In der Reihe Stichpunkt Anästhesie von Lothar Taubenheim geht es weiter um Schmerzausschaltung und die in Betracht kommenden Patienten – Patientengut (4).
Grundsätzlich ist die intraligamentäre Anästhesie (ILA) für alle Patientenkategorien anwendbar. Sie beeinträchtigt den Patienten in der Regel weniger als die konventionellen Methoden der Lokalanästhesie – Infiltrations- und Leitungsanästhesie des N. alveolaris inferior.
In der zahnärztlichen Praxis kommt der Behandlung von Kindern und Behinderten eine besondere Bedeutung zu: Die Behandlung dieses Patientenkreises hat im Rahmen der Prävention und Zahnerhaltung einen hohen Stellenwert. Die vertrauensvolle Betreuung von Kindern und Behinderten erfordert eine starke emotionale Bindung der Patienten an die Behandler. Das Schmerzerlebnis während einer zahnärztlichen Behandlung kann für die Kooperationsbereitschaft des Kindes von entscheidender Bedeutung sein [1].
Behandlungsverweigerung oder Zahnarzttrauma
Häufig kommt es infolge einer Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen Kind und Zahnarzt zu einer spontanen und kurzfristigen Behandlungsverweigerung, mitunter zu einem „lebenslangem Zahnarzttrauma“. Bei einer anstehenden Lokalanästhesie richtet sich die Angst des Kindes weniger auf den Schmerz, sondern – besonders ausgeprägt in der Anfangsphase der Behandlung – auf das Instrumentarium, mit dem die Schmerzausschaltung erfolgen soll: Auf die Spritze. Es entsteht die klassische Spritzenphobie.
In seiner Veröffentlichung „Die intraligamentäre Anästhesie im Kindes- und Jugendalter – Klinische Erfahrungen“ schreibt Einwag (1982): „Bei kooperationsbereiten Kindern ist die Lokalanästhesie ohne größere Probleme anzuwenden. Bei unkooperativen Kindern ist die Furcht vor der Spritze nur sehr mühsam abzubauen. Eine Möglichkeit ist der Einsatz der intraligamentären Anästhesie, gestützt auf folgende Überlegung: Das Fehlen eines Einstichschmerzes führt zu einer wesentlichen Reduktion der Angst des Patienten. Das Kind gewinnt Vertrauen in die Fähigkeit des Zahnarztes. Aus dem Vertrauen erwächst die Bereitschaft zur Mitarbeit, der Voraussetzung für einen erfolgreichen Behandlungsverlauf.”
Langsame Injektion ohne Nebeneffekte
Für den Anästhesieerfolg ohne ungewünschte Effekte ist eine sehr langsame Injektion des Anästhetikums angezeigt. Durch Einwag (1982) erfolgte bei der Behandlung von Kindern die Handhabung des ILA-Spritzensystems nach den vom Hersteller gegebenen Empfehlungen; allerdings wurde die Injektionszeit von 20 auf mindestens 30 Sekunden (pro 0,2 Milliliter) verlängert.
Von 31 zuvor unkooperativen Kindern ließen sich 28 mit der für sie neuen Technik der ILA injizieren, zwei nicht injizieren, ein Kind nur nach einer Terminalanästhesie behandeln. Nach den erfolgreichen Einzelzahn-Injektionen (Gesamtzahl 53) wurden 19 Extraktionen, 30 Kavitätenpräparationen und 4 endodontische ehandlungen durchgeführt. Damit konnte der überwiegende Teil der bisher unkooperativen Kinder zu einer Injektion mit der intraligamentären Anästhesie bewegt werden.
Völlige Schmerzausschaltung trat in 48 Fällen ein. Bei den restlichen fünf Injektionen konnte nur eine Schmerzminderung erzielt werden. Diese betrafen fast ausschließlich den Frontzahnbereich der zweiten Dentition (4 von 5). Von den Kindern, die sich erstmalig mit dieser Methode behandeln ließen, wurden fast alle erneut einbestellt. In keinem der Fälle kam es zu einer Behandlungsverweigerung.
