Fallstrick 1 – Wertschätzung ist, was der Mitarbeiter draus macht!
Acht von zehn Führungskräften entspannen sich, wenn es um das Thema Wertschätzung geht. Ja, sicher, von toxischen Verhältnissen haben sie schon gehört, aber bei ihnen selbst ist alles ok. Sie sind überzeugt, ihren Mitarbeitern ausreichend Anerkennung und Wertschätzung entgegenzubringen.
Das Problem dabei: Entscheidend ist nicht die Meinung der Führungskräfte, sondern die der betroffenen Mitarbeiter! Und diese sind regelmäßig ganz anderer Meinung: Den 81 Prozent Führungskräften, die der Meinung waren, ihren Mitarbeitern häufig Anerkennung zu geben, standen nämlich 60 Prozent der Mitarbeiter entgegen, die die Wertschätzung ihrer Führungskraft als sehr mäßig empfanden.
Der realistische Blick in den Spiegel
Fühlen sich die Mitarbeiter nicht wertgeschätzt, ändert auch die beste Selbsteinschätzung ihrer Vorgesetzten nichts. Für den realistischen Blick in den Spiegel sollte man auf die Krankenstände und Kündigungszahlen achten – liegen diese über dem Vorjahresniveau oder dem Branchenschnitt, sollten sich auch Führungskräfte, die der Meinung sind, ihre Mitarbeiter ausreichend zu wertschätzen, kritisch hinterfragen.
Fallstrick 2 – Unsere Wahrnehmung ist auf Schwächen und Negatives geprägt
In der Hektik des täglichen Stresses ist es alles andere als einfach, auch noch Seelenplätzchen zu verteilen. Theoretisch könnten wir uns genauso auf jene 80 bis 90 Prozent der Dinge konzentrieren, die gut gehen, wie auf jene 10 bis 20 Prozent der Inhalte, bei denen der Wurm drin ist.
Tun wir aber nicht, im Laufe der Jahrtausende hat die Evolution nämlich jene Menschen belohnt, denen negative Anomalien schneller aufgefallen sind. Eine ungewöhnliches, durch ein gefährliches Tier ausgelöstes Rascheln im Gebüsch mögen damals auch andere Menschen gehört haben, wir stammen aber von jenen ab, die direkt reagiert haben und nicht gefressen wurden.
„Ned gemeckert isch gelobt genua!“
Der alte schwäbische Wertschätzungsminimalismus „ned gemeckert isch gelobt genua!“ ist uns von daher zu einem gewissen Teil tatsächlich in die Wiege gelegt. Auch vor dem systemischen Hintergrund ist die Fokussierung auf Schwächen und Fehler verführerisch: Systeme wachsen stets bis zum nächsten Engpass; erst wenn dieser erkannt und behoben wurde, kann es weitergehen.
Einerseits ist es von daher sinnvoll, den Blick auf Fehler zu richten, andererseits führt der psychologische Druck zu selbsterfüllenden Prophezeiungen: Wir kennen alle den Vorführeffekt, bei dem Dinge gerade dann nicht gelingen, wenn wir uns zu sehr anstrengen, weil die kritischen Blicke einiger Beobachter auf uns lasten und der Druck uns aus dem Flow bringt.
Kritische und unwichtige Schwächen und Fehlern unterscheiden
Die Kunst liegt darin, im ersten Schrittzwischen kritischen und unwichtigen Schwächen und Fehlern zu unterscheiden und dabei die positiven Inhalte nicht zu vergessen. Wurden beide registriert, sollte die sogenannte Losada-Quote berücksichtigt werden, die Psychologie zeigt nämlich, dass erst ab einem 3:1 Verhältnis von positivem zu negativem Feedback eine tragfähige Beziehung entsteht.
Fallstrick 3 – Wir sprechen unterschiedliche Sprachen der Wertschätzung
Bei Mitarbeitern, die innerlich gekündigt haben oder Dienst nach Vorschrift schieben, stellt der vorige Tipp eine besondere Herausforderung dar: Wie soll man etwas Lobenswertes finden, wenn der Mitarbeiter sich keine große Mühe mehr gibt, eine besondere Leistung zu erbringen?
Es kann und soll an dieser Stelle nicht darum gehen, die reine Anwesenheit zu loben, sondern darum, die Ursachen der Probleme zu beheben. Erinnern wir uns: (Fast) jeder Mitarbeiter hat einmal motiviert im Unternehmen angefangen zu arbeiten! Die Forschung belegt: Prinzipiell wollen Mitarbeiter gute Leistungen erbringen und zum Gelingen des Unternehmens beitragen. Ist ihr Wertschätzungstank jedoch leer, schlägt dieser tiefere Wunsch in Enttäuschung, Frustration und Trotz um.
