Outcome evaluation of early placed maxillary anterior single-tooth implants using objective esthetic criteria: a cross-sectional, retrospective study in 45 patients with a 2- to 4-year follow-up using pink and white esthetic scores. J Periodontol 2009;80:140-151.
[5] Olms C, Klinke T, Pirek P, Hannak WB. Randomized multi-centre study on the effect of training on tooth shade matching. J Dent 2013;41:1259-1263.
[6] Manfredini D, Poggio CE, Lobbezoo F. Is bruxism a risk factor for dental implants? A systematic review of the literature. Clin Implant Dent Relat Res 2014;16:460-469.
[7] Chrcanovic BR, Kisch J, Albrektsson T, Wennerberg A. Bruxism and dental implant treatment complications: a retrospective comparative study of 98 bruxer patients and a matched group. Clin Oral Implants Res 2017;28:e1-e9.
[8] Esposito M, Maghaireh H, Grusovin MG, Ziounas I, Worthington HV. Interventions for replacing missing teeth: management of soft tissues for dental implants. Cochrane Database Syst Rev 2012:CD006697.
[9] Thoma DS, Buranawat B, Hammerle CH, Held U, Jung RE. Efficacy of soft tissue augmentation around dental implants and in partially edentulous areas: a systematic review. J Clin Periodontol 2014;41 Suppl 15:S77-91.
[10] Burkhardt R, Joss A, Lang NP. Soft tissue dehiscence coverage around endosseous implants: a prospective cohort study. Clin Oral Implants Res 2008;19:451-457.
[11] Levine RA, Huynh-Ba G, Cochran DL. Soft tissue augmentation procedures for mucogingival defects in esthetic sites. Int J Oral Maxillofac Implants 2014;29 Suppl:155-185.
[12] Iglhaut G, Schwarz F, Grundel M, Mihatovic I, Becker J, Schliephake H. Shell technique using a rigid resorbable barrier system for localized alveolar ridge augmentation. Clin Oral Implants Res 2014;25:e149-154.