Anästhesieversager sind im Wesentlichen auf den unsachgemäßen Gebrauch des Instrumentariums zurückzuführen. Gute Erfolge sind jedoch nur zu erzielen, wenn man die Injektionstechnik beherrscht. Versager können in der Anfangsphase der Erprobung auftreten.
Kein ungewollter Rückfluss von Anästhetikum mehr
Durch den medizintechnischen Fortschritt stehen heute Instrumentarien zur Verfügung, mit denen durch Zurückdrehen des Injektionsrades, zum Beispiel bei der Dosierradspritze SoftJect, der aufgebaute Injektionsdruck vollständig abgebaut werden kann und dadurch kein ungewollter Rückfluss von Anästhetikum mehr erfolgt.
Sichere Methodenbeherrschung, die Anwendung geeigneter Injektionssysteme und die Applikation bewährter Lokalanästhetika vorausgesetzt, ist mit relativ hoher Sicherheit sowie Akzeptanz der ILA zu rechnen. Gestützt wird diese Aussage auch durch die Ergebnisse der Studie von Davidson und Craig (1987), die bei 100 Kindern zwischen 7 und 16 Jahren (Durchschnitt 12 Jahre, 2 Monate) bei restaurativen Maßnahmen an unteren Molaren der 2. Dentition nur bei 3 Prozent keinen zufriedenstellenden Anästhesieerfolg hatten [2].
Der intraligamentären Anästhesie als Methode der lokalen Schmerzausschaltung kommt eine berechtigte Indikation bei Präparationen von Zahnhartsubstanzen auch bei Kindern zu [1, 2, 3, 4, 5]. Dies gilt auch für die Entfernung von Milchzähnen und Wurzelresten sowie die konservierende Behandlung von Kindern mit einer „Spritzenphobie“ [6].
Die bei Anwendung der intraligamentären Anästhesie infolge fehlender Analgesie benachbarter Weichteile minimierte Gefahr schmerzhafter Bissverletzungen wird übereinstimmend von allen Autoren hervorgehoben. Die vorstehenden Ausführungen treffen vergleichbar auch auf Patienten mit geistiger Behinderung zu [7]. Trotzdem bleiben Patienten, die keine Methode der Lokalanästhesie – auch nicht die intraligamentäre Anästhesie – tolerieren, sodass eine Allgemeinanästhesie unumgänglich ist. Symptome dafür sind ausgeprägte Verhaltensstörungen und mangelnde Kooperation bei schwerer zerebraler Behinderung, neurotisch bedingte Angstzustände oder umfangreiche Sanierungen bei körperlicher oder geistiger Behinderung [8].
Lothar Taubenheim, Erkrath
Literatur
[1] Einwag, J.: Die intraligamentäre Anästhesie im Kindes- und Jugendalter. Dtsch Zahnärztl Z 1982; 37: 874-876.
[2] Davidson, L.; Craig, S.: The use of the periodontal ligament injection in children. J Dent 1987; (15) 5: 204-208.
[3] Malamed, SF.: The periodontal ligament (PDL) injection: An alternative to inferior alveolar nerve block. Oral Surg Oral Med Oral Pathol 1982 (53); 2: 117-121.
[4] Glockmann, E; Glockmann, I; Kulick, R; Apostel, G.: Schmerzreduktion und Schmerz-ausschaltung bei der Kavitätenpräparation und endodontischen Therapie – Klinische Erfahrungen mit der intraligamentären Anästhesie. Aktuelles Wissen Hoechst, 1998;135-144.
[5] Zugal, W.: Die intraligamentäre Anästhesie in der zahnärztlichen Praxis. Zahnärztl Mitt 2001; (91) 6: 46-52.
[6] Erlemeier, E-M.: Aktuelle Aspekte der intraligamentären Anästhesie. Quintessenz 1991; (42) 3: 471-481 (Referat Nr. 7355).
[7] Betz, W; Taubenheim, L.: Intraligamentäre Anästhesie (Video). Dental Video Magazin 2003; 3.
[8] Cichon, P; Bader, J.: Die zahnärztliche Behandlung in Intubationsnarkose. Zahnärztl Mitt 1997; 87: 2652-2658.