Endlich Rente! Viele Menschen zählen schon lange vor dem Eintritt in den wohlverdienten Ruhestand die Tage. Für Hans Fuhr ist das undenkbar. Der 86-jährige Zahntechnikermeister arbeitet seit 70 Jahren und kann sich noch nicht vorstellen, damit aufzuhören.
Er betreibt seit 1963 ein Dentallabor in Köln und beschäftigt derzeit 55 Mitarbeiter. Ein „Frühstücksdirektor“, der es sich im Chefsessel bequem macht, möchte Fuhr nicht sein. Er krempelt im Labor die Ärmel hoch. Sein Fachgebiet ist die Prothetik. Im Interview sprachen Hans Fuhr und sein Sohn Karsten Fuhr, Betriebswirt und Mitglied der Geschäftsführung, über den Wandel der Branche und erklärten, was das Zahntechnikerhandwerk so spannend macht.
Warum arbeiten Sie noch? Andere Menschen genießen mit 86 Jahren ihre Freizeit.
Hans Fuhr: Die Arbeit macht Spaß. Was soll ich zu Hause? Ich kann doch nicht den ganzen Tag Tennis spielen. Wenn man arbeitet, bleiben die Themen, mit denen man sich beschäftigt, interessant. Es kann leider nicht jeder wählen, wie lange er gesund bleibt, aber ich sehe immer wieder eine Negativentwicklung bei Rentnern, die keiner sinnvollen Aufgabe mehr nachgehen. In meiner Abteilung, der Prothetik, gebe ich meine Erfahrung gerne an die jungen Kollegen, die meine Enkel sein könnten, weiter.
Was ist Ihr Erfolgsrezept?
Hans Fuhr: Man muss mit Ehrgeiz bei der Sache sein und über ausgezeichnete Fachkenntnisse verfügen. Ich hatte damals großes Glück, bei einem guten Meister zu lernen übrigens der erste Zahntechnikermeister in der Mark Brandenburg. Er hat mir das Handwerk von der Pike auf beigebracht und das Verständnis für Präzision und Ästhetik geschult. Als ich 1955 nach Köln kam, habe ich zunächst bei einem Zahnarzt gearbeitet und mich nach der Meisterprüfung mit einem Lehrling selbstständig gemacht. Dann habe ich Tag und Nacht gearbeitet. Die Überstunden habe ich nicht gezählt, die waren selbstverständlich.
Eine Frage an den Sohn: Warum sind Sie kein Zahntechniker?
Karsten Fuhr: Ich habe bei uns im Labor den Azubi-Eignungstest gemacht. Diagnose: unauffällig. Mein Vater kann mit Papier und Zahlen wenig anfangen. Bei mir ist das anders: Ich hatte schon immer Interesse am Rechnen. Ich habe meine Diplomarbeit über die Laborbranche geschrieben. Dass ich mal hier im Labor lande, war nicht geplant. Ich kam in einer schwierigen Zeit in den Betrieb. Mir ist es wichtig, ehrlich zu sein und Versprechen einzuhalten. So kann man sich nach und nach das Vertrauen der Belegschaft erarbeiten.
Funktioniert die Zusammenarbeit im Familienunternehmen?
Karsten Fuhr: Auf jeden Fall. Mein Vater und ich kommen uns nicht ins Gehege, da wir in unterschiedlichen Bereichen arbeiten. Mein Vater arbeitet noch technisch in der Prothetik-Abteilung mit, ich lenke die betrieblichen Geschicke vom Schreibtisch aus.
Wie gehen Sie mit dem digitalen Wandel um? Welche Chancen bietet er? Wo stoßen digitale Verfahren an ihre Grenzen?
Hans Fuhr: Die Digitalisierung lässt sich nicht aufhalten. Sie bietet sicher viele Chancen, löst das klassische Handwerk aber nicht ab. Die Form, also das Grundgerüst, kann in einigen Fällen digital produziert werden, aber Präzision wird nur in Verbindung mit Handarbeit erreicht.
