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Entwicklungen und Herausforderungen in der Kinderzahnmedizin

Rund 400 Teilnehmer waren der Einladung der Deutschen Gesellschaft für Kinderzahnmedizin (DGKiZ) zu ihrer 31. Jahrestagung nach Erlangen gefolgt. Der wissenschaftliche Kongress Ende September stand unter dem Motto „Kinderzahnmedizin im Wandel der Zeit“ und fokussierte die Fortschritte in der Kinderzahnmedizin hinsichtlich Behandlungsmethoden, Zahnerhalt und Nachhaltigkeit.

Der Kongress verdeutlichte die Zusammenhänge zwischen evidenzbasiertem, minimal-invasivem Kariesmanagement, Schmerzmanagement und der Vermeidung von Behandlungen unter Vollnarkose: Minimal-invasive Methoden können bei jüngeren Kindern mit geringer Kooperationsfähigkeit häufig einen Aufschub invasiverer Behandlungen in ein reiferes Alter erreichen. Verhaltensführung, Sedierung und Anästhesie reichen dann oftmals aus, um eine notwendige Behandlung durchzuführen. 

Weitere Schwerpunkte des Kongressprogramms, für das Tagungspräsident Professor Norbert Krämer und Tagungspräsidentin Dr. Nelly Schulz-Weidner verantwortlich zeichneten, ­waren regenerative und nachhaltige Behandlungsmethoden sowie Umweltaspekte in der Zahnmedizin.

Kariesmanagement: Minimal intervention dentistry

Das Spektrum der non-invasiven und mikro-invasiven Methoden des Kariesmanagements stellte Prof. Richard Wierichs, Bern, bei dem von Oral-B gesponserten Vorkongress vor. Diese Methoden folgen der ökologischen Plaque-Hypothese, nach der Karies als ein kontinuierlicher Prozess der Demineralisation der Zahnhartsubstanz zu verstehen ist, der durch einen pathogenen Biofilm unter Zufuhr von Kohlenhydraten (Zucker) angetrieben wird. 

Je nach Stadium und Aktivität der Karies sollte eine adäquate Therapieform gewählt werden, um die Remineralisation zu fördern oder den Prozess zu arretieren [1]. Zu den vom Referenten vorgestellten Möglichkeiten des nicht-invasiven und mikro-invasiven Kariesmanagements gehören die nicht-restaurative Kavitätenkontrolle (NRCC), bei der die Dentinkaries nicht entfernt, sondern die Läsion zwecks Reinigungsfähigkeit eröffnet wird, sowie die Fissurenversiegelung bei Initialkaries an Molaren, die Infiltration (Icon, DMG Dental) und die (off-Label-)Anwendung von Silberdiaminfluorid (SDF). 

Weitere Zahnsubstanz-schonende Techniken wurden in den Vorträgen zum Thema „Biologisches Kariesmanagement“ beleuchtet. Biologisches Kariesmanagement wirkt durch Isolation der aktiven Karies von Biofilm und Kohlenhydraten, was einem „Aushungern“ der Karies gleichkommt. 
Prof. Monty Duggal (Qatar) und Prof. Alaa Bani Hani (UK) betonten, dass der biologische Ansatz nach ihren eigenen Studien ein positives Kosten-Nutzen-Verhältnis und über sechs Jahre vergleichbare Erfolgsraten wie konventionelle Ansätze aufweist. 

Biologischer Ansatz positives Kosten-Nutzen-Verhältnis

Zu den Methoden, die ohne Kariesexkavation auskommen, zählen die Fissurenversiegelung bei Initialkaries, die Infiltration, die Anwendung von SDF als Teil der restaurativen und nicht-restaurativen Anwendung sowie die Hall-Technik. Partiell wird Karies bei der Exkavationsmethode der selektiven Kariesexkavation entfernt, die Prof. Norbert Krämer (Gießen) in seinem Vortrag thematisierte. 

Bei der selektiven Kariesexkavation wird pulpanah Restkaries belassen, um eine Pulpaeröffnung zu vermeiden, ansonsten wird bis auf das remineralisierbare Dentin präpariert. Um eine gute Adhäsion zu erzielen, müssen an den Rändern mindestens 1 bis 1,5 Millimeter gesunde Zahnsubstanz vorhanden sein, da ein dichter adhäsiver Verschluss als Erfolgsvoraussetzung gilt: „The Seal is the Deal“ [2].

Mittlerweile belegen Übersichtsarbeiten die Effektivität von nicht-invasiven und mikro-invasiven Methoden des Kariesmanagements sowie der selektiven Kariesexkavation [3, 4]. 
Darüber hinaus werden SDF, Hall-Kronen und selektive Kariesentfernung als „Minimal intervention dentistry“ auf der Evidenzbasis von drei Metaanalysen in den Leitlinien der European Academy of Paediatric Dentistry (EAPD) für die Versorgung tiefer kariöser Läsionen im Milchgebiss empfohlen [5]. 

