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Frühlingserwachen, oder: Was macht man in einer Arena?

Von Chefredakteur Marc Oliver Pick

Von Chefredakteur Marc Oliver Pick

Der Frühling ist da. Zumindest vorüber­gehend, was das Wetter in Deutschland betrifft. Anders sieht es im Bereich Telematikinfrastruktur aus, da ist der ­„digitale Frühling für viele im deutschen Gesundheitssystem nach dem langen deutschen Dornröschenschlaf“ erwacht.

Nachzulesen ist dies im „Whitepaper Telematikinfrastruktur 2.0 für ein föderalistisch vernetztes Gesundheitssystem“, ­herausgegeben von der Gematik im ­Dezember 2020. Wobei „von der Gematik“ nicht ganz die Wahrheit trifft, denn offenbar wurde das Whitepater nur von 51 Prozent der Gematik veröffentlicht, und zwar von der mit einem Prozent größeren Hälfte der Gematik, die das Ministerium von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn seit Inkrafttreten des TSVG hält.

„Arena für digitale Medizin“

Das Papier, 36 Seiten stark, ist mit den markigen Worten „Arena für digitale Medizin“ überschrieben, was sich toll anhört, von den anderen Gesellschaftern und den Betroffenen, den sogenannten „Leistungserbringern“, also Zahnärzten, Ärzten etc., auch als Kampfansage aufgefasst werden könnte. Denn in einer Arena trifft man sich zum Wettkampf, oder eben zum Kampf. Es sei denn, man sitzt als zahlender Zuschauer auf den Rängen...

Während der größere Teil der Gematik den Aufbruch heraufbeschwört, regt sich andernorts allerdings Widerstand gegen Spahns Pläne einer Plattform-Medizin im Turbo-Modus, von der befürchtet wird, Ärzte und Zahnärzte könnten zu bloßen Telematik-Erfüllungsgehilfen, zu „Teledoktoren“ degradiert werden, die zwar letztlich Kosten und organisatorischen Aufwand zu schultern haben, ansonsten aber als Zuschauer auf den Rängen der Gematik-Arena sitzen.

Ständige Regeländerungen erschweren Transparenz

So ist das in einer „Arena“: Zuschauer müssen für das Spektakel zahlen, das ihnen geboten wird. Gravierender Unterschied: Normalerweise entscheidet man selbst, ob man die Arena aufsucht. Hier ist es etwas anders, denn die „Leistungserbringer“ werden durch die Androhung finanzieller Sanktionen bis hin zum Verlust der Zulassung gezwungen, eine Eintrittskarte zu lösen. Wenn man sich wundert, warum man dem Verlauf des Wettkampfs in der Arena irgendwann nicht mehr ganz folgen kann, dann liegt das vielleicht daran, dass ständige Regeländerungen (oder Zieldefinitionen) eine eigentlich unumgängliche Transparenz immer mehr erschweren.

Der Druck aufs Tempo führt dann auch schon mal zur frustrierenden Erkenntnis, dass die nagelneue, von oben verordnete Hardware, ­ohne die man eben nicht an der wunderbaren Welt der Digitalisierung des Gesundheitswesens teilnehmen kann, mit einer geplanten Obsoleszenz versehen ist, die man noch nicht mal bei Smartphones findet. So sind die mit großem Tamtam nach jahrelangem Ringen und nach komplizierten Zulassungsverfahren eingeführten Konnektoren des ersten Rollouts der Telematikinfrastruktur schon Mitte 2022 im Prinzip Elektronikschrott.

Geplante Obsoleszenz oder Übergangslösung?

Was die einen geplante Obsoleszenz nennen, umschreibt die Gematik als Übergangslösung auf dem Weg zur „TI 2.0“ – das hört sich an, als sei das Teil eines Plans. Sie spricht aber im selben Atemzug davon, dass auch die Ablösung der Konnektoren­technologie eine Übergangslösung sein soll, bis man – ja, was eigentlich, eine finale Lösung findet? Deutschland hangelt sich von Übergangslösung zu Übergangs­lösung. Hauptsache, man tut was, und Hauptsache, man verliert nicht den Anschluss an die im internationalen Vergleich weitaus besser dastehenden Länder, die mit unterschiedlichen Ansätzen ­eigentlich ein gutes Vorbild sein könnten, wie man ein Gesundheitssystem ins ­digitale Zeitalter führt.

Aber vielleicht schwingt auch das im Titel „Arena“ mit, das Messen mit anderen Ländern und die Angst, zum Beispiel im Digital Health ­Index der Bertelsmann-Stiftung auch weiterhin lediglich auf einem Abstiegsplatz zu verharren. Als ginge es darum, einen Wettlauf um das „digitalste“ Gesundheitssystem zu gewinnen. Warum nicht erst einmal sämtliche Funktionalitäten der TI 1.0 sauber sicherstellen, anstatt mitten im Prozess schon die nächste Stufe erklimmen zu wollen?

Selbst wenn dazu die Geduld nicht ausreichen sollte, wäre jetzt eine neue gute Gelegenheit, Betroffene ins Boot zu holen und mit maximaler Transparenz das weitere Vorgehen und den Nutzen zu kommunizieren. Denn die wichtigste Zutat für ein funktionierendes digitales Gesundheitswesen ist die Akzeptanz derer, die es mit Leben füllen müssen.