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Kündigung des Behandlungsvertrags: wann rechtens, wann nicht

Die Versorgung mit Zahnersatz ist ein komplexer Behandlungsvorgang, dessen Gelingen von Faktoren abhängt, die der Zahnarzt nicht allein in der Hand hat. So kommt es vor, dass die angefertigte Prothetik nicht auf Anhieb sitzt und nachgearbeitet werden muss.

Vielfach ist in solchen Fällen unklar, inwieweit einerseits der Zahnarzt zur Korrektur berechtigt und andererseits der Patient zur Mitwirkung verpflichtet ist.

Im ersten Teil des Beitrags (DZW 45/16) ging es um die rechtlichen Grundlagen der Vertragsbeziehung zwischen Zahnarzt und Patient und die Mitwirkungspflichten. In ständiger Rechtsprechung haben die Gerichte dem Nachbesserungsrecht und damit der Mitwirkungspflicht des Patienten aber auch Grenzen gesetzt. Die Bestimmung der Grenzen der Mitwirkungspflicht des Patienten stellt gleichzeitig eine Grenzziehung der Rechte des Zahnarztes dar.

Die Grenzziehung kommt zum Tragen, sobald der Patient den Behandlungsvertrag kündigt. Die Kündigung des Behandlungsvertrags folgt den Regelungen der Paragrafen 627, 628 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und ist dem Patienten jederzeit möglich. So kann die Kündigung des Patienten zuweilen schon sehr früh erfolgen. Ein Patient erklärt beispielsweise nach der ersten Anprobe, dass der Zahnersatz „nichts tauge“ und er den Zahnarzt wechseln will. Ein solches Verhalten ist als Kündigung auszulegen. Eine Kündigung kommt aber auch erst wesentlich später in Betracht, wenn etwa der Zahnarzt diverse Nachbesserungsversuche unternommen hat und schließlich der Patient weitere Versuche unterbindet.

Vergütungsanspruch: Die Kündigung als solche besagt dabei zunächst noch nichts über den Vergütungsanspruch des Zahnarztes. Ob der Patient zur Zahlung verpflichtet bleibt, hängt davon ab, wer die Kündigung zu vertreten hat. Ist der Patient an sich zur Mitwirkung verpflichtet und bestand demgemäß das Nachbesserungsrecht des Zahnarztes, beendet der Patient zwar durch seine Kündigung den Vertrag, der Zahnarzt behält aber grundsätzlich seinen Vergütungsanspruch. War demgegenüber die Kündigung des Patienten berechtigt und muss der Patient an weiteren Nachbesserungsmaßnahmen nicht mehr mitwirken, verliert der Zahnarzt grundsätzlich seinen Vergütungsanspruch.

Sehr häufig sind Fallgestaltungen, in denen der Patient nicht ausdrücklich kündigt. In diesem Fällen sind die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs nach den Paragrafen 280, 281 BGB zu prüfen, der auch eine Freistellung von der Vergütung beinhalten kann. Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze gelten hier gleichermaßen.

Als relativ einfach stellt sich die Abgrenzungsproblematik dar, wenn der Zahnarzt zum Beispiel entgegen seiner Verpflichtung als Vertragszahnarzt weitere Behandlungsmaßnahmen selbst ablehnt und beispielsweise betont, dass er alles richtig gemacht hat. Hier stellt sich die Frage nach der Möglichkeit einer Nachbehandlung kaum. Das Gleiche gilt, wenn aus allgemeiner objektiver Sicht das Vertrauensverhältnis zwischen Zahnarzt und Patient als nicht mehr bestehend angesehen werden muss. Beispiel: Es ist zu wechselseitigen Beleidigungen gekommen.

Für weniger eindeutige Fallgestaltungen ergibt sich allerdings die Frage, anhand welcher Kriterien zwischen berechtigter und unberechtigter Kündigung zu unterscheiden ist und wie die hierfür maßgebliche Grenzziehung zwischen Nachbesserungsrecht und Mitwirkungspflicht zu erfolgen hat. Fest steht, dass eine solche Grenzziehung nicht mathematisch exakt oder nach „Schubladenlösung“ erfolgen kann, sondern stets das Ergebnis einer wertenden Betrachtungsweise ist. Allerdings bereitet eben genau das in der Praxis besondere Probleme.

