Mit der gemeinnützigen „Aktion Stoppt Parodontitis“ sagen Dr. Volker Storcks, Zahnmediziner, und Diplom-Biologe Winfried Vosskötter der „Volkskrankheit Nummer eins“ den Kampf an. In Eigenregie entwickelten die Kieler Freunde den ParoPass und haben inzwischen weitere Maßnahmen ergriffen, um der Interdentalbürste zu größerer Popularität zu verhelfen.
Im dzw-Interview sprechen Storcks und Vosskötter über persönliche Herausforderungen und darüber, was sich in Sachen Prophylaxe ändern muss.
Ihre Aktion gibt es jetzt seit 2016. Was läuft gut und was könnte besser sein?
Winfried Vosskötter: Wir freuen uns, dass der ParoPass bei vielen Zahnärzten gut ankommt. Wir haben rund 50.000 ParoPässe unters Volk gebracht und an der Aktion beteiligen sich mittlerweile knapp 150 Zahnärzte. Die Zahnärzteschaft ist aber auch heterogen und bei einigen kam der Wunsch auf, den ParoPass so zu gestalten, dass der Patient ihn besser versteht. Daraufhin haben wir ihn mit mehr Informationen angereichert. Man kann die Einteilung mit der Farbskala – grün ist gesund, gelb entzündet und rot steht für Parodontitis – sehr gut abbilden, sodass schnell ein Erfolgserlebnis entsteht. Aber es ist schwierig, es allen recht zu machen. Einige bemängeln nun, dass die Informationen zu umfassend sind.
Dr. Volker Storcks: Wir haben sehr viele Pässe auf Messen und Kongressen und im Zahnärzteverein kostenlos verteilt, um die Kollegen damit vertraut zu machen und wir erhoffen uns, dass es ab März noch mehr wird.
Ihr Projekt wurde auch schon kritisiert.
Storcks: Viele Zahnärzte sehen den Pass als ein nettes Give-away. Aber in die Details wollen sie dann nicht gehen. Für einige Kollegen ist es ein Problem, dass sich zwei Jungs anmaßen, einen Pass rauszubringen – ein Pass ist ja immer auch etwas Offizielles. Wir sind daher froh, dass das Projekt grundsätzlich von den Fachorganisationen wie der DG Paro oder den Kammern angenommen wird. Ein Standesvertreter hat uns aber auch schon gesagt, wir sollen uns raushalten, da die Bundeszahnärztekammer selbst eine große Aufklärungskampagne zum Thema Parodontitis plane. Das war 2016. Seither ist von dieser Seite nicht viel passiert.
Es gab im vergangenen Jahr einige gravierende Maßnahmen, neue S3-Leitlinien oder die neue Klassifikation. Wie ordnen Sie dies ein?
Storcks: Die neue Klassifikation ist sinnvoll, weil der Parodontitispatient, der einmal durchbehandelt wurde, nicht mehr als krank gilt. Es ist ein Paradigmenwechsel, dass Menschen, wenn sie wissen, wie man die Zähne richtig pflegt, auch trotz Attachmentverlust parodontal gesund sind. Die Abstufung in Staging und Grading ist sinnvoll, da viele Kollegen sich zwar natürlich mit Parodontitis beschäftigen, aber ganz andere aktuelle Dinge wie die Telematikinfrastruktur oder Probleme mit dem Steuerberater in den Fokus rücken. Viele Zahnärzte sind nicht mit dem PSI vertraut, der ParoPass hilft ihnen schnell, sich in den Codes zurechtzufinden.
Faktoren wie Ernährung oder Rauchen spielen bei der Entstehung von Parodontitis eine nicht unerhebliche Rolle. Können Sie sich vorstellen, diese Aspekte in Ihre Aufklärungskampagne zu integrieren?
Vosskötter: Grundsätzlich schon. Wer sich sehr gesund ernährt, nicht raucht und überhaupt keinen Risikofaktor hat, bekommt trotzdem Parodontitis, wenn er die Veranlagung dazu hat. Daher ist dieser Ansatz immer etwas problematisch. Die Entzündung kann mit der richtigen Pflege nach kürzester Zeit komplett ausheilen und deshalb bildet Mundhygiene die Grundlage.
Storcks: Kein Zahnarzt oder Professor der Zahnheilkunde hat Parodontitis. Eben weil Zahnärzte wissen, wie sie Zähne und Interdentalräume richtig pflegen. Parodontitis ist eine selbst herbeigeführte Erkrankung, die man ganz einfach eindämmen kann. Es gibt natürlich auch immer ein paar Prozent mit genetischer Vorbelastung, aber bei mehr als 95 Prozent lösen zu viel Plaque und zu wenig Reinigung die Erkrankung aus.
Wollen Sie die kommende IDS nutzen, um Ihre Aktion noch bekannter zu machen?
