Wenn Kleinkinder nach einem Sturz in die Praxis kommen, rät Privatdozent Dr. Jan Kühnisch (Leiter Funktionsbereich Kinderzahnheilkunde, LMU München), Ruhe zu bewahren. Ein systematisches und strukturiertes Vorgehen sei essenziell, um diagnostisch nichts zu übersehen. Ein Zahnunfall muss gut fotografisch dokumentiert werden, extraoral und intraoral. Auch die Allgemeinanamnese darf nicht vergessen werden.
Schnelle und einzeitige Therapie indiziert
Wenn das Kind gut kooperiert, ist ein Röntgenbild indiziert. Um die Erstuntersuchung so schmerzfrei wie möglich zu gestalten, empfiehlt sich, thermische Tests und die Untersuchung auf Druckdolenzen zu vertagen.
Bei Kleinkindern ist eine schnelle und einzeitige Therapie empfehlenswert. Kühnisch skizzierte im Überblick die aktuellen Therapieempfehlungen der internationalen Leitlinie traumatisierter Milchzähne [1]. Bei ausgeprägter Lockerung, Verlagerung und Kronen-/Wurzel-Frakturen ist die Extraktion Therapie der Wahl.
Regelmäßiges Monitoring anstreben
Ein Monitoring ist bei minimaler Lockerung oder Verlagerung angezeigt, zudem bei Ankylosen und unkomplizierten Kronenfrakturen. In der Regel sollte nach zwei bis drei Monaten kontrolliert werden, anschließend in sechs- bis zwölfmonatigen Abständen. Laut Kühnisch sollten Chlorhexidin und Antibiotika im Kleinkindalter zurückhaltend eingesetzt werden.
Bei avitaler Pulpa sofortige endodontische Behandlung
Bei bleibenden Zähnen gelten zum Teil andere Regeln als bei Milchzähnen. Damit der traumatisierte Zahn mit apikal verletztem Gewebe überleben kann, dürfen keine Bakterien und Toxine Desmodont und Pulpa verunreinigen. Bei Intrusionen ist die Wahrscheinlichkeit für entzündliche Resorptionen am häufigsten. Dr. Hubertus van Waes, Leiter der Station für Kinderzahnmedizin an der Universität Zürich, empfiehlt bei avitaler Pulpa eine sofortige endodontische Behandlung. In der Praxis werde zu häufig gewartet, bis der Zahn nicht mehr zu erhalten ist.
Ob der Zahn vital oder nekrotisch ist, wird konventionell anhand Farbe und Reaktion auf thermische Tests entschieden. Van Waes zeigte in Würzburg die Tücken dieser Diagnostikmethoden auf: Nach einer Quetschung des apikalen Gefäß-Nerven-Strangs kann die grau-bläuliche Verfärbung des Zahnes aufgrund des Hämoglobinabbaus wieder verblassen und der Zahn sich regenerieren [2]. Van Waes empfiehlt, bei thermischen Tests auf die Reaktionszeit des betreffenden Zahns zu achten, im Vergleich zu intakten Nachbarzähnen.
Bei subgingivalen Frakturen bleibender Frontzähne sollte vor allem im jugendlichen Alter die Extraktion mit nachfolgender Implantation so lange wie möglich hinausgezögert werden. Methoden sind gefragt, die entweder den Zahnerhalt oder einen minimal-invasiven Zahnersatz ermöglichen. Die kieferorthopädische Extrusion (langsam oder schnell) des verbleibenden Zahnfragments ist eine vielversprechende Variante, subgingival querfrakturierte Frontzähne zu erhalten.
Langsame Extrusion bereitet das Implantatlager vor
Eine Fraktur 3 Millimeter subkrestal und stark konische Wurzelwände zeigen eine kurzlebige Prognose [3]. Jedoch sollte auch bei ungünstigen Parametern ein Zahnerhalt immer versucht werden, bekräftigt Prof. Gabriel Krastl (Leiter der Zahnerhaltung und des interdisziplinären Zahnunfallzentrums an der Universität Würzburg). Die langsame und somit physiologische Extrusion ist für eine mögliche zukünftige Implantation wertvoll [4]. Hier folgt das Parodontalgewebe dem extrudierten Zahn und bereitet das Implantatbett vor.
Auch bei intrudierten, wurzelunreifen Zähnen empfiehlt Prof. Christopher Lux (Direktor Abteilung Kieferorthopädie, Uniklinikum Heidelberg) eine langsame Extrusion. Eine Revaskularisation ist bei geringgradiger Intrusion wahrscheinlich [5]. Wenn die mukogingivale Grenze unverändert bleiben und das Zahnfragment schnellstmöglich restauriert werden soll, ist eine schnelle Extrusion vorteilhaft – kieferorthopädisch oder chirurgisch. Dies ist jedoch nur schwach durch Studien belegt [6]. Der verbleibende Zahn muss hierbei endodontisch behandelt werden.
Kieferwachstum abwarten, dann implantieren
Das Kieferwachstum ist bis etwa Mitte der vierten Lebensdekade nachweisbar und bis Mitte der zweiten Lebensdekade relativ ausgeprägt. Dr. Sonia Mansour (Abteilung für Prothetik, Alterszahnmedizin und Funktionslehre, Charité Berlin) empfiehlt daher, erst danach Implantate zu setzen. Bis zur Implantation werden junge Patienten mit traumabedingter Extraktion prothetisch behandelt. Besonders einflügelige Adhäsivbrücken aus Zirkonoxid-Keramik haben eine sehr gute langjährige Prognose. Voraussetzung für den Erfolg ist laut Mansour eine strenge Einhaltung der Indikationen und des minimal-invasiven Protokolls [7-9].
Literatur
[1] International Association of Dental Traumatology; Guideline 2012.
[2] Jafarzadeh H et al. Int Endod J 2010. 43(9):738–762.
[3] Chandler KB et al. Gen Dent 2005. 53(4):274–277.
[4] Goldberg PV et al. Periodontol 2000, 2001. 25 100–109.
[5] DGZMK DGMKG; AWMF 2015.
[6] Das B et al. Dent Traumatol 2013. 29(6):423–431.
[7] Kern M. ZWR 2015. 124(01):45–46.
[8] Meyer G et al. DGPro. 2014.
[9] Kern M et al. DGPro. 2012