Mangelanspruch bei Prothetik: Nach Rechtsprechung der Sozialgerichte gibt es vier Voraussetzungen für den sogenannten Mangelanspruch bei prothetischer Leistung. Diese sind erstmalig vom Sozialgericht (SG) Schwerin und ihm folgend vom Sozialgericht Marburg wie folgt ausgeführt worden:

  1. Dem Zahnarzt muss eine Pflichtverletzung zur Last fallen (Pflichtverletzung in Gestalt der richtlinienverletzenden beziehungsweise die Regeln der zahnärztlichen Kunst verletzenden Planung beziehungsweise Ausführung prothetischer Leistungen; die Versorgung genügt nicht dem zahnärztlichen Standard).
  2. Die Pflichtverletzung des Zahnarztes muss schuldhaft gewesen sein (das Verschulden der Zahntechnik muss er sich nach Paragraf 278 BGB zurechnen lassen).
  3. Die Pflichtverletzung muss adäquat kausal zu einem Schaden geführt haben und
  4. Es muss festgestellt werden, dass sich der Patient aus dem Behandlungsverhältnis lösen durfte, also der Zahnarzt nicht beanspruchen konnte, den Schaden durch eigene Nachbesserung oder Ersatzleistung zu beheben.

Ein Schadenersatzanspruch setzt also voraus, dass der Patient aufgrund eines schuldhaft vertragswidrigen Verhaltens des Zahnarztes zur Kündigung veranlasst worden ist.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Az.: B 6 KA 21/06 R) ist das Verschulden indiziert, wenn der Zahnersatz nicht nutzbar ist, das heißt, die Beweislast der Nutzbarkeit liegt nun beim Zahnarzt. (folgend auch Landessozialgericht – LSG – Mecklenburg Vorpommern, Az.: L 1 KA2/12. Das LSG sagt im Wortlaut: „Es liegt auch ein Verschulden des Beigeladenen vor. Die fehlende Nutzbarkeit des Zahnersatzes indiziert – wie bereits dargelegt – den Fehler des Zahnarztes bei der Versorgung. Der Vertragszahnarzt trägt die uneingeschränkte Verantwortung für die gesamte zahnärztliche Behandlung einschließlich der zahnmedizinischen Leistung. Auch ein Verschulden des zahntechnischen Labors ist zuzurechnen. Es sind auch keine exkulpierenden Anhaltspunkte ersichtlich, die ausnahmsweise das Verschulden ausschließen können.“)

Allein die Tatsache, dass eine im Rahmen der Dienstleistung erbrachte Leistung mit Mängeln behaftet ist, reicht jedoch nicht aus. Der Patient muss sich zudem aus dem Behandlungsverhältnis lösen dürfen.

Ein den Patienten zur Kündigung berechtigendes schuldhaft vertragswidriges Verhalten des Zahnarztes liegt nach der Rechtsprechung vor, wenn

  1. dessen Arbeitsergebnis vollständig unbrauchbar ist und
  2. eine Nachbesserung nicht möglich und / oder eine Nachbesserung bzw. Neuanfertigung durch den bisher behandelnden Zahnarzt dem Patienten nicht „zumutbar“ ist. (Vgl. dazu BSG-Urteil vom 2. Dezember 1992, Az.: 14 a RK a 43/91 sowie die BSG-Urteile vom 29. November 2006, Az.: B 6 KA 21/06 R, und vom 27. Juni 2012, Az.: B 6 KA 35/11 R; ebenso SG Marburg in seiner Entscheidung vom 19. Januar 2011, Az.: S 12 KA 318/10.)

