Ich möchte Ihnen hier einige grundlegende Gedanken darstellen, warum in jedem Unternehmen die Führungsperson so bedeutsam ist, welche Funktionen sie hat und wie sich eine Führungsperson von einem Mitarbeiter unterscheidet. Ein Zahnarzt, der seine Praxis und sein Team leitet, unterscheidet sich auf der Leitungsebene von keiner anderen Führungskraft
Führung benötigt Regeln und Konsequenz
Alle sozialen Systeme erschaffen sich im Laufe der Evolution klare Regeln, an die sich alle Mitglieder der Gruppe halten müssen. Die meisten Menschen verbinden damit vor allem Verbote, deren Verletzung mit Strafen oder negativen Folgen geahndet werden. Folglich haben Verbote nur einen Sinn, wenn damit Konsequenzen verbunden sind. Deshalb sollten Leitungspersonen generell zunächst die Einhaltung der Verbote im Auge haben, die das Bürgerliche Gesetzbuch und die berufsrechtlichen Regelungen betreffen. Denn hier gibt es auch einen Katalog, in dem die negativen Konsequenzen dargestellt werden, wie etwa im Straßenverkehrsrecht.
Auf der anderen Seite der Regeln stehen die Gebote, mit denen beschrieben wird, was eingehalten werden muss. Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Sorgfalt und respektvoller Umgang sind solche Gebote. Allerdings muss die Erfüllung von Geboten ebenfalls mit Konsequenzen verbunden sein, allerdings mit positiven Folgen. Das regelmäßige Gehalt, der Urlaub, die Arbeitszeit sind solche positiven Konsequenzen. Wenn also Qualität und Quantität einer Arbeit stimmen, wird dies letztlich durch das monatliche Gehalt belohnt. Zusätzlich kann die Leitungsperson natürlich loben und Gratifikationen vergeben. Auch besondere Events können eine Auszeichnung für eine herausragende Aufgaben- und Ergebnisqualität sein.
Die Aufstellung von Softregeln wie „helfen“, „Freundlichkeit“ oder „lästern verboten“ müssen intern immer wieder thematisiert, für sinnvoll angesehen und akzeptiert werden. Softregeln sind von der Führungsperson nur durch Vorbildverhalten und intensive Entwicklungsarbeit durchzusetzen. Sie gehören zur Basisqualität in jedem Team.
Das Bedürfnis nach klaren Strukturen
In jeder sozialen Einheit gibt es den Drang nach einer klaren Ordnung. Je klarer und eindeutiger und wirkungsvoller die Leitungspositionen wahrgenommen werden, desto schlagkräftiger und erfolgreicher kann die Gruppe sein. In einer Gruppe gibt es immer eine Mehrheit von Personen, die lieber jemandem folgen möchte. Gleichzeitig gibt es wenige, die die Befähigung haben zu führen und dies auch wollen.
Leitungspersonen haben die Aufgabe, die Gesamtereignisse im Blick zu haben, das Wohlergehen der ganzen Gruppe und die Umfeldbedingungen. Die oberste Führung sollte mehrere Jahre im Voraus denken können, also visionär sein, die Zukunft und die gemachten Erfahrungen in ihre Überlegungen einbeziehen. Die Leitung – egal auf welcher Ebene – muss zudem in der Lage sein, das Miteinander der Gruppe zu koordinieren, die Mitglieder richtig einzuschätzen und in der richtigen Position einzusetzen.
Jede Leitungsperson muss Entscheidungen über die nächsten Schritte fällen und sie mit den Zielen und Visionen des Unternehmens verbinden. Diese Fähigkeit ist nicht angeboren, sondern wird entweder durch Vorbilder, zum Beispiel in der Familie oder in Trainingsseminaren oder im persönlichen Coaching, gelernt. Der Einsatzwille von Mitarbeitern wird nachweislich gebremst, wenn die Ziele und Visionen der eigenen Unternehmensleitung nicht klar sind oder wenn sie diese Ziele und Visionen nicht immer wieder verständlich kommunizieren.