Vosskötter: Das war unser erster Gedanke. Allerdings dürfen wir unser Material dort leider nicht verteilen. Deshalb werden wir die IDS vor allem nutzen, um Netzwerke zu knüpfen. Es sind alle Hersteller von Interdentalbürsten da, die Verbände und die Fachpresse und dann kann man schauen, was sich ergibt.
Storcks: Wir werden den Chef von TePe treffen. An TePe kommt man beim Thema Interdentalpflege nicht vorbei und die sind einfach sehr gut aufgestellt. Allerdings war die Zusammenarbeit bisher gar nicht so einfach. Vielleicht haben die Hersteller Angst, das Zepter aus der Hand zu geben, was natürlich unbegründet ist.
Auf Ihrer Webseite hat sich einiges getan. Neben einem Relaunch fällt auf, dass Sie sich nicht mehr „Aktionsbündnis“, sondern nun „Aktion“ nennen. Warum?
Storcks: Damals sind wir davon ausgegangen, dass wir die Kampagne zusammen mit der DG Paro durchführen. Professor Dörfer schlug dann das Bündnis vor. Die Idee war, die AOK und TePe mit ins Boot zu holen. Leider ist außer Spesen nichts gewesen. Aus dem Bündnis wurde die Aktion und wir haben stattdessen den Weg der Gemeinnützigkeit beschritten.
Vosskötter: Durch die Gemeinnützigkeit können wir am Google Ad Grants Programm teilnehmen. Das kann, wenn es gut läuft, dazu führen, dass wir bis zum Herbst im Google-Ranking ganz oben auftauchen.
Digitalisierung ist der Megatrend der Dentalbranche. Gibt es den ParoPass demnächst als App?
Vosskötter: Die Techniker Krankenkasse hat schon gesagt: wenn, dann nur digital. Klar, das ergibt schon Sinn, aber die wollen natürlich auch selbst was auf den Markt bringen.
Storcks: Das kann man parallel machen, aber wir möchten dem Patienten etwas Haptisches anbieten, allem, was mit dem Bildschirm zusammenhängt, sind die Leute überdrüssig, da braucht es nicht noch hierfür unbedingt eine App. Der Zahnarzt kann dort nichts eintragen, nichts unterschreiben, keinen Stempel aufdrücken. So richtig erschließt sich mir da noch nicht der Nutzen.
Vosskötter: Man muss halt nicht dauernd ein Papier dabeihaben. Man schleppt ja sowieso schon sehr viele Karten mit sich herum. Da wäre eine App besser. Auch wenn man über einen größeren Zeitraum sieht, wie sich die Zahnfleischtaschen entwickeln. Wenn jemand in der Praxis ist, macht ein Stück Papier aber sicher mehr her. Gerade für die Älteren ist das angenehmer.
Was planen Sie, um die Menschen noch besser zu informieren?
Storcks: Ganz neu ist die Broschüre, in die wir viel Arbeit gesteckt haben. Und sie kommt gut an, vor allem das Titelbild, auf dem kleine Bakterien-Piranhas das Zahnfleisch wegnagen. Der Comicstil illustriert den ernsten Hintergrund auf eine lockere Art und Weise. Die Broschüren der Krankenkassen zu dem Thema, in denen dann was von Zahnseide und Zähneputzen steht, liest sich keiner durch. Aber diese Broschüre, die hat was. Sie ist einfach spannend gemacht. Wir lassen 30.000 Stück drucken und da wir keinen Sponsor haben, zahlen wir sie aus unserer eigenen Tasche.
Vosskötter: Dabei ist das ganze Konzept so schlüssig, mit ParoPass, informativer Website und super Broschüre.
Storcks: Wir sind optimistisch, dass wir 2019 den Durchbruch schaffen. Die AOK, die uns bisher unterstützt hat, hat ihre Spende leider verringert. Dabei könnte ihre Werbung mit unserer Broschüre in vielen deutschen Wartezimmern zu finden sein. Aber wahrscheinlich werden die Kassen von Anfragen überhäuft und können nicht die Spreu vom Weizen trennen. Unser Konzept verfolgt einen neuen Ansatz, der von vielen leider nicht verstanden wird. Dann heißt es: Die Patienten gehen doch zur PZR. Aber wie wird denn die PZR in Deutschland gemacht? Da werden einmal die Zähne poliert. Das, was in den S3-Richtlinien jetzt steht, was die DG Paro herausgearbeitet hat, legt fest, dass ein viel größerer Zeitwert der Motivation und Instruktion für Mundhygiene bereitgestellt werden muss, aber das passiert de facto nicht. In der Regel setzen sich die Patienten hin und die ZFA macht die Zähne sauber, vorne werden 50 Euro kassiert und das wars. Die Prophylaxehelferinnen sollten die Zeit nutzen, mit den Patienten Interdentalpflege und richtige Zahnreinigung zu üben, aber das wird nicht gemacht.