Neuere Rechtsprechung: Eine der wichtigsten Erkenntnisse der neueren Rechtsprechung ist demnach, dass die Korrekturmöglichkeiten des Zahnarztes nicht etwa (mehr) dadurch limitiert sind, dass der gefertigte Zahnersatz neu hergestellt werden muss (vergleiche grundlegende Entscheidung des OLG Celle vom 15. Februar 2013, Az.: 1 U 87/12). Diese Erkenntnis ist deswegen bedeutsam, weil nach der bisherigen Rechtspraxis eine Art Automatismus angenommen wurde: Kam man zu dem Ergebnis, dass der Zahnersatz neu hergestellt werden muss, war damit mehr oder weniger automatisch das Nachbesserungsrecht des Zahnarztes ausgeschlossen. Sowohl in der Rechtsprechung der Sozial-, aber auch der Zivilgerichte hat sich hier allerdings ein Umdenkungsprozess ergeben. Eine notwendige Neuherstellung des Zahnersatzes macht nicht per se das Nachbesserungsrecht des Zahnarztes zunichte.

So hat zum Beispiel das Bayrische Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 17. Juni 2015 (Az.: L 12 KA 5044/13) unterstrichen: Die Neuanfertigung stehe der Nachbesserung gleich. Eine Grenzziehung sei in der Praxis häufig zufällig und ohnehin schwer. Ein Regressanspruch bestehe also nicht, schon alleine wegen der Notwendigkeit einer Neuanfertigung. Warum diese im vorliegenden Fall unzumutbar sein solle, sei nicht ersichtlich.

Wurde der fehlerhafte Zahnersatz definitiv zementiert, wird man differenzieren müssen: Geht es darum, Korrekturen am Zahnersatz vorzunehmen, etwa durch Einschleifen der Okklusion oder durch das Anfinieren von Kronenrändern oder dergleichen, ergibt sich das Nachbesserungsrecht zweifelsfrei aus den oben dargestellten Grundsätzen. Geht es dagegen um Mängel am definitiv eingegliederten Zahnersatz, die nur durch Neuherstellung beseitigt werden können, stellt sich die Frage der Zumutbarkeit.

In einem aktuellen Fall, der vor dem OLG Celle verhandelt wurde, ging es um Zahnersatz, der semipermanent eingegliedert wurde. Obschon das Berufungsverfahren verglichen wurde, war aber doch die Auffassung des OLG, dass jedenfalls dann eine Neuherstellung nicht mehr in Betracht kommt, wenn sich der Zahnersatz nicht mehr lösen lässt.

„Zumutbarkeit“: Sowohl in der zahnärztlichen Fachliteratur als auch in der weiteren Rechtsprechung finden sich vereinzelt Versuche, das Abgrenzungskriterium der „Zumutbarkeit“ näher zu definieren. Im Gutachterhandbuch Implantologie (Stand 2005, 2. Auflage – Achtung: Diese Fundstelle lesen viele Gutachten!) werden folgende Kriterien vorgestellt:

  • Ist das bisherige Behandlungskonzept überhaupt (noch) umsetzbar?
  • Beruhen die Mängel auf Behandlungsfehlern oder können sie einfach passieren (oder sind sie ebengerade noch keine Behandlungsfehler, weil die Möglichkeit der Nachbesserung besteht)?
  • Welche Schwierigkeiten wird die Nacherfüllung/Nachbehandlung für den Patienten wie den Erstbehandler mit sich bringen?
  • Mit welchen Behandlungsfolgen hat der Patient mit Nacherfüllung durch den Erstbehandler wie bei Behandlung durch den neuen Zahnarzt zu rechnen?
  • Wie glaubwürdig sind die vom Patienten geäußerten Beschwerden während der Behandlung durch den Erstbehandler?

Auch kann der Versuch unternommen werden, objektive und subjektive Kriterien auseinanderzuhalten und dann, so eine Empfehlung der Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZV) Sachsen, unter Einbeziehung subjektiver Faktoren weitgehend nach objektiven Kriterien zu entscheiden.

