Die vom Europäischen Parlament am 17. April 2020 beschlossene Verschiebung der EU-Medizinprodukte-Verordnung (MDR) ist nach Ansicht des Bundesverbandes Medizintechnologie, BVMed, „ein wichtiger Schritt, der den Patienten, dem Gesundheitssystem und den MedTech-Unternehmen in Zeiten der Corona-Pandemie hilft“.
Medizinprodukte können damit noch ein weiteres Jahr unter dem aktuellen Rechtsrahmen in Verkehr gebracht werden. „Die EU-Kommission muss die gewonnene Zeit bis zum neuen Geltungsbeginn am 26. Mai 2021 nun konsequent nutzen, um das MDR-System endlich bereit zu machen: Wir brauchen schnellstmöglich mehr Benannte Stellen, die vorgesehenen Expertengremien sowie die erforderlichen Rechtsakte und Guidances“, fordert BVMed-Geschäftsführer Dr. Marc-Pierre Möll.
Die gewonnene Zeit konsequent nutzen
Der BVMed hatte angesichts der Corona-Pandemie am 13. März ein MDR-Moratorium gefordert. Der Verordnungsvorschlag der Europäischen Kommission zur Änderung der MDR wurde am 3. April 2020 veröffentlicht und am 7. April 2020 vom Europäischen Rat für die Verhandlungen im Europäischen Parlament übernommen. Mit der Entscheidung des Europäischen Parlaments wird nun der MDR-Geltungsbeginn um ein Jahr verschoben und die unter dem bisherigen Rechtsrahmen benannten Stellen bleiben ein weiteres Jahr benannt. Der BVMed hatte sich zudem für die Verschiebung der Übergangsperiode, der sogenannten „Grace Period“, und der Abverkaufsfrist eingesetzt.
Übergangsperiode auf drei Jahre verkürzt
„Da nun nur der Geltungsbeginn um ein Jahr verschoben wird, verkürzt sich die Übergangsperiode faktisch von 4 auf 3 Jahre“, stellt die MDR-Expertin des BVMed, Dr. Christina Zimmer, klar. Das Enddatum der Übergangsperiode bleibt der 26. Mai 2024, so dass Engpässe im Mai 2024 befürchtet werden müssen. Derzeit ist die Neuzulassung von Medizinprodukten nach der MDR durch die Pandemie zum Erliegen gekommen. Die am 8. April 2020 veröffentlichte Leitlinie „zu vorübergehenden außerordentlichen Maßnahmen im Zusammenhang mit Prüfungen der Benannten Stelle für Medizinprodukte während COVID-19“ sieht Fernaudits für Neu-Zertifizierungen sowie Zertifizierungen zu Zweckerweiterungen nicht vor. „Es ist aktuell völlig unklar, wann wieder regelmäßige Vorort-Audits durchgeführt werden können. Dadurch verkürzt sich die Übergangsfrist für bestimmte Produkte weiter“, so die BVMed-Expertin.
Benannte Stellen fehlen sowie Rechtsakten und Guidelines
Nach Ansicht des BVMed bleiben die bisherigen Probleme mit der Umsetzung der MDR damit trotz der Verschiebung bestehen und sind in Anbetracht der COVID-19-Pandemie unter einem anderen Licht zu betrachten:
- MDR-Neu-Zertifizierungen werden aktuell nicht durchgeführt. Dennoch müssen weitere Benannte Stellen folgen. Die EU-Kommission hatte bis Ende 2019 eigentlich 20 Stellen angekündigt, von denen bis heute erst zwölf benannt sind.
- Es gibt Kapazitätsprobleme bei der Neu-Zertifizierung von Produkten bis zum Stichtag im Mai 2021, da sich die Benannten Stellen in der COVID-19-Zeit auf die Verlängerung von Altzertifikaten fokussieren. Wann Neu-Zertifizierungen wieder durchgeführt werden, hängt vom Ende der Pandemie und den damit zusammenhängenden Reiserestriktionen ab.
- Es fehlt an Rechtsakten und wichtigen Guidelines.
- Die Eudamed-Datenbank wurde Ende 2019 auf 2022 verschoben. Wann sie effektiv funktionsfähig sein wird, ist völlig unklar.
„Die Folge: Die MedTech-Branche ist bereit, das System ist es nicht“, so BVMed-Geschäftsführer Dr. Marc-Pierre Möll. „Unsere Unternehmen haben unter schwierigen Umständen bereits MDR-Zertifikate erworben, obwohl das System noch lange nicht vollständig steht. Wir müssen verhindern, dass das System angehalten wird, weil Remote-Audits nur im eingeschränkten Maß möglich und Neu-Zertifizierungen und Zweckerweiterungen nicht durchführbar sind. Die EU-Kommission muss jetzt dringend ihre Hausaufgaben machen.“