Eine neuere Entwicklung sind die SMART-Techniken, bei denen der Einsatz von SDF zur Arretierung der Karies mit Abdeckung wie zum Beispiel der Hall-Krone oder Glasionomerzementen (GIZ) kombiniert wird. Prof. Jan Kühnisch ging als federführender Autor des aktuellen Updates der S3-Leitlinie ausführlich auf die Neuerungen bei der Fissuren- und Grübchenversiegelung ein [6]. Die Versiegelung ist „der dauerhafte, präventive Verschluss von kariesanfälligen Fissuren und Grübchen mit einem Kunststoff, um einer Kariesinitiation vorzubeugen beziehungsweise kariöse Frühstadien zu arretieren“ – also sowohl präventiv als auch zur Versorgung von Initialläsionen bewährt. 

Schmerzausschaltung bei Kindern 

Wie Behandlungen unter Allgemeinanästhesie (ITN) vermeidbar sind, wurde von vielen Referenten angesprochen. Ein ausgereiftes Konzept hierzu stand im Mittelpunkt des Vortrags von Dr. Dinah Fräßle-Fuchs (Salzburg). Sie stellte den strukturierten Ablauf des Therapieentscheids in ihrer Praxis vor. Die Entscheidungsfindung erfolgt nach festen Kriterien, zum Beispiel durchlaufen behandlungsbedürftige, junge Kinder ein Behandlungstraining – möglichst bis zur Behandlungsfähigkeit. Kann diese erreicht werden, erfolgt eine notwendige Sanierung mit Verhaltensführung unter Lachgas-Sedierung. Falls sich eine ambulante Behandlung in Allgemeinanästhesie als unverzichtbar erweist, folgt diese den aktuellen Empfehlungen der DGKiZ und mündet in eine Aufnahme in das Prophylaxe-Programm der Praxis [7].

Das Verfahren der inhalativen Sedierung mit Lachgas stellte Dr. Richard Steffen (Weinfelden) vor. In Kombination mit verhaltensführenden Methoden kann die Mitarbeit des Kindes verbessert und die für das Kind akzeptable Behandlungsdauer verlängert werden. Dr. Knut Beuerlein (Gießen) erläuterte pharmakologische Aspekte der Lokalanästhesie bei Kindern. Das Mittel der Wahl für die Lokalanästhesie bei Kindern ist Articain. Vorteile sind der schnelle Wirkungseintritt (eine bis drei Minuten) und die relativ lange Wirkdauer (60 bis 220 Minuten). Außerdem besitzt Articain die geringste systemische Toxizität unter den für die Lokalanästhesie zur Verfügung stehenden Anästhetika. 

Nachhaltigkeit in der Zahnmedizin

Prof. Stefan Zimmer (Witten) griff in seinem Vortrag zur Prävention das Thema „Nachhaltigkeit“ auf. In diesem Sinne plädierte er für Kosten-Nutzen-effiziente Maßnahmen in der Prophylaxe wie die Kollektivprophylaxe mit fluoridiertem Speisesalz und die Gruppenprophylaxe in Kindertagesstätten und Schulen. Er zeigte sich optimistisch, dass die bereits ergriffenen Maßnahmen in der Individualprophylaxe in Zukunft die noch immer noch stark verbreitete Milchzahnkaries (ECC) eindämmen werden.

Eine überzeugende Definition von Nach­haltigkeit in der Zahnmedizin lieferte Prof. Kerstin Galler (Erlangen). Nachhaltigkeit in diesem ­Bereich bedeute, „Behandlungsoptionen so zu wählen, dass geschädigte Gewebe bestmöglich bewahrt werden beziehungsweise ausheilen können, um die Möglichkeiten des Zahnerhalts langfristig so wenig wie möglich einzu­schränken.“ 
Ein Beispiel zur Umsetzung dieses Leitgedankens ist die von Galler vorgestellte Revitalisierung nach Trauma bei bleibenden Zähnen mit nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum und Pulpanekrose als Biologie-basierte Behandlung in der Endodontie. Weiteres Wurzelwachstum kann durch diese Methode stimuliert werden. Als nachhaltig können auch die chirurgischen Methoden der Autotransplantation und des Tooth­recyclings, thematisiert von Prof. Monty Duggal und Prof. Sameh Attia (Berlin) angesehen werden. 

Weitere Themen des wissenschaftlichen Kongresses waren die Digitalisierung in der Zahnmedizin, der Einfluss von Umweltfaktoren auf die Zahngesundheit, die Biokompatibilität von Füllungsmaterialien sowie die ökologische Nachhaltigkeit, die durch ein Qualitätsmanagementsystem in der Praxis unterstützt werden kann. Ein umfangreiches Teamprogramm, zwei Lunch-and-Learn-Veranstaltungen (gesponsert von den Unternehmen CP Gaba und NUK), ein wissenschaftliches Kurzprogramm sowie das Praktikerforum mit eingereichten Fällen rundeten das Kongressprogramm ab.

Fazit: Hat der „Wandel der Zeit“ der Kinderzahnmedizin vor allem Gutes gebracht oder überwiegen die Herausforderungen? Das Bild, das sich aus den hochkarätigen Vorträgen renommierter Experten auf dem Gebiet der Kinderzahnmedizin ergab, war zwiespältig: Einerseits sind ECC und MIH ungelöste Probleme in der Versorgung. Darüber hinaus steht das Fach Herausforderungen gegenüber, die durch die Standespolitik gelöst werden müssen: So beträgt die Wartezeit auf stationäre kinderzahnärztliche Behandlung unter Vollnarkose derzeit bis zu ein Jahr. Auf der anderen Seite stehen Erfolge in der Prävention und die Weiterentwicklung minimal-invasