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Mehr Organspender dringend gesucht

Rund 8.500 schwerkranke Menschen warten derzeit allein in Deutschland auf ein Spenderorgan. Im ersten Quartal 2022 konnten jedoch nur 600 Organe transplantiert werden – im Vergleich zum Vor- und Vorvorjahreszeitraum ein Rückgang um rund ein Viertel. Dieser deutliche Negativtrend sei nicht allein auf die Corona-Pandemie zurückzuführen, so die Deutsche Gesellschaft für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie (DGTI). Anlässlich des Tags der Organspende am 4. Juni 2022 mahnt die Fachgesellschaft, die Not der Menschen auf den Wartelisten nicht aus dem Blick zu verlieren und Maßnahmen zur Erhöhung der Spendenbereitschaft zu ergreifen. Auch eine erneute Debatte über die Widerspruchslösung, die zuletzt Anfang 2020 vom Bundestag abgelehnt wurde, dürfe dabei kein Tabu darstellen.

OP-Mitarbeiter mit Kühlbox, die die Aufschrift human organ zeigt

Weiterhin rückläufig ist die Anzahl von Organspenden in Deutschland. Experten fordern deshalb die Einführung der Widerspruchslösung. Der Organspendeausweis ist übrigens auch in Zahnarztpraxen erhältlich

Die Transfusionsmedizin befasst sich mit allen medizinisch-therapeutischen Verfahren, die mit der Übertragung von Blut, Zellen oder Geweben zu tun haben. Neben der Therapie mit Blutprodukten fällt auch die Vorbereitung von Gewebetransplantationen, insbesondere die Auswahl und medizinische Betreuung von Spendern, in den Fachbereich der Transfusionsmedizin. Denn bei der Verpflanzung eines Transplantats von einem Spender auf einen Empfänger ist entscheidend, ob eine immunologische Verträglichkeit vorliegt. Dies testen Transfusionsmediziner vor jeder Transplantation. „Wir können die Möglichkeiten, die der medizinische Fortschritt heute bereit hält jedoch nur ausschöpfen, wenn genügend Spenderorgane zur Verfügung stehen“, betont Professor Dr. med. Hubert Schrezenmeier, Leiter des Instituts für Transfusionsmedizin am Universitätsklinikum Ulm und 1. Vorsitzender der DGTI.

Entscheidungslösung weiterhin unbefriedigend

Mit einer Abstimmung im Januar 2020 hatte der Bundestag mehrheitlich an der sogenannten Entscheidungslösung festgehalten, wonach Organe und Gewebe nach dem Tod nur dann entnommen werden dürfen, wenn der oder die Verstorbene dem zu Lebzeiten zugestimmt hat. Ist der diesbezügliche Wille nicht dokumentiert, werden die Angehörigen um eine Entscheidung gebeten. Weil zwar 84 Prozent der Deutschen der Organspende positiv gegenüberstehen, jedoch nur gut jeder dritte Bundesbürger einen Organspendeausweis besitzt, setzte die Gesetzesnovelle darauf, die Zahl der ausgewiesenen Organspender durch Informationsangebote und die – bislang noch nicht umgesetzte – Möglichkeit der Online-Registrierung zu erhöhen.
„Dieses Ziel hat das neue Transplantationsgesetz ganz offensichtlich verfehlt“, betont Professor Dr. med. Rainer Blasczyk, Leiter des Instituts für Transfusionsmedizin und Transplantat Engineering (ITT) der Medizinischen Hochschule Hannover. Wie die von der Deutschen Stiftung Organtransplantation erhobenen Daten zeigen, seien nicht nur COVID-19-bedingte Faktoren wie die Überlastung der Intensivstationen und der Ausschluss SARS-CoV2-infizierter Spender für den Einbruch der Spenderzahlen verantwortlich; auch werde in der Akutsituation auf der Intensivstation die Organspende häufiger abgelehnt als noch vor einem Jahr.

Widerspruchslösung in anderen EU-Ländern erfolgreich


„Eines der wichtigsten Instrumente, mit dem die Zahl der Spenderorgane erhöht werden könnte, ist die Widerspruchslösung“, betont Blasczyk. Dabei gelten Verstorbene automatisch als Organspender, wenn sie dem zu Lebzeiten nicht ausdrücklich widersprochen haben. Mit Einführung dieser Regelung ist die Zahl der verfügbaren Organe in den meisten Ländern deutlich angestiegen, im Durchschnitt um ein Drittel. „Gegner dieser Lösung führen gerne ethische Bedenken ins Feld und kritisieren, die Regelung greife in das Selbstbestimmungsrecht ein“, sagt Blasczyk. In der Tat erlege sie den Menschen die Last auf, sich zu erklären. Dies sei aber zumutbar und stärke die Solidarität. In Anbetracht der dem Staat auferlegten Pflicht zum Schutz menschlichen Lebens könne dies als vollkommen verhältnismäßig angesehen werden. „Ein Recht auf Gleichgültigkeit gegenüber der existenziellen Bedrohung anderer Menschen ist jedenfalls nicht vorgesehen“, so der DGTI-Experte.
Ethische Probleme sieht Blasczyk vielmehr durch das Festhalten an der Entscheidungslösung. „Die Organknappheit zwingt Menschen eher zur Lebendspende für ihre Angehörigen, und Ärztinnen und Ärzte müssen aus Mangel an passenden Spenderorgangen häufiger suboptimaler Organe transplantieren“, mahnt er. Außerdem müsse Deutschland so mehr Organe aus dem europäischen Ausland einführen – wo ganz überwiegend die Widerspruchslösung gelte. Zuletzt hat vor wenigen Tagen auch die Schweiz dieses Modell eingeführt. Im Eurotransplant-Zusammenschluss von acht Ländern, die bei der Transplantation besonders eng zusammenarbeiten, ist Deutschland mittlerweile das einzige Land ohne Widerspruchslösung. „Unser Sonderweg wird also durch die ethisch vermeintlich bedenkliche Haltung unserer europäischen Partner erst ermöglicht“, so Blasczyk. „Das hat etwas von Doppelmoral und ist insofern vollkommen inakzeptabel. Deutschland braucht dringend die Einführung einer Widerspruchslösung.“

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