Unter der Angst vor Spinnen, Arachnophobie genannt, leiden bis zu 6,1 Prozent der Bevölkerung. Die Phobie wird bislang mithilfe der Konfrontationstherapie behandelt. Das Problem: 60 bis 80 Prozent der Spinnenphobiker werden aufgrund des fehlenden Angebots gar nicht erst therapiert. Andere wiederum können sich wegen ihrer Ängste keiner realen Spinne stellen. Ein Fraunhofer-Forscherteam entwickelt derzeit gemeinsam mit Partnern ein digitales Therapiesystem, das die Behandlung im häuslichen Umfeld ermöglichen und Betroffenen ein besseres Sicherheitsgefühl vermitteln soll. Ein Demonstrator des Systems ist noch heute auf der Messe Medica in Düsseldorf (Fraunhofer-Gemeinschaftsstand G05/H04, Halle 10) zu sehen.
Spinnen, die für den Menschen gefährlich sind, gibt es hierzulande nicht. Dennoch geraten viele Menschen bei ihrem Anblick in Panik. Ihr Körper reagiert mit Herzklopfen, Zittern, Schwindel, Schweißausbrüchen oder Atemnot. Manchmal ist der Leidensdruck so groß, dass Betroffene sich in Therapie begeben müssen. Bewährt haben sich dabei vor allem verhaltenstherapeutische Ansätze. Als besonders wirkungsvoll gilt die Expositionstherapie, bei der der Patient real mit einer oder mehreren Spinnen konfrontiert wird. Doch oftmals nehmen Betroffene keine ärztliche Hilfe in Anspruch, da sie zum einen die Konfrontation mit den angstauslösenden Krabbeltieren fürchten, zum anderen, weil es an Therapieangeboten mangelt.
Im Projekt „DigiPhobie“ wollen Forscher des Fraunhofer-Instituts für Biomedizinische Technik IBMT gemeinsam mit der Promotion Software GmbH, der Universität des Saarlandes und dem Universitätsklinikum des Saarlandes diesen Problemen entgegenwirken. Sie entwickeln ein neuartiges, digitales Therapiesystem, das die Expositionstherapie in der häuslichen Umgebung ermöglichen soll. Die Konfrontation mit dem angstauslösenden Objekt in der virtuellen Realität soll es den Patienten erleichtern, sich ihren Ängsten zu stellen und die Hemmschwelle, eine Behandlung zu beginnen, zu überwinden. Das System setzt sich aus einer digitalen Therapieumgebung, tragbaren Sensoren und einer Augmented-Reality-Brille (AR-Brille) zusammen.
Konfrontationstherapie in der virtuellen Realität
„Wir übertragen die echte Konfrontationstherapie in das digitale Spielesystem, das auf der Datenbrille läuft. Alle Übungen werden digital abgebildet. Der Phobiker kann die verschiedenen Aufgaben wie das Einfangen einer Spinne mit einem Glas und einer Postkarte oder das Anstupsen des Krabbeltiers in der virtuellen Realität lösen“, beschreibt Dr. Frank Ihmig, Wissenschaftler am Fraunhofer IBMT, den therapeutischen Ansatz. Ihmig und sein Team realisieren die Software zum Therapiemanagement sowie die Biofeedbacksteuerung. Diese besteht aus tragbaren Sensoren, die während einer Sitzung die Vitalparameter des Patienten wie Herzratenvariabilität, Hautleitfähigkeit und Atemfrequenz messen.
Aus den gemessenen Parametern lassen sich Merkmale extrahieren, die emotionalen Stress darstellen. Mithilfe dieser Stressmerkmale trainieren die Forscher einen maschinellen Lernalgorithmus. Mit diesem leiten sie die physiologische Angstreaktion des Patienten ab und versuchen, die Intensität der Angst zu bestimmen. „Neben der subjektiven Wahrnehmung des Spinnenphobikers liegt demnach ein objektives Maß für dessen Angstreaktion vor. Dieses berechnete Maß wird in das digitale Spielegeschehen rückgekoppelt, sodass wir quasi ein Closed-Loop-System etablieren. Damit können wir die Therapie personalisiert an die Bedürfnisse des Patienten anpassen“, erläutert Ihmig die Funktionsweise der innovativen Behandlung.
Spielelemente wie Größe, Anzahl und Abstand der Spinnen, aber auch das Bewegungsverhalten der Achtbeiner lassen sich dynamisch einstellen. Zum Messen des EKG und der Hautleitfähigkeit verwenden die Fraunhofer-Forschenden Klebeelektroden. Die Atmung wird mithilfe eines Brustgurts mit Piezosensor überwacht. Die gemessenen Signale werden drahtlos per Bluetooth an die Therapiemanagementsoftware übertragen. Alle Daten der Sitzungen sowie der Therapieverlauf werden in der Datenbank archiviert und den Therapeuten und klinischen Forschern zur Analyse zur Verfügung gestellt.
Wirksamkeit wird in klinischer Studie ermittelt
Im Frühjahr 2019 startet eine Validierungsstudie, in der die Wirksamkeit der digitalen Therapie evaluiert wird. Ähnliche Ansätze mit Virtual-Reality-Brillen (VR-Brillen) haben gezeigt, dass sich mit dieser Form der Therapie gute Erfolge erzielen lassen. Die Analyseergebnisse sollen den Grundstein für weitere Behandlungskonzepte legen. Denkbar ist es beispielsweise, die Therapie auf andere Phobien wie die Angst vor Schlangen oder Kakerlaken zu übertragen. Die Forscher hoffen, dass die Ergebnisse der klinischen Studie neue Perspektiven für die Therapie von Patienten eröffnen, die an spezifischen Phobien leiden. Darüber hinaus sind die Ergebnisse die Basis für die Entwicklung eines Systemkoffers, der das komplette Therapieset enthält. „Langfristiges Ziel ist es, dass der Patient den Koffer in Arztpraxen oder Sanitätshäusern ausleihen und einzelne Sitzungen und Übungen zu Hause durchführen kann“, sagt Ihmig.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung BMBF fördert das Projekt „DigiPhobie“, das von 2017 bis Ende 2019 läuft, im Rahmen der Fördermaßnahme „Medizintechnische Lösungen für eine digitale Gesundheitsversorgung“.