Die psychologische Forschung hat eindeutig bewiesen: Jede Gruppe benötigt und erwartet starke Führungspersönlichkeiten. Die Gruppenmitglieder erwarten Orientierung, Klarheit, Stärke, Fürsorge und gleichzeitig nachvollziehbare Konsequenz von den leitenden Personen. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Wenn die Leitung keine klaren und verlässlichen Angaben zum Weg gibt, sondern von einem spontanen Einfall zum nächsten stolpert, wird sie als extrem schwach empfunden.
Es gibt Zahnärzte, die nachts um halb drei Uhr per Whatsapp Aufgaben verteilen, die ihnen „grad einfallen“ und sehr wichtig sein sollen. Sie kommunizieren im Managementbereich fast nur noch über Kurznachrichten. Das führt zu Konfusion, Blockadeverhalten und letztlich zu extremem Machtverlust der Leitung. Ein solches „Mikromanagement“ ist nur dann angebracht, wenn Katastrophen verhindert oder bearbeitet werden müssen. Es darf nur in Ausnahmesituationen angewendet werden und nur projektbezogen zeitlich eng begrenzt stattfinden. Wenn eine Führungsperson Mitarbeiter jedoch ständig mit Einfällen und spontanen Vorhaben oder Erinnerungsnachrichten überfällt, ist sie selbst die größte Bremse im Unternehmen.
Wenn eine Führungsperson zusätzlich eine klare, aufrichtige und empathische Kommunikation vermissen lässt, wird die Gruppe vollends verunsichert. Das Leistungspotenzial sinkt enorm.
Zwei mögliche Folgen bei Führungsversagen
Eine verunsicherte Gruppe reagiert häufig in zwei Richtungen, egal ob in einem Unternehmen, in einer Zahnarztpraxis oder im Sportclub. Die erste Variante wird in der Betriebspsychologie als Revolte bezeichnet: Einige Gruppenmitglieder ermuntern einen oder zwei Mitglieder, an die Stelle der offiziellen Leitung zu treten. Sie wenden sich immer häufiger an diese von ihnen „gewählte“ Führung, wenn sie Entscheidungen oder Rat suchen. Es entsteht eine informelle und verwirrende neue Führungsstruktur.
Die zweite Variante wird als Anarchie bezeichnet: Jedes einzelne Gruppenmitglied gibt sich seine eigenen Regeln und Aufgabenschwerpunkte selbst. Diese Personen entziehen sich jeglicher Führung, sagen der Leitungsperson zwar die Aufgabenerfüllung und Regeleinhaltung zu, aber sie halten sich nicht daran. Kritik oder verstärktes Erinnern werden zwar registriert, aber haben keine Wirkung. Das Team zerfällt und besteht nur noch aus Anarchisten. Spätestens jetzt müsste die Leitung alarmiert sein. Aber die Leitung ist bereits im Verzweiflungsmodus, haut sinnbildlich mit der Faust auf den Tisch, greift zur Knute und erinnert daran, wer Chef oder Chefin ist. Die Reaktion der Mitarbeiter lässt sich vorhersagen. Sie schmunzeln und fühlen sich bestärkt.
Hier eine Zusammenfassung aus der Wissenschaft: „Wenn auch nach diesen Alarmsignalen niemand eine dominante, kompetente und empathische Führungsposition einnimmt oder niemand dazu berufen wird, handelt die Gruppe immer chaotischer und verweigert jede Struktur. Sie befindet sich in einem inneren Auflösungsprozess. Einige Teile raufen sich in kleinen Horden zusammen, andere suchen in anderen Gruppen Anschluss. Ein weiterer Teil schafft sich anarchische Systeme und steht in einem ständigen Kampf – jeder gegen jeden. Bündnisse werden eingegangen, um anderen zu schaden, schnell wieder aufgelöst, um neue Konstellationen zu schaffen.
Die Leitung wird mit Wünschen und Forderungen, begleitet von Gejammer und Tränen, überhäuft. Wenn die Leitung glaubt, durch das Nachgeben und die Wunscherfüllung wieder ein ergebnisorientiertes Miteinander zu bekommen, verstärkt sie das Chaos.