Das Oberlandesgericht Köln hat hinsichtlich der Zumutbarkeit ein – wie wir finden – interessantes Abgrenzungskriterium entwickelt: Nur ein Verhalten des Zahnarztes, das aus Sicht eines durchschnittlich robusten oder empfindsamen Patienten, der die Einsicht in die Problematik der Behandlungen zeige, als nicht mehr hinnehmbar erscheine, sei für sich genommen ausreichend, die Behandlung einseitig abzubrechen.

Wie aber muss man sich einen „durchschnittlich robusten“ oder „empfindsamen Patienten“ vorstellen?  – Sieht man die einschlägige Rechtsprechung durch, scheint es jedenfalls so zu sein, dass die Anzahl an Nachbehandlungsmaßnahmen für sich genommen nicht entscheidend ist.

So wurde in der bereits zitierten Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln darauf hingewiesen, dass „die bloße Zahl von Behandlungsterminen (im konkreten Fall 17), die überwiegend durch Beschwerden der Patienten veranlasst gewesen sein mögen, nicht entscheidend“ sei. In anderen Entscheidungen wurden 22 weitere Behandlungstermine oder gar 30 Nachbesserungsversuche als nicht zumutbar angesehen (LSG Berlin- Brandenburg vom 21. November 2007, Az.: 11 KA 18/03, und BSG vom 27. Juni 2012, Az.: B 6 KA 35/11 R), aber auch schon bei vier Nachbesserungsversuchen fiel wegen Uneinsichtigkeit des Zahnarztes in die Behandlungsmängel der Vorhang (BSG, Urteil vom 29. November 2006, Az.: B 6 KA 21/06 R).

Für die Praxis kann man in jedem Fall nur dazu raten, sehr sorgfältig anhand der Behandlungsdokumentation zu analysieren, ob die einzelnen Termine wirklich Nachbesserungstermine waren. Patientenanwälte „übersehen“ gerne, dass solche Termine gelegentlich völlig anderen Zwecken dienten, zum Beispiel einer PZR.

Streitfrage Randschluss: Regelmäßig streiten Zahnarzt und Patient vor Gericht auch um die Frage, ob der Randschluss der vom Zahnarzt eingesetzten Krone in Ordnung war. Es ist immer wieder festzustellen, welche Folgen das Feststellen von positiven oder negativen Stufen, von Randspalten und abstehenden Kronenrändern auf Sozial- oder Zivilgerichte hat. Nachdem der Gutachter ausgeführt hat, dass Kronen mit solchen Defiziten unbrauchbar seien und erneuert werden müssen, wird in der Regel ein Nachbesserungsrecht des Zahnarztes verneint. Hier lohnt sich in jedem Fall ein genauer Blick auf die Begutachtung.

Lässt sich im Nachhinein die klinische Situation zum Zeitpunkt der Eingliederung nicht mehr feststellen, kommt es häufig auf die Auswertung der Röntgenaufnahmen durch den Sachverständigen an. Die Aussagekraft von Röntgenaufnahmen für den Randschluss ist allerdings begrenzt. In der wissenschaftlichen Literatur wird zwischen falsch negativen und falsch positiven Befunden unterschieden. Falsch negativ heißt, dass ein real vorhandener Defekt im Röntgenbild nicht dargestellt wird. Falsch positiv bedeutet, dass ein vermeintlicher Defekt in der Realität nicht vorhanden ist. An dieser Stelle können verschiedene Effekte zum Tragen kommen, die im Einzelnen zu überprüfen sind, so der sogenannte Mach-Effekt. Dieser bezeichnet durch neuronale Verschaltung der Netzhaut verursachte Sinnestäuschungen. Insbesondere bei digitalen Aufnahmen kann der Sinnestäuschung durch Maskierung des dichten Teils oder der Grenzflächen entgangen werden.

Die Quote der falsch positiven Befunde bei Kronenranddefiziten ist mit 50 bis 60 Prozent angegeben und damit so hoch, dass auf die Auswertung des Röntgenbilds durch den Sachverständigen besonderes Augenmerk gelegt werden sollte.