Der Countdown läuft: Laut E-Health-Gesetz sollen bis zum 31. Dezember 2018 alle Praxen an die TI angeschlossen sein. Das Zeitfenster wird immer kleiner, die finanziellen Erstausstattungspauschalen werden es auch. Vor dem Time Warp also eine gute Gelegenheit, eine kleine gesundheitspolitische Sprengladung anzubringen. Martin Litsch, seines Zeichens Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbands, erklärte die Elektronische Gesundheitskarte und die ihr zugrundeliegende Technologie kurzerhand für veraltet und forderte vom neuen Gesundheitsminister Spahn einen kompletten Neustart der Digitalisierung des Gesundheitssystems. Zwei Milliarden Euro verbrannte Steuergelder seien genug. Bäng. So klingt eine steile Ansage.
Ulrike Elsner, VDEK-Vorstandsvorsitzende, kontert direkt und deklamiert in der „Ärzte Zeitung“: „Das Projekt ist nicht gescheitert.“ Die GKV-SV-Vorstandsvorsitzende Dr. Doris Pfeiffer versucht, die Wogen zu glätten. In einem DZW-exklusiven Statement mahnt sie: „Mehr als acht Monate vor dem Ende der Ausstattungsfrist sollten allerdings alle Beteiligten intensiv daran arbeiten, sie zu halten, statt über Verschiebungen zu diskutieren.“
Chip-Karten-Showdown
Bleiben wir also in der Gegenwart und schauen uns das weite TI-Feld einmal genauer an. Die elektronische Gesundheitskarte ist eine Chip-Karte mit Passfoto. Auf ihr werden nur Stammdaten, Notfalldaten und Medikation gespeichert. Nicht mehr. Sie dient zudem als Zugangsschlüssel für die geplante elektronische Patientenakte. Das wird die eigentliche Datenbank, für die noch einheitliche Standards entwickelt werden müssen. Karte und Kartenterminals dienen der Identifizierung – beim Bankautomaten wollen wir ja auch nicht, das andere Geld vom eigenen Konto abheben. Was also kann an der elektronischen Gesundheitskarte gescheitert sein? Sie ist und bleibt eine Chipkarte. Worauf es ankommen wird, sind die möglichen Anwendungen und die Technologie der dahinterliegenden Infrastruktur. Hier ist viel Raum zum Scheitern. Auch bei der Frage der Sicherheit. Wo werden die digitalen Patientenakten abgelegt? Gibt es zentrale oder dezentrale Datenbanken?
Ein Vergleich mit dem Online-Banking zeigt, dass die Chipkarte zum Zugang zu den digitalen Daten gar nicht immer Anwendung finden muss. Beim Online-Banking reicht schließlich auch ein Smartphone mit den entsprechenden Apps. Scheitern kann die Digitalisierung des Gesundheitswesens vielleicht mit absurden Anforderungen, wenn beispielsweise ein Arzt nur in Anwesenheit des Versicherten an wichtige Daten käme. So könnte natürlich Missbrauch minimiert werden, der Nutzen aber auch.
Das war ich nicht, das war schon kaputt
Erst seit November 2017 gibt es mit der CompuGroup einen einzigen Anbieter aller notwenigen und zugelassenen TI-Komponenten. Drei weitere Anbieter würden lieber heute als morgen auf den Markt, warten aber noch auf Zertifizierung und Zulassung. Heute sind nach Angaben von CompuGroup Medical-Vorstand Uwe Eibich mehr als 10.000 Praxen angeschlossen. Das sind weniger als 10 Prozent. Dr. Thomas Kriedel, KBV-Telematik-Vorstand, fordert schon eine erneute Fristverlängerung bis mindestens Mitte 2019. Und einen Schuldigen hat er auch schon ausgemacht: „Wir können nicht hinnehmen, dass die niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten die Probleme ausbaden müssen, die der Markt verursacht.“ Oliver Bruzek, CCO der CompuGroup Medical, twitterte dazu: „Seit einem halben Jahr weisen wir darauf hin, dass es bei Anbindung an #Telematikinfrastruktur zu #Terminengpässen kommt, wenn alle #Ärzte sich erst im letzten Moment entscheiden. Lobbyorganisationen der Ärzte standen auf Bremse und nun fordern sie #Fristverlängerung #eHealth“ und „Lieferengpässe bei ‚der #Industrie‘ gibt es nicht. Wir können sofort und vollständig liefern und anbinden. Über Änderung der #Finanzierungsvereinbarung sollte man reden, damit Ärzte nicht draufzahlen müssen. Fristverlängerung hingegen führt erneut zu Verzögerungen“.
Rechtzeitig zum Frühlingsbeginn kommt die große PR-Tour so richtig in Fahrt. Auch daran kann ein Projekt scheitern.