Der Kommentar von Chefredakteur Marc Oliver Pick
Die Definitionen legen unterschiedliche Daten fest, die ein weltweites, mit Verzögerung nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges eingetretenes Phänomen beschreiben: die geburtenstarken Jahrgänge oder, neudeutsch, die Generation der Baby-Boomer. Ganz egal, ob man nun die bei Statistikern geläufigen Jahrgänge 1955 bis 1969 oder die Jahrgänge 1955 bis 1964 heranzieht, wie gewaltig der Babyboom ausfiel, wird deutlich, wenn man (auf ganz Deutschland bezogen) die Geburtenzahlen von 1964 (1.357.304) mit denen von 2002 vergleicht – da waren sie nur noch halb so hoch.
Lauterbach auch Baby-Boomer
Jetzt sind die ersten Vertreter dieser mit Abstand zahlreichsten Generation bereits im Ruhestand oder stehen kurz davor. Noch arbeiten viele von ihnen als niedergelassene Ärzte und Zahnärzte – aber eben nicht mehr lange. Ein allseits bekannter Vertreter der Generation Baby-Boomer ist Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Als 1963 Geborener wird ihm die Herausforderung, vor der das deutsche Gesundheitswesen in den kommenden Jahren stehen wird, bekannt sein. Und sie ist groß, sehr groß. So sind laut einer Versorgungsanalyse der Stiftung Gesundheit, Stand heute, 16,2 Prozent aller niedergelassenen Ärzte 65 Jahre und älter.
Sind diese Zahlen schon alarmierend genug, wird das Szenario bei einem Blick auf die Zahlen der Zahnärzte noch etwas dramatischer. In dieser Berufsgruppe gehören sogar 17,8 Prozent zur Altersgruppe 65 plus. Aufgeschlüsselt nach Bundesländern sind Thüringen, das Saarland, Baden-Württemberg und Sachsen sowie Bremen die Bundesländer, in denen mehr als 20 Prozent 65 Jahre und älter sind – ein Fünftel der aktiven Zahnärzteschaft bereitet sich auf den Ruhestand vor. Bereits heute, aber noch intensiver in den kommenden Jahren, werden sehr viele Arzt- und Zahnarztpraxen Ausschau nach Nachfolgern halten – und nicht alle Suchen werden erfolgreich verlaufen.
In viele Praxen keine Nachfolge in Sicht
Das gilt vor allem für den ländlichen Bereich, aber nicht nur dort. Immer mehr Praxen werden bereits heute für immer geschlossen, ohne Chance auf Weiterführung, da keine Nachfolge in Sicht ist.
Wer nun annimmt, die (Gesundheits-)Politik unter Führung des „Boomers“ Lauterbach sei schon eifrig dabei, entsprechend weitsichtig vorauszuplanen und attraktive Anreize für die Niederlassung zu schaffen, wird sich wohl seinen Teil denken. Zwar gibt es zahlreiche Gesetzesvorhaben und eine Reihe bereits geschaffener Gesetzes-Tatsachen, die auf die zukünftige Gestaltung des deutschen Gesundheitswesens zielen (sollen). Und im besten Fall sind diese Gesetze am Ende mehr als die Summe ihrer Einzelteile. Zum Beispiel Elemente eines umfassenden Masterplans Gesundheit, dessen Ziel und Zweck sich vielleicht noch als umfassende, weit vorausgedachte Strategie entpuppt.
Davon sind aktuell aber weder Zahnärzteschaft noch Ärzteschaft überzeugt. Stattdessen spricht etwa der Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) von „Ankündigungspolitik“, ohne erkennbaren Willen des Verordnungsgebers, den zahlreichen Ankündigungen Taten folgen zu lassen. Man habe „nach wie vor nichts in der Hand“, konstatierte etwa Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KBV, auf der letzten Vertreterversammlung.
Gesundheitspolitik mit den Betroffenen machen
Von den Ankündigungen des Bundesgesundheitsministers Lauterbach, von der immer wieder beschworenen „Revolution“, ist indes wenig zu spüren, sie findet immer anderswo statt, punktuell, auf Einzelbereiche begrenzt. Wenn sich die Gesundheitspolitik zukunftsfähig aufstellen will, muss sie vom Monolog- in den Dialog-Modus wechseln. Warum nicht einfach mal Gesundheitspolitik mit den Betroffenen machen statt über sie hinweg. Das wäre doch wirklich eine „Revolution“.