Sprachen der Wertschätzung
Entscheidend in diesem Zusammenhang ist, dass wir vier unterschiedliche Sprachen der Wertschätzung sprechen, nämlich:
- explizite formuliertes Lob und Anerkennung
- gemeinsam verbachte Zeit
- Hilfe und Unterstützung
- Geschenke und materielle Zuwendungen
Die besondere Herausforderung dabei: Wir schließen intuitiv von uns auf andere und kommunizieren mit diesen in unserer Muttersprache der Wertschätzung. Auch wenn es sich für uns komplett anders anfühlt, werden wir dadurch durchschnittlich drei von vier Mitarbeitern nicht in der Form erreichen, wie wir es beabsichtigen!
Mehr noch: Da es sich für uns so anfühlt, als hätten wir dem anderen ausreichend Wertschätzung entgegengebracht, entwickeln wir auch die Erwartungen daran, dass das Gegenüber diese entsprechend erwidert, beispielsweise in Form von guter Leistung, Loyalität und Motivation.
Bleibt diese aus, frustriert das und kann dazu führen, dass wir ebenfalls eine schärfere Tonart anstimmen oder den Mitarbeiter als unmotiviert abstempeln. Das wirkt sich auf unseren Umgang mit ihm aus und stößt selbsterfüllende Prophezeiungen und Teufelskreise an.
Wertschätzungstank des Mitarbeiters füllen
Um den Wertschätzungstank des Mitarbeiters wieder zu füllen, muss die Führungskraft zunächst erkennen, was die "Muttersprache der Wertschätzung" eines Mitarbeiters ist, um anschließend in dieser Sprache mit ihm zu kommunizieren. Gelingt das, füllt sich dessen Tank wieder und der Mitarbeiter kann zurückgewonnen werden.
Drei Tipps für mehr echte Wertschätzung
#Exit-Gespräche
Erstellen Sie scheidenden Mitarbeitern zunächst ein faires, wohlwollendes Zeugnis. Bitten Sie sie dann zu einem abschließenden Gespräch. Entschuldigen Sie sich für die eigenen Versäumnisse und bitten Sie um ein offenes und ehrliches Feedback und um Tipps, was sie tun könnten, um zukünftige Kündigungen abzuwenden.
#Stärken stärken
Führen Sie mit Ihren Mitarbeitern einen Stärken-Test durch, beispielsweise den Clifton Strength-Finder-Test oder den Stärken-Test der positiven Psychologie, der kostenlos unter www.charakterstaerken.org absolviert werden kann. Sprechen Sie dann gemeinsam über die Top 5 Stärken und darüber, wie diese im Unternehmen eingebracht werden könnten.
#Hören Sie Ihren Mitarbeitern wirklich zu
Suchen Sie den regelmäßigen bilateralen Kontakt zu Ihren Mitarbeitern und fragen Sie, was Sie tun können, damit diese besser arbeiten können. Wenn die Mitarbeiter dann erzählen, entscheidet Ihre Reaktion darüber, ob auch zukünftig wieder solche Gespräche möglich sind.
Wer etwas will, findet Wege. Wer etwas nicht will, findet Gründe. Wie reagieren Sie auf die Probleme ihrer Mitarbeiter? Erklären Sie diesen die Gründe, warum es ganz normal ist, dass sie vor die Probleme gestellt sind, oder suchen Sie ehrlich nach Wegen, um diese zu lösen?
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Christian A. Bernhardt
Christian A. Bernhardt (Jahrgang 1975) ist Hochschuldozent für Kommunikationspsychologie, langjähriger Berater, Trainer und Speaker. Als Experte für den Fachkräftemangel betreute er mehr als 500 Unternehmen bei der Personalgewinnung und der Verbesserung der Mitarbeiterbindung. Sein Fachbuch zur nonverbalen Kommunikation im Recruiting erreichte 2019 die Amazon-Bestsellerliste im Bereich Personalmanagement und wurde 2022 ins Englische übersetzt.
Er hält Trainings und Vorträge in Unternehmen und verschiedenen Universitäten in Deutschland und der Schweiz und berät Unternehmen bei der Einführung einer neuen Kommunikationskultur, Stärkung des Miteinanders und Entwicklung von Strategien gegen den Fachkräftemangel.