In der Reihe Stichpunkt Anästhesie von Lothar Taubenheim geht es weiter um Schmerzausschaltung und die in Betracht kommenden Patienten – Patientengut (6): ILA bei Patienten unter Antikoagulantientherapie.
Grundsätzlich ist die intraligamentäre Anästhesie (ILA) für alle Patientenkategorien anwendbar. Sie beeinträchtigt den Patienten in der Regel weniger als die konventionellen Methoden der Lokalanästhesie – Infiltrations- und Leitungsanästhesie des Nervus alveolaris inferior.
In der zahnärztlichen Praxis kommt der Behandlung von Patienten unter Antikoagulantientherapie eine zunehmende Bedeutung zu: Die Gefahren durch Leitungs- und/oder Infiltrationsanästhesie für Patienten mit hämorrhagischer Diathese und Antikoagulantientherapie können lebensbedrohlich sein.
Bei Patienten mit hämorrhagischer Diathese dürfen auf keinen Fall Leitungsanästhesien – in erster Linie am Foramen mandibulare – vorgenommen werden, da diese infolge massiver Hämatombildung lebensbedrohliche Folgen haben können [1]. Sie verbieten sich wegen der Gefahr der Gefäßverletzung (Arteria oder Vena alveolaris inferior) durch die Injektionskanüle [2]. Auch die Infiltrationsanästhesie wird bei Hämophiliepatienten als ein gefährliches Vorgehen betrachtet [3, 4].
Über die intraligamentäre Lokalanästhesie bei Patienten mit hämorrhagischer Diathese oder Behandlung mit Antikoagulantien wird ausführlich u. a. von Malamed (1982), Stoll und Bührmann (1983), Garfunkel et al. (1985) und Ah Pin (1987) berichtet. [2, 4, 5, 6] Es kann auf diese Weise die gefürchtete Komplikation einer durch das Kanülentrauma bedingten Blutung in die Weichteile vermieden werden [2].
Bei 236 dokumentierten Fällen von Extraktionen im Front- und Seitenzahnbereich wurde bereits bei 213 (90,3 Prozent) Patienten nach der 1. intraligamentalen Injektion eine absolute Schmerzfreiheit erreicht. Leichte Schmerzen bei 5,3 Prozent (n = 14) konnten durch intraligamentale Nachinjektionen beseitigt werden. Anästhesieversager, die auch nach intraligamentaler Nachinjektion nicht beseitigt werden konnten, waren mit 3,4 Prozent (n = 8) selten. Hier handelte es sich ausnahmslos um Zähne mit ausgeprägten periapikalen Veränderungen und Patienten mit Alkoholanamnese, beschreiben Stoll und Bührmann (1983) die Ergebnisse ihrer klinischen Studie (Tabelle 1) [2].
Unerwünschte Nebenwirkungen auf Herz und Kreislauf bei den mit Antikoagulantien behandelten Patienten konnten aufgrund der geringen injizierten Menge des Lokalanästhetikums nach einer ILA vor einer Extraktion nicht beobachtet werden. Schmerzfreiheit wurde bei 96,2 Prozent der 236 Behandlungen erreicht (Tabelle 1).
Hämophiliepatienten wird vor zahnärztlichen Injektionen eine Faktor VIII-Ersatz-Therapie empfohlen, die kostspielig, zeitaufwändig und mit dem Risiko von Infektionen und der Bildung von Faktor VIII-Antikörpern verbunden ist [6].
Die intraligamentäre Anästhesie macht einen Verzicht auf diese postoperative Behandlung bei notwendiger Lokalanästhesie möglich, da sie ohne das Risiko von Blutungen ausführbar ist [7].
Die Injektion von Anästhesielösung in das Periodontium (Desmodont) bei der ILA beugt Komplikationen ungewünschter Gefäßverletzungen und Blutungen vor, da sich die feinen Kapillaren des periodontalen Ligaments im dichten Bindegewebe befinden, das einen hohen Druck ausübt, wodurch Blutungen verhindert werden [4].
Die von Malamed (1982) nach Erstinjektion in das Desmodont berichtete Erfolgsrate von 88,5 Prozent wird von Ah Pin (1987) mit Blick auf die spezielle Gruppe der Hämophilie-Patienten etwas relativiert, weil sie bereits zuvor häufiger ohne Lokalanästhesie behandelt wurden und deshalb geringere Schmerzempfindungen eher tolerieren [5, 6].
Bei Patienten mit hämorrhagischer Diathese oder bei Medikation von Antikoagulantien sind – trotz Aspiration zum Schutz vor intravasalen Injektionen – bei der Leitungs- aber auch bei der Infiltrationsanästhesie Weichteilhämatome nicht auszuschließen. Als Alternative der genannten Lokalanästhesie-Methoden wird die intraligamentäre Anästhesie empfohlen [8, 9]. Bei diesem Patientenkreis werden andere Methoden der Lokalanästhesie als kontraindiziert bezeichnet [1, 2, 9].
Lothar Taubenheim, Erkrath
Literatur
[1] Schwenzer N, Ehrenfeld M. Zahn-Mund-Kiefer-Heilkunde Band 3: Zahnärztliche Chirurgie. 2000 Georg Thieme Verlag, Stuttgart – New York.
[2] Stoll P, Bührmann K. Die intraligamentäre Anästhesie bei der Zahnextraktion von Patienten mit hämorrhagischer Diathese. ZWR Zahnärztl Welt 1983; 92: 54-55.
[3] Cawson RA, Curson I, Whittington DR. The hazards of dental local anesthetics. Br Dent J 1983; 154: 253-258.
[4] Garfunkel, AA.; Kaufman, E.; Galili, D.: Intraligamentary anesthesia (transligamentary anesthesia) for health compromized patients. Gerodontics 1985; 1: 63-64.
[5] Malamed, SF.: The periodontal ligament (PDL) injection: An alternative to inferior alveolar nerve block. Oral Surg Oral Med Oral Pathol 1982 (53); 2: 117-121.
[6] Ah Pin, P.J.: The use of intraligamental injections in haemophiliacs. Br Dent J 1987; 162: 151-152.
[7] Eigner, TL.: Use of intraligamentary anesthesia in patient with severe hemophilia and factor VIII inhibitor. Spec Care Dentist 1990; (10) 4: 121-124.
[8] Plagmann H-Chr. Möglichkeiten und Grenzen der intraligamentären Anästhesie (ILA). Quintessenz 1987; 38: 1711-1721 (Referat 7021).
[9] Heizmann R, Gabka J. Nutzen und Grenzen der intraligamentären Anaesthesie. Zahnärztl Mitt 1994; 84: 46-50.