Potential malignant disorders: DDr. Christa Eder zum Thema orale Präkanzerosen (Teil 3)
Veränderungen in der normalen Struktur der Mundschleimhaut und in den subepithelialen Geweben gehen häufig mit einer verringerten Resistenz gegenüber kanzerogenen Noxen einher. Klassische Präkanzerosen wie die Leukoplakie und oraler Lichen planus werden bei ihrer dysplastischen Entartung durch zusätzliche Faktoren getriggert. Sämtliche Formen chronischer oraler Entzündungen erhöhen das Risiko der Genese von Malignomen. Eine oft unterschätzte Gefahr ist dabei eine unbehandelte aggressive chronische Parodontitis.
Krebsassoziierte Biofilme
Pathologische Veränderungen im oralen Mikrobiom führen zur Etablierung eines spezifischen inflammatorischen Milieus und damit zu einer fehlgeleiteten Interaktion zwischen Wirtsgewebe und Mikroflora. Bestimmte Keimkombinationen mit Beteiligung von parodontalen Pathogenen wie Porphyromonas gingivalis und die Bildung von Reservoirs für kanzerogene Viren wie high risk HPV16, CMV und EBV in Zahnfleischtaschen triggern über unterschiedliche Mechanismen Veränderungen in der molekularen Struktur oraler Zellen. Die Auswirkungen derartig veränderter Biozönosen können so gravierend sein, dass man in diesem Zusammenhang sogar von krebsassoziierten Biofilmen spricht.
Die Freisetzung gewebsdestruktiver Enzyme und Lipopolysaccharide (LPS) der Zellwand gramnegativer Anaerobier führen zu einer vermehrten Freisetzung von Entzündungsmediatoren und zur Entstehung von massivem oxidativem Stress. ROS (reactive oxygen species) werden normalerweise in den Mitochondrien als Nebenprodukt der Zellatmung freigesetzt und dienen im entzündeten Gewebe der Abwehr von Bakterien und Viren. In zu hoher Konzentration kommt es allerdings zu einer direkten Zellschädigung mit Veränderungen im Erbgut der Epithelien mit entsprechendem Risiko einer malignen Transformation.
Eine wichtige Rolle spielen die Toll-like receptors der unspezifischen Imunabwehr bei der Erkennung sogenannter PAMPs (pathogen assoziierter molekularer Muster) zu welchen Oberflächenstrukturen oral-pathogener Keime gehören. Deren permanente Aktivierung setzt Signalkaskaden in Gang, welche zu einer überbordenden Bildung von Inflammosomen und in der Folge von IL-1ß führen. Letzteres ist ein Schlüsselzytokin der Kanzerogenese.
Derartige Prozesse können Dysplasien sowohl in den bereits diskutierten präkanzerösen Läsionen als auch direkt im entzündlich vorgeschädigten Gewebe begünstigen.
Neben den Formen der Leukoplakie und dem Lichen planus der Mundschleimhaut sollen hier noch einige weitere potenziell präkanzeröse Läsionen Erwähnung finden.
Aktinische Cheilitis (AC)
Die aktinische Cheilitis ist eine der Hauptrisikofaktoren für Lippenkarzinome, die immerhin an 15. Stelle der weltweiten Krebserkrankungen stehen. 6 bis 10 Prozent der ACs gehen in invasive Plattenepithelkarzinome über. Hervorgerufen durch intensive Exposition zu UV- Bestrahlung kommt es bevorzugt an der Lippenrotgrenze zu Atrophie, keratotischen Plaques und Erosionen. Begünstigend wirken Hautreizungen, Befall durch Herpesviren, lokale Immunsuppression, Vitamin A-Mangel und zusätzliche Belastung durch ionisierende Strahlen. Die Noxen führen, ähnlich wie chronische Entzündungen, zur Freisetzung von aggressiven Sauerstoffverbindungen (ROS), welche dann über Schädigung der DNA zu dysplastischen Zellveränderungen führen.
Orale submuköse Fibrose
Dabei handelt es sich um eine juxtaepitheliale Fibrose und Hyalinisierung in der Mundhöhle mit fibroelastischen Veränderungen der Lamina propria, epithelialer Atrophie des Epithels und Pigmentinkontinenz. Die submukosalen Veränderungen gehen mit Ödemen und chronischer Entzündung einher. Im fortgeschrittenen Stadium kommt es zu palpablen Verhärtungen mit Einschränkung der Mobilität der Zunge. Die Auslöser sind, wie bei vielen Präkanzerosen, multifaktoriell. Besonders häufig ist die submuköse Fibrose im südostasiatischen Raum, ein Zusammenhang mit dem Kauen von Betelnuss, aber auch mit dem häufigen Genuss von scharfem Chilli, gilt als gesichert.
