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Woher die ­Zurückhaltung bei ­Mundpflege und ­Zahnbehandlung Pflegebedürftiger?

Horst Willeweit zum Ist-Stand und zur nötigen ­Weiterentwicklung der zahnmedizinischen ­Betreuung von Senioren in ­Pflegeeinrichtungen

Wir müssen nicht mehr die Notwendigkeit zum Handeln diskutieren. Wir müssen nicht auf die „x-te“ Studie beispielsweise zur Delegationsfähigkeit des Einsatzes von Mundpfleger:innen, ausgesandt aus zahnärztlicher Praxis, warten, die allein – ohne unmittelbare zahnärztliche Kontrolle handelnd – mundpflegerisch tätig werden. Wir müssen handeln und am schutzbefohlenen alten, oft hilflosen Menschen arbeiten; ich betone: arbeiten! (01-Abholer:innen, den Kooperationsvertrag als Deckmäntelchen nutzend, Wurzelreste sehenden Auges übersehend, sind hier nicht gemeint.) Im Folgenden mein Resümee aus vierjährigen intensiven Kontakten, Ideen und Planung eines geordneten, für Deutschland flächendeckenden Systems zur zahnmedizinischen Seniorenbetreuung.

Zahnmedizin oft nicht im Fokus

Wenige Behandler:innen arbeiten neben ihrer niedergelassenen Praxis in diesem Bereich regelmäßig und vollumfänglich – wenige. Respekt! Es darf aber angenommen werden, dass mit steigender Quote von Kooperationsverträgen (Einzelpflegeeinrichtung zu Einzelpraxis) die Anzahl der „Schläfer“ im Projekt wächst. Vordergründig wurden Pflegeheime/Heimträgerschaften, dem Paragraf 119 b SGB V vom 19. Dezember 2019 Genüge tuend, indem KZVen, ihrem Versorgungsauftrag gerecht werdend, diese Kooperationsverträge ausbringen und registrieren. Nun heißt es in dem Gesetz im Kern allerdings „… medizinische Versorgung ist durch die Heimträgerschaften regelmäßig, aufsuchend und nicht erst anlassbezogen zu organisieren …“ Und wie manchmal in der Medizin wird nicht zuerst an die Zahnmedizin gedacht. Und so wird bis dato hinter den Lippenlinien die an sich durch das Pflegepersonal zu erbringende Mundpflege gern mal hintangestellt beziehungsweise ganz unterlassen.

Zweieinhalb Jahre keine ­Zahnbürste gesehen

Werden die 01-sen mitunter tatsächlich erbracht, so beschränkt sich die Behandlung auf eine Überweisung in die MKG-Chir­urgie. Am Bedarf der KONS, der Endo, der Prothetik, der regelmäßigen Mundpflege wird vorbeigesehen. Dabei sind dem Vernehmen nach die zur Verfügung stehenden Vergütungsgrößen für die zahnärztliche Tätigkeit auskömmlich.

Recht gelegen kamen die Kontaktverbote in der Pandemiezeit. Die ist nun vorbei, und aus dem Kreis der vorerwähnten wenigen, umfänglich engagierten Behandler:innen verlautet, dass nicht wenige Klienten in den vergangenen zweieinhalb Jahren keine Zahnbürste in Anwendung erlebt haben. Auch zeigen Heime selbst wenig Engagement darin, den Behandler:innen den Patientenzugang zu erleichtern. Auf breiter Fläche liegen die pro Klienten notwendigen Einwilligungserklärungen, die der Zahnärzt:innenschaft die klinische Konsultation in der Mundhöhle überhaupt erst erlauben, nicht vor. Die Situation ist, auf die Fläche gesehen, sehr zum Nachteil der Senioren, von einer Erfüllung der gesetzlichen Vorgabe und den Versorgungsmöglichkeiten ist sie weit entfernt.

Seien wir versichert: Auch Senioren wollen sich im Spiegel ansehen können, die sprichwörtlichen Zähne zeigen können, zubeißen, ihre Enkel ohne ekligen Mundgeruch in die Arme schließen können. Paragraf 119 b SGB V seht dafür. Und weil niemand über dem Gesetz steht, steht, das Delta der Nichtversorgung erkennend, die Erfüllung an.

An dieser Stelle die organisatorische, technische Lösung umfassend vorzustellen, würde zu weit führen. Dazu gab es in der dzw 12/2022 vom 23. März 2022 einen Beitrag (Modell einer ­Schwerpunktpraxis für ­Seniorenzahnmedizin). Was den wirtschaftlichen Erfolg eines Engagements für Schwerpunktpraxen angeht, ist darin auch eine Ausführung gemacht.