Karsten Fuhr: Wenn es um die Anschaffung neuer Verfahren ging, war mein Vater immer direkt dabei. Wir haben uns noch nie vor der Digitalisierung gefürchtet und haben in den vergangenen 15 Jahren kein Personal abgebaut im Gegenteil. Wir fördern den Einsatz digitaler Verfahren in den Bereichen, in denen sie sinnvoll sind.
Politische Reformen, wie die 1998 und 2005, waren eher ein Problem für uns. Die Politik hat der Branche aber auch in die Karten gespielt. Als Zahnverlust in den 70er-Jahren zur Krankheit deklariert wurde, gab es einen Aufschwung der Branche. Zahnersatz, auch Gold, wurde von den Kassen übernommen, was die Innovationskraft der Zahntechnik stark vorangetrieben hat. Die Zahntechnik ist heute ein spannender Handwerksberuf, in dem immer mehr digitale Verfahren mittels CAD/CAM unsere Abläufe unterstützen und optimieren. So fertigen wir heute Kronen und Brücken in Vollkeramik und Nicht-Edelmetallen überwiegend digital. Auch Abutments stellen wir seit acht Jahren ausschließlich individuell mit dem CAD/CAM-Verfahren her. Kritisch sehe ich aktuell noch die Intraoralscanner. Die Anschaffung für die Praxis ist zu teuer und der Workflow nicht geschlossen. Der 3-D-Druck hat unsere Erwartungen bisher ebenfalls nicht erfüllt, gerade beim Material von Aufbissschienen.
Sie bilden seit vielen Jahren aus. Warum würden Sie jungen Leuten eine Ausbildung zum Zahntechniker empfehlen? Sie beteiligen sich unter anderem an einem Schulprojekt in Köln-Mülheim. Wie ist die Resonanz?
Hans Fuhr: Ein kompetenter Zahntechniker hat heute einen sicheren Arbeitsplatz, und das deutsche Zahntechnikerhandwerk hat weltweit einen guten Ruf. Die Mischung aus traditioneller Handwerkskunst und Feinmechanik in Verbindung mit der Digitalisierung ergibt einen spannenden und vielseitigen Ausbildungsberuf.
Karsten Fuhr: Wir haben de facto einen Fachkräftemangel, und wir sehen in der eigenen Ausbildung die beste Möglichkeit, diesem entgegenzusteuern. Die Kooperation mit der Schule in Mülheim ist ein Versuch, junge Menschen auf den Beruf aufmerksam zu machen und geeignete Kandidaten zu finden. Das ist heute nämlich gar nicht so einfach. Wir erhalten zwar 80 bis 100 Bewerbungen pro Jahr, aber das Niveau der Bewerber hat nachgelassen. Ein von uns konzipierter Eignungstest filtert die heraus, die für den Beruf nicht geeignet sind.
Hans Fuhr: Ich empfehle jungen Kollegen, sich zu spezialisieren.
Wie sieht die Zahntechnik in 50 Jahren aus?
Hans Fuhr: Die Digitalisierung wird sich natürlich fortsetzen, aber ich bin der festen Überzeugung, dass das Handwerk weiterhin weltweit gefragt bleibt. Die Grundvoraussetzungen, die der Beruf erfordert, werden sich auch durch digitale Verfahren nicht ändern. Handwerkliches Geschick und in gutes Auge für Kosmetik wird man immer brauchen.
Karsten Fuhr: Digitale Inhalte werden in der Ausbildung einen größeren Stellenwert einnehmen. Ich gehe auch davon aus, dass Abdrücke irgendwann nicht mehr gemacht werden. Strukturen werden sich sicher ändern.
Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?
Karsten Fuhr: Ein eigener Betrieb in dieser Größe erfordert einen enormen Einsatz und viel Herzblut. Im September übernehmen wir ein Labor, planen aber nicht, in andere Städte zu expandieren.
Hans Fuhr: Ich möchte noch so lange arbeiten, wie es mir möglich ist. So lange, wie Körper und Geist funktionieren.