„Wir sind für Sie nah.“
Hochgeschätzt, voller Vertrauen und sich der schwierigen Lage bewusst: So blicken die Bürger in Deutschland auf die ambulante Versorgung, genauer auf die wohnortnahe, flächendeckende und qualitativ hochwertige Arbeit der niedergelassenen hausärztlichen, fachärztlichen und psychotherapeutischen Kollegen und ihrer Teams in über 100.000 Praxen. Doch diese Versorgung ist in akuter Gefahr. Mit der bundesweiten Kampagne „Wir sind für Sie nah“ wollen die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) gemeinsam klarmachen, dass es allerhöchste Zeit für einen gesundheitspolitischen Richtungswechsel ist.
„Es ist keine Chimäre, sondern leider traurige Realität, dass die Situation der ambulanten Versorgung äußerst kritisch ist. Wir haben die Politik bereits mehrfach nachdrücklich darauf hingewiesen“, sagt KBV-Vorstandsvorsitzender Dr. Andreas Gassen. Allerdings habe man dort den Ernst der Lage bislang nicht erkennen wollen. „Im Gegensatz dazu ist die Sorge in der Bevölkerung längst angekommen. In einer Umfrage geben fast 90 Prozent der Bürgerinnen und Bürger an, dass ihnen das Thema ambulante ärztliche Versorgung wichtig ist.“
Umfrage deckt Notlage auf
Laut dieser aktuellen Civey-Umfrage befürchtet die Hälfte der über 5.000 Befragten, dass ihre Arztpraxen in naher Zukunft schließen. Über 62 Prozent stimmen der Aussage zu, dass sich Arztpraxen aktuell in einer Notlage befinden. 72 Prozent der Patienten sagen, ihre Ärzte sind Vertrauenspersonen für sie. Über 86 Prozent der Befragten ist die Nähe zum Wohnort bei der Wahl einer Ärztin oder eines Arztes wichtig.
„Bei diesen Aussagen handelt es sich nicht um das Gerede von Funktionären, sondern um echte Sorgen der Bürgerinnen und Bürger“, konstatiert Gassen. „Aus diesem Grund starten wir diese Kampagne. Denn sie zeigt, was die niedergelassenen Praxen auszeichnet: die Nähe zu den Patientinnen und Patienten.“ Daher müssten die Rahmenbedingungen der ambulanten Versorgung für 84 Millionen Patienten schnell und konsequent verbessert werden – beispielsweise durch Abbau der überbordenden Bürokratie oder Verbesserung der bislang dysfunktionalen Digitalisierung. Gassen: „Politik muss handeln – und zwar jetzt!“
Nur Praxen ermöglichen Nähe zwischen Arzt und Patient
Der stellvertretende Vorstandsvorsitzende Dr. Stephan Hofmeister ergänzt: „Diese Kampagne zeigt die emotionale Nähe zwischen Arzt und Patient, die es nur in Praxen gibt. Deshalb ist die Praxis vor Ort so eminent wichtig.“ Mancherorts sei sie der Mittelpunkt eines Dorfes. Sie nehme eine wichtige soziale Funktion in einer Kommune ein. Über Generationen hinweg gingen die Menschen zu „ihrem Arzt“ oder „ihrer Ärztin“. „Daher sind Praxen so außerordentlich wichtig für den gesellschaftlichen Zusammenhalt“, stellt der KBV-Vize klar.
Hofmeister: „Die politischen Rahmenbedingungen torpedieren jedoch die Arbeit der Niedergelassenen.“ Er verwies auf alarmierende Zahlen: „Aktuell sind über 5.000 Hausarztsitze hierzulande unbesetzt. Bedenklich ist zudem, dass bei den Hausärztinnen und Hausärzten die Abgangsraten durch die Babyboomer steigen.“ Vor allem dem Westen drohe ein erheblicher Hausarztmangel.
Bundesweit sind über 30 Prozent aller Ärzte und Psychotherapeuten über 60 Jahre alt. Mit 37 Prozent ist dieser Anteil bei den Hausärzten besonders hoch. „Hinzu kommt: 61 Prozent aller niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten überlegen, früher in den Ruhestand zu gehen.“
Ambulante Versorgung und Niederlasssung stärken
KBV-Vorständin Dr. Sibylle Steiner verwies darauf, dass sich die Rahmenbedingungen entscheidend verändern müssten, wenn die Niederlassung auch für die nachfolgende Generation weiterhin eine erstrebenswerte berufliche Option bleiben solle. Heutzutage könnten sich die angehenden Mediziner aussuchen, wo sie arbeiten wollen. „Unter den aktuellen politischen Gegebenheiten wird sich allerdings kaum ein angehender Arzt oder eine angehende Medizinerin für die eigene Praxis entscheiden. Damit bricht das Fundament der medizinischen Versorgung in diesem Land langsam, aber stetig weg“, warnt Steiner.
„Mit dieser multimedialen Kampagne wollen wir die Politik auf allen Ebenen, ob in der Gemeinde oder im Bund, aufrütteln“, erklärt Steiner. Das solle unter anderem über TV, Print, Internet und via Social Media geschehen. Denn oftmals entstünde der Eindruck, dass die politische Aufmerksamkeit ausschließlich Krankenhäusern gelte. „Eine gute Krankenhausreform ist ohne Verbesserung der ambulanten Versorgung aber ebenso wenig möglich wie umgekehrt“, so Steiner. Für die KBV-Vorständin ist unumstößlich: „Letztlich wollen Ärzte und Patienten dasselbe: eine qualitativ hochwertige und wohnortnahe ambulante Versorgung.“