Mitarbeiter fühlen sich zur Rebellion ermuntert, lehnen Veränderungen ab, übernehmen keine Verantwortung und sind noch mehr verunsichert. Denn nunmehr sind keinerlei Regeln mehr zu beachten (siehe Hedwig Kellner: Die Teamlüge; Mokka Müller: Das vierte Feld – Die Bio-Logik der neuen Führungselite; Jeffrey J. Fox: So werde ich der Boss; William F. Allmann: Mammutjäger in der Metro).
Wenn dieses Stadium erreicht ist, sollten radikale Veränderungen stattfinden. Die Leitung muss sich grundsätzlich kritisch reflektieren und sich neuem Verhalten und Denken öffnen, das Team muss weitgehend ausgetauscht werden. Wenn die Leitung sich nicht ändert und nur das Team ausgetauscht wird, wiederholt sich alles im Abstand von drei bis vier Jahren.
Klare Führung entlastet den Mitarbeiter
Die komplexen sozialen Beziehungen verlangen enorme Leistungen vom Gehirn und somit auch den großen Wunsch, es zu entlasten. Es wäre doch angenehm, wenn wir uns nicht ständig um die wichtigen sozialen Fragen kümmern müssen: Wer mit wem gegen wen, wer ist an meiner Seite, wem kann ich vertrauen, mit wem kann ich beruhigt Geschäfte abschließen, wie sichere ich meine Existenz und die meiner Familie, kann ich beruhigt in den Urlaub fahren, kann ich darauf vertrauen, mein Gehalt oder Honorar zu bekommen?
Die Mehrzahl der Menschen hat ein großes Bedürfnis, sich von den Verwirrungen des sozialen Miteinanders entlasten zu lassen und wünscht sich deshalb eine starke Führungsperson. Die Leitung entlastet den Mitarbeiter von der ständigen sozialen Integrationsarbeit. So kann sich der Mitarbeiter auf seine direkten überlebenswichtigen beruflichen und privaten Aufgaben (gute Arbeitsergebnisse, Familienharmonie, eigene Persönlichkeitsentwicklung) konzentrieren.
Die kooperative Kunst der Führungsperson besteht darin, sich in die „Denke“ seiner Gruppenmitglieder einzufühlen, ihr Denken vorauszuahnen und die Ergebnisse aus einer übergeordneten Ebene, der Metaebene, vorwegzunehmen. Die Entscheidungen der Leitung berücksichtigt die Situation der ganzen Gruppe. Ihre Entscheidungen sorgen für eine Perspektive der Sicherheit und des Erfolgs für die Gruppe und nicht nur für Einzelne. Die Chefin, der Chef müssen die einzelnen unmittelbaren Personen als Teil des Ganzen betrachten, die Verflechtungen und die Struktur im Blick behalten. Genau diese Anforderung wollen oder können viele Führungspersonen nicht erlernen, weil sie kein Leitungstalent haben.
Die stärkste Erwartung an eine Führung: Gib mir Zuversicht
Eine Untersuchung in Großbritannien unter 12.000 Menschen hat ergeben: Zuversicht ist der stärkste Motor im menschlichen Sozialgefüge. Zuversicht produziert im Gehirn eine Grundmenge an Dopamin, dem Transmitter für Wohlbefinden und – bei erhöhter Produktion – ein Glücksgefühl. Ein Mangel an Zuversicht ist mitentscheidend für chronische Krankheiten, aber auch Demotivation.
Letztlich sollte der Chef oder die Chefin in der Lage sein, den Menschen in seiner Gruppe das ständige Gefühl der Zuversicht zu geben. Seine Aufgabe besteht darin, dieses Gefühl der Zuversicht immer wieder durch sein Denken und Handeln zu bestärken und als Modell vorzuleben. Am Spiegel im Bad könnte stehen: Gib Sicherheit und Perspektive. Sorge für ein Leben ohne Angst, zumindest in deinem Unternehmen.
Dazu müssen im gesamten Unternehmen folgende Fragen gestellt und entschieden werden:
- Wie sieht der Ist-Zustand aus? Wenn die Lage gut ist, wie können wir sie auf diesem Level halten und ausbauen?
- Was wollen wir generell erreichen und was müssen wir dafür tun?
- Wer hat welche Fähigkeiten und Potenziale?
