Anzeige

Behandlung nur noch in Notfällen?

Zahnärztliche Versorgung in Zeiten von Corona. Die BZÄK bezieht Stellung.

Zahnärztliche Versorgung in Zeiten von Corona. Die BZÄK bezieht Stellung.

Ein Zahnarzt hat in Notfällen die Pflicht zur Behandlung. Ist es gerechtfertigt, zahnmedizinische Behandlung nur noch auf Notfälle zu reduzieren?

Dieser Frage ging die Bundeszahnärztekammer nach und kam zu folgender Stellungnahme:
Angesichts der dynamischen Entwicklung der Corona-Pandemie ergreift die Politik zum Schutz von Leben und Gesundheit der Bevölkerung eine Vielzahl infektionsschützender Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus. In diesem Zusammenhang wird auch darüber diskutiert, die zahnärztliche Versorgung auf Notfälle zu beschränken. Andere als Notfallbehandlungen wären danach zu verschieben.
Die Bundeszahnärztekammer hält Einschränkungen der zahnmedizinischen Behandlung, mit der die Ausübung der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde mit Ausnahme von Notfallbehandlungen untersagt werden, für nicht verhältnismäßig. Die damit verbundenen Eingriffe in die Grundfreiheiten, die Berufsausübungsfreiheit der betroffenen Zahnärztinnen und Zahnärzte sind nicht gerechtfertigt und zugleich ist die Sicherstellung der zahnmedizinischen Versorgung der Bevölkerung gefährdet.

ZMK: Bestandteil der Primärversorgung

Grundsätzlich ist festzustellen, dass die Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde einschließlich der Fachzahnarztqualifikationen ein integraler Bestandteil im Sinne einer Facharztgruppierung der medizinischen Versorgung der Bevölkerung ist. Sie ist gleichzeitig wesentlicher Bestandteil der medizinischen Primärversorgung der Bevölkerung und wird im Rahmen des Sicherstellungsauftrages der Sozialgesetzgebung V entsprechend definiert.

Kein erhöhtes Risiko

Nach bisher international und national vorliegenden Erkenntnissen zur Ausbreitung von Covid-19 gibt es derzeit keinerlei gesicherte Erkenntnisse, dass zahnmedizinische Behandlungen zu einer erhöhten Infektionsausbreitung in der Bevölkerung beigetragen haben, noch Erkenntnisse, dass zahnärztliche Behandlungsteams erhöhten Infektionsraten unterliegen.

Hohes Schutzniveau

Gleichzeitig ist festzustellen, dass die bisher geltenden – und durch weitere empfohlene Maßnahmen im Zusammenhang mit Covid-19 ergänzten Hygienemaßnahmen und Arbeitsschutzbestimmungen – zu einem hohen Schutzniveau auch bei der Behandlung von potenziell infektiösen Patienten in den Praxen geführt haben. Die Bundeszahnärztekammer hat entsprechend den allgemein gültigen Empfehlungen zur Vermeidung der Infektionsausbreitung ebenso Hinweise für die Einhaltung der Distanzregelung und Dekontaminationsmaßnahmen im Rahmen der Praxisorganisation abgegeben.

Notwendigkeit einer Behandlung

Die Entscheidung über die Notwendigkeit einer zahnmedizinischen Behandlung trifft die Zahnärztin oder der Zahnarzt, abhängig vom individuellen Risiko und der Komplikationsdichte des Eingriffs, im konkreten Patientenfall. Dies betrifft nicht nur Notfallbehandlungen, sondern kann Eingriffe umfassen, die die Beschwerden des Patienten kurz-, mittel- oder langfristig lindern oder die Verschlimmerung der bestehenden Erkrankung vermeiden. Bei vulnerablen Patienten mit hohen Risiken ist die Behandlung nur auf Notfallbehandlungen beschränkt.

Infizierte oder unter Verdacht stehende Patienten

Für die zahnärztliche Behandlung von Patienten, die an SARS-CoV-2 infiziert oder nach den Einschätzungen des RKI begründete Verdachtsfälle sind, gilt, der Hinweis, dass diese nur in Notfällen, in Zentren oder Schwerpunktpraxen, unter Nutzung der notwendigen Schutzausrüstung (FFP2, flüssigkeitsdichte Kittel, Schutzbrillen, unsterile Handschuhe, Schutzhauben und Schutzschilder) behandelt werden.

Aerosole

Einen Hinweis des RKI bezüglich des medizinischen Sektors im Zusammenhang mit Aerosol produzierenden Vorgängen, wie etwa Intubation, Bronchoskopie oder speziellen zahnärztliche Prozeduren, hat die BZÄK mit weiteren Empfehlungen zur Vermeidung Aerosol bildender Interventionsmaßnahmen und Technologien aufgenommen.

Fazit

Im Ergebnis darf fachlich und sachlich festgestellt werden, dass bei Berücksichtigung dieser Empfehlungen die Einschränkung der zahnmedizinischen Behandlung weder zu rechtfertigen noch im Interesse der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung angemessen ist.