Nun zur in der Überschrift plakatierten Zurückhaltung. Aus zahlreichen Vorstellungen der Leistungsfähigkeit von Schwerpunktpraxen für die Seniorenzahnmedizin resümiere ich aus der Zahnärzt:innenschaft:

  • Außerhalb der eigenen Praxis fühlt man sich unsicher.
  • Der wohl vorhandene GOZ-Blick gelegentlich einer 01 verheißt wenig profitable Prothetik, wenig Abdingungsmöglichkeiten.
  • Es wird kein neues Langzeitklientel aufgebaut.
  • „Das lohnt nicht“, wird häufig geäußert. Nachgefragt ist das eine Schutzbehauptung.
  • „Ich habe kein Assistenzpersonal für diese anstrengende, bisweilen aufregende Arbeit.“
  • „Ich mag die Verantwortung gegenüber morbiden Patienten nicht tragen.“
  • „Ich habe einmal probiert, Patienten aus dem Pflegeheim in meine Praxis zu holen – das bringt alles durcheinander.“
  • „Vor dem Einsatz der Narkose in der Zahnbehandlung der Alten habe ich regelrecht Angst.“
  • Der organisatorische Aufwand wird als zu groß beschrieben (Medikamentenabstimmung mit anderen medizinischen Disziplinen).
  • „Diese Arbeit an den Alten ist mir schlicht zu anstrengend und auch zu unangenehm.“
  • „Ich fürchte Regresse, wenn ich die in dieser Sache vermehrt anfallenden Positionen abrechne.“

An die 50 Prozent der Berufsbezeichnung Arzt im Zahnarzt mag man sich nicht immer gern erinnern lassen. Im Klartext: die Politik muss sich an der Umsetzung des Paragraf 119 b SGB V messen lassen und zuvorderst die Heimträger zur Umsetzung auffordern. Sehr bald danach allerdings wird die Zahnärzteschaft gerufen sein. Dazu wird, weil anders gar nicht realisierbar, auch die überfällige (Nach-)Schulung des Pflegepersonals zur Mundpflege gehören.

„Bewohner:in putzt selbst“

Eine kompetente Anleitung dazu wurde jüngst unter der Überschrift „mund-pflege“ ins Netz gestellt: www.mund-pflege.net. Freilich setzt auch die nur dann wirksam auf, wenn zunächst einmal der Zahnapparat im Patientenmund zahnärztlich gründlich und umfassend gesichert wurde. Der erreichte Status kann dann unter Anleitung der aus den Schwerpunktpraxen entsandten mitarbeitenden Mundpflegende im Verbund mit dem Heimpflegepersonal gehalten werden. Entsprechend der Vielfalt der Mundsituationen und der Prothetikformen wird die Schulung des Heimpersonals wiederholt vonnöten sein. Sehr zum Nutzen der alten Menschen! Verhindert werden muss, dass leichtfertig, weil bequem, oder unwissend in den Pflegeprotokollen im Heim das Feld „Bewohner:in putzt selbst“ angekreuzt wird, selbst dann, wenn die Zahnbürste vom Klienten nur von 13 bis 23 labial bewegt werden kann.

Wird offengelegt, wie groß die Differenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist, können die KZVen, erinnert aus der Politik/der Aufsicht, sich ihres Sicherstellungsauftrags in der Versorgung erinnern. Zur Orientierung: Wir sprechen über derzeit rund 8.000 Pflegeheime in Deutschland mit ca. 850.000 Bewohnenden. Tendenz deutlich steigend. Notfalls könnte jemandem auch ein Malus-System in den Mittelzuweisungen einfallen.

Schwerpunktpraxen, speziell ausgerüstet, könnten eine Lösung sein. Ausgehend von einem Radius von im Schnitt 30 km können 142 Schwerpunktpraxen für Seniorenzahnmedizin in Deutschland den Behandlungsbedarf abdecken. Auf jede Schwerpunktpraxis entfallen dann etwa 6.000 Heimbewohnende. Das entspricht bei angenommenen 80 Bewohnenden pro Heim etwa 75 Heimen, die aus einer Schwerpunktpraxis versorgt werden können. Dekadenweise aus niedergelassenen Mehrbehandlerpraxen in Form von Genossenschaftsverträgen betrieben, würde die Sache laufen können.

Horst Willeweit, Bielefeld

Horst Willeweit

Nach 45 Jahren als Praxiseinrichter ist Horst Willeweit im Feld der Dienstleistungen für Dentalhandel, Herstellung sowie der Wertermittlung zahnärztlicher Praxen und zahntechnischer Labore bundesweit tätig (Abgaben/Übernahmen, materiell wie ideell/Goodwill).
Kontakt auf www.willeweit.de

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6 Jahre 3 Monate