- Wer kann welche Aufgaben wahrnehmen, die er erfüllen kann?
- Was muss gelernt und trainiert werden?
- Wer hat welche Position mit welchen Befugnissen und was muss die Person können?
- Wer darf wem welche Anweisungen geben?
- Welche Regeln sind nützlich und einzuhalten?
- Wie werden Regelverletzungen behandelt?
Entscheidend ist die Struktur
Wir wissen, dass das Zusammenspiel von Menschen, Ausstattung und Struktur die Leistung in einem Unternehmen bestimmt. Ein internationales Forschungsprojekt an der Hamburger Universität hat gezeigt: Je klarer die Struktur, desto erfolgreicher die Führung. Der Kernsatz der Studie lautet: Die Struktur ist entscheidend. Das ist in jedem Unternehmen der Fall, egal ob es zehn oder Tausende Mitarbeiter hat.
Es sind vor allem vier Empfehlungen, die den Vorsprung ausmachen:
1. Klare Leitungsstruktur:
Die oberste Leitungsperson sollte unbedingt Stellvertretungen haben, die den Alltag regelt und ordnet. Das wären die Teamleiter, die die Ziele und Regeln der Leitung im Tagesablauf wohlwollend und in angenehmer Weise zur Wirkung bringt.
2. Regelmäßige Strategie-Meetings:
Ein oder zwei Mal im Jahr zieht sich die oberste Leitung mit seinen Teamleitern (oder der Vorstand mit seinen Bereichsleitern) zu einem Strategie-Meeting zurück und plant das kommende Jahr. Darüber hinaus wird ein grober Dreijahresplan aufgestellt. Hier werden auch die aktuellen Regeln überprüft und angepasst.
3. Regelmäßiger zeitnaher Austausch zwischen den Ebenen:
Wöchentlicher oder zweiwöchentlicher freundlicher und lösungsorientierter Austausch zwischen Führung (Chefin/Chef) und Bereichsleitern, dann zwischen Bereichsleitern und Teamleitern, dann zwischen Teamleitern und Team. Diese Meetings müssen frei von Anklagen, Vorhaltungen und Zurückweisungen sein. Ansonsten verlieren sie den innovativen und kritisch-lösungsorientierten Geist und werden frustrierend – also kontraproduktiv und sogar schädlich.
4. Tägliche Briefings:
Jeden Tag findet zu Arbeitsbeginn in jeder Ebene ein Briefing statt. In der Leitungsebene ebenso wie in der Teamebene. Hier werden die Tagesorganisation, die Besonderheiten der Aufgaben, die Anliegen des Personals und der Kunden besprochen. Oberste Regel ist hier: Keine oder nur kurze Diskussion, nur Information. Diese Briefings geben Orientierung und haben können sensationell positive Wirkung haben.
Wenn diese vier Säulen gelebt werden, alle sich respektvoll begegnen, lösungsorientiert denken und handeln, ist schon viel erreicht. Wenn Entscheidungen konsequent realisiert werden, die Leitung klar und nachvollziehbar auftritt, sollte das Unternehmen auf gutem Fundament stehen und sich voll und ganz den Marktmöglichkeiten widmen können.
Denn auch hier hat die Forschung etwas herausgefunden: Unternehmen, die sich mit inneren Schwächen und Blockaden, mit Anarchie und Revolten beschäftigen müssen, haben nach außen erheblich weniger Erfolg als ihre Wettbewerber. Das beste Beispiel sind Deutsche Bank und einige Versicherungsunternehmen. Auch bei einigen Bundesliga-Fußballclubs kann dies beobachtet werden.
Herbert Prange, Jever
Herbert Prange
Mehrfach studiert, Qualitätsmanager, Inhaber einer Weiterbildungs- und Eventfirma auf Mallorca (Spanien), seit mehr als drei Jahrzehnten Kongressreferent und Coach von Zahnärzten. Seit 2010 begleitet er Praxisinhaber im Expansionsprozess jeweils über mehrere Jahre hinweg. Seine Spezialität ist die Verbindung von Management- und psychologischen Themen mit den Ergebnissen der modernen Gehirnforschung.
Weitere Informationen gibt es auf seiner Website herbertprange.com
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