Vosskötter: Eine Idee von uns ist die Aktivprophylaxe – das Wort haben wir extra erfunden, damit klar ist, dass man selbst aktiv werden muss. Die Aktivprophylaxe orientiert sich an der Soloprophylaxe, einem Konzept der Solo-Med GmbH aus Trier.
Storcks: Unser Ansatz ist auch eine Schlussfolgerung der DSM-5. Bei Kindern wird Individualprophylaxe durchgeführt und sie wirkt. Kinder haben heute kaum noch Karies. Wir haben bei den Jugendlichen fast nichts mehr zu bohren. Die Prophylaxe hört dann mit 18 auf. Es gibt – ganz neu – die Früherkennung bis drei Jahre und auch für Pflegebedürftige gibt es einen neuen Paragrafen. Der Rest der Menschen, die 18- bis 80-Jährigen, sollen Prophylaxe aus eigener Tasche bezahlen. Das liegt daran, dass unser Leistungskatalog nur auf Therapie ausgelegt ist, und nicht auf Vorbeugung. Das ist ein Skandal! Kassenpatienten sollten zweimal im Jahr das Recht darauf hat, dass eine fortgebildete Helferin mit ihnen eine Individualprophylaxe macht. Das wäre ein großer Gewinn für die Zahngesundheit.
Aber dann müsste man ja eigentlich vor allem bei der Fachassistenz ansetzen.
Storcks: Motovieren und instruieren ist anstrengend. Der Patient will das vielleicht nicht und die ZFA traut sich dann nicht, die Initiative zu ergreifen. Da muss man einfach dicke Bretter bohren und sagen: Das geht nicht! Die Richtlinie beinhaltet, dass ein Großteil der PZR darin besteht, Mundpflege einzuüben. Der Belag ist am nächsten Tag wieder da und der Patient soll lernen, die Zähne selbst gesund zu halten. Er muss nicht jedes halbe Jahr zur PZR. Man muss die PZR differenziert betrachten. Wenn man mit Zahn- und Interdentalbürsten gut reinigt, braucht man das nicht. Meistens kommen die Leute zur PZR, die schon gesundheitsbewusst sind und es eigentlich gar nicht nötig haben.
Wie möchten Sie die Patienten direkt ansprechen?
Vosskötter: Vor allem durch Google Ad Grants. Suchbegriffe wie Parodontose oder Parodontitis sind sehr häufig. Der Begriff Interdentalbürste wird fast gar nicht gesucht. Insgesamt könnten wir mehrere Hunderttausend Nutzer erreichen. Das ist gar nicht so einfach, weil man sich nicht an eine konkrete Leserschaft wendet, sondern die Infos so spannend gestalten muss, dass die Leute die Artikel nicht direkt wegklicken, weil sie nicht das beinhalten, wonach sie gesucht haben.
Storcks: Für die Verteilung unserer Broschüre und Infos benötigen wir einen Partner oder Sponsor.
Vosskötter: Natürlich ist für uns auch die Videoschiene interessant, da bei YouTube ein ziemlicher Wildwuchs herrscht. Es gibt eine Menge Beratungsbedarf, aber das Projekt können wir nicht komplett aus eigener Tasche finanzieren. Hoffentlich ergibt sich noch was.
Wie viel Zeit investieren Sie in die Aktion Stoppt Parodontitis?
Storcks: Für Herrn Vosskötter ist das im Moment ein Vollzeitjob. Ich habe eine Assistenzzahnärztin eingestellt, unter anderem auch wegen des Projekts, eine Stunde kostet mich das schon am Tag. Für mich ist das Ganze eine Herzensangelegenheit und es lässt sich wie eine Art Hobby nebenbei noch ganz gut bewerkstelligen.
Auf Ihrer Website ist schon ein ganzes Team zu sehen…
Vosskötter: Wir bekommen Unterstützung von einer Zahnmedizinstudentin, die auch in einer Fachschaft aktiv ist, und von zwei Praktikanten, die von der Uni kommen. Was klar ist: 2019 muss was passieren und wir sind auch eigentlich guter Dinge. Und deshalb brauchen wir ein Team, um gerüstet zu sein, wenn es richtig losgeht.
Noch ein Wort zum Schluss…
Storcks: Das Honorarsystem muss sich ändern. Da besteht Aufholbedarf! Die Zahnärzte sollten keine Angst vor einbrechenden Umsätzen haben. Die Umsätze werden sich verlagern und wir werden alle nicht arbeitslos. Im Gegenteil: Die Arbeit ändert sich einfach hin zu mehr Vorsorge.
Bis Ende März gibt es den ParoPass und die Broschüre zum Einführungspreis. Wer bestellt, wird in der Zahnarztsuche gelistet. Zum Shop