Zusätzlich spielen prädisponierende genetische und immunologische Faktoren eine Rolle. Auch Assoziationen zu Störungen im Lipidstoffwechsel, zu hoher Kupferbelastung mit Serumerhöhung von Coeruloplasmin, Vitamin-, Eisen- und Zinkmangel werden diskutiert. Die Symptome sind unterschiedlich stark ausgeprägt und reichen von Intoleranz gegenüber gewürzten Speisen über das burning mouth syndrom bis zu oralen Ulzerationen. Die betroffenen Patienten haben gegenüber Gesunden ein 19-fach erhöhtes Krebsrisiko.
Palatinale Keratose
Diese spezielle Form der Hyperkeratinisierung der Gaumenschleimhaut ist vor allem bei Personen mit niedrigem sozioökonomischem Status in Südamerika verbreitet. Sie entsteht durch „inverses Rauchen“, bei welchem der Raucher das entzündete Ende der Zigarette in den Mund nimmt und so den Rauch inhaliert. Die Hitzeexposition führt zu einer Hyperkeratinisierung und nicht selten zu oberflächlichen Verbrennungen der Gaumenmukosa. Diese massiven Noxen induzieren Leukoplakie, Ulzerationen, Bildung von Papeln, Hyperplasien der kleinen Speicheldrüsen und letztlich schwere Zellatypien. Auf Basis dieser Läsionen steigt die Gefahr invasiver Karzinome.
Genetische Erkrankungen
Diese Krankheitsbilder sind glücklicherweise sehr selten. Sie können, da sie auch weitere Organsysteme betreffen, nur im weiteren Sinne als ausschließlich orale Präkanzerosen angesehen werden. Bei der Epidermiolysis bullosa ist die mechanische Verbindung zwischen den Schichten von Haut und Schleimhaut gestört. Dies führt zu Blasenbildungen mit anschließender Vernarbung, was Mikrostomie und Einengungen des Öesophagus zur Folge haben kann. Die Krankheit manifestiert sich früh, die Betroffenen werden auf Grund der massiven Vulnerabilität der Haut als Schmetterlingskinder bezeichnet. Die genetische Abberation geht aus nicht ausreichend geklärter Ursache mit einem erhöhten Risiko für Plattenepithelkarzinome, Basalzellkarzinome und Melanome der Haut und Schleimhaut einher.
Die Dyskeratosis congenita geht mit einer Myelosuppression und daraus resultierenden schweren Immundefekten einher, wodurch eine allgemein erhöhte Gefahr für die Entwicklung maligner Tumoren besteht. Häufig kommt es zu oralen Läsionen wie Hypodontie, Schmelzstörungen, massiver Karies und Lichen planus. 10 Prozent der Betroffenen entwickeln bereits frühzeitig Malignome mit besonders aggressivem Krankheitsverlauf.
Discoider Lupus erythematodes
Autoantikörper gegen Zellkerne und Organellen sowie die verstärkte Aktivierung von B-Lymphozyten bei gleichzeitiger Depression von T-Zellen resultieren in einer Bildung von Autoantikörpern der Klassen IgG, IgM und IgA. Auf Haut und Schleimhaut entstehen durch Ablagerung von Immunkomplexen an den Basalmembranen von Gefäßen und die daraus resultierende Komplementaktivierung gut demarkierte, zentral eingezogene diskoide Läsionen und Teleangiektasien. Zusätzlich treten sogenannte „honeycomb plaques“ mit massiver Keratose und linearen Fissuren und Ulzerationen auf. Es entstehen ausgeprägte Vernarbungen, in welchen in seltenen Fällen, besonders bei Hinzutreten weiterer kanzerogener Noxen, ein Plattenepithelkarzinom entstehen kann.
Eine regelmäßige Inspektion und Kontrolle jeder persistierenden Veränderung der oralen Schleimhaut ist, auch wenn nur geringes malignes Transformationsrisiko besteht, aber in jedem Fall angezeigt.
DDr. Christa Eder, Wien
Hier geht's zu Teil 4: Das orale Plattenepithelkarzinom
Lesen Sie dazu auch
Teil 1: Frühdiagnose verhindert orale Karzinome und
Teil 2: Früherkennung verhindert
invasive Neoplasien
DDr. Christa Eder
ist Fachärztin für Pathologie und Mikrobiologin. Seit vielen Jahren schreibt sie für das österreichische Fachmagazin „Zahn.Medizin.Technik“ und die deutsche Fachzeitung „dzw – Die ZahnarztWoche“. Auch ist sie als Vortragende im Bereich der zahnärztlichen Mikrobiologie international bekannt.