Keine Sonderrolle

Wie in anderen medizinischen Fachgebieten und pflegerischen Berufen oder bei Heilmittelerbringern (etwa Ophthalmologie, HNO, Hörakustiker, Optiker, Physiotherapeuten, bei denen Tröpfcheninfektionen möglich sind und auch Aerosol bildende Maßnahmen eingesetzt werden), ergibt sich keinerlei Sonderrolle für die Zahnmedizin. Dies insbesondere vor dem Hintergrund der bereits seit langem geltenden und in der zahnärztlichen Versorgung eingesetzten hohen Hygienestandards und erweiterten Empfehlungen in der gegenwärtigen Situation.

Zahnheilkunde – medizinisch notwendige Leistungen

Das Gesetz über die Ausübung der Zahnheilkunde beschreibt in Paragraf 1 Absatz (3) folgendes: „Ausübung der Zahnheilkunde ist die berufsmäßige auf zahnmedizinisch wissenschaftliche Erkenntnisse begründete Feststellung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten. Als Krankheit ist jede von der Norm abweichende Erscheinung im Bereich der Zähne, des Mundes und der Kiefer anzusehen, einschließlich der Anomalien der Zahnstellung und des Fehlens von Zähnen.“
Somit handelt es sich bei zahnmedizinischen Behandlungen, um medizinisch notwendige und erforderliche Maßnahmen im Interesse der Krankheitsvermeidung, der Vermeidung der Entstehung von akuten Beschwerden gerade während der Zeit einer möglichen Covid-19 Infektion und der Vermeidung der Verschlimmerung bestehender Erkrankungen. Dies insbesondere auch vor dem Hintergrund der Einflüsse von oralen Erkrankungen auf medizinisch bedeutsame Erkrankungen, wie Diabetes, Herzkreislauferkrankungen, Apoplex und Herzinfarkte.
Zahnmedizinische Versorgung ist vor diesem Hintergrund ein elementarer Bestandteil der medizinischen Grundversorgung der Bevölkerung, auch unter den Gegebenheiten der Covid-19 Pandemie, und darf keinesfalls nur auf Notfälle, deren Definition zudem unbestimmt ist, im Interesse der Aufrechterhaltung der medizinischen Versorgung der Bevölkerung reduziert werden.

Pflicht zur Behandlung

In einer zahnmedizinischen Notfallsituation, also wenn beim Patienten gesundheitliche Schäden drohen, sofern er nicht unverzüglich zahnmedizinische Hilfe erhält, ist der Zahnarzt zur Hilfeleistung verpflichtet.
Ausgangspunkt ist zunächst Paragraf 323 c Strafgesetzbuch (Unterlassene Hilfeleistung):
„Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.”
Das Gesetz benennt die Grenzen der Behandlungspflicht: Die Behandlung muss dem Zahnarzt zumutbar sein. Nicht zumutbar kann eine Behandlung des Notfallpatienten sein, insbesondere wenn sich der Zahnarzt dadurch einer erheblichen eigenen Gefahr aussetzt. Auch aus der Berufsordnung geht hervor: Der Zahnarzt kann die zahnärztliche Behandlung ablehnen, wenn die Behandlung ihm nach pflichtgemäßer Interessenabwägung nicht zugemutet werden kann. Ob die mögliche Ansteckungsgefahr für nichtzahnärztliches Personal oder den Zahnarzt selbst einen solchen sachlichen Grund zur Ablehnung einer Notfallbehandlung darstellt, ist nicht abschließend zu beantworten.

Eine Infektionskrankheit ist in der Regel kein Grund, in Notfällen nicht die erforderliche zahnärztliche Hilfe zu leisten – das aber auch vor allem deswegen, wenn und weil die Infektionsgefahr in der Regel durch strikte Einhaltung der gewöhnlich geforderten Hygieneanforderungen und Schutzmaßnahmen beherrschbar ist.
Was aber, wenn die Hygieneanforderungen und Schutzmaßnahmen nicht eingehalten werden können, wenn die erforderlichen Arbeitsschutzmittel nicht zur Verfügung stehen?
Wird ein Patient ohne Schutzausrüstung behandelt, der an COVID 19 erkrankt ist, setzt sich der Zahnarzt einem Ansteckungsrisiko aus, das insbesondere durch die erforderliche Behandlung beeinflusst wird. Die Frage, ob eine Behandlungspflicht von an COVID 19 erkrankten Notfall-Patienten besteht, muss mithin am konkreten Einzelfall unter Abwägung der Ansteckungsrisiken auf der einen Seite und dem Grad des Notfalls (strengste Indikationsstellung) auf der anderen Seite beantwortet werden.

Bei lebensbedrohlichen Situationen für den Patienten oder sind entsprechend ausgerüstete Praxen oder Kliniken nicht in zumutbarer Zeit erreichbar, kann ein Zahnarzt verpflichtet sein, Ansteckungsrisiken einzugehen.
Bei weniger schwerwiegenden Notfällen und Verfügbarkeit alternativer Behandler kann sich das Ansteckungsrisiko durch COVID 19 als unzumutbar darstellen. In jedem Fall hat sich der Zahnarzt in solchen Fällen um die weitere Behandlung des Patienten zu kümmern.
Die Notfallversorgung von infizierten und unter Quarantäne stehenden Patienten soll über eigens benannte Kliniken oder Schwerpunktpraxen als zahnmedizinische Behandlungszentren organisiert werden. Ansprechpartner ist hierbei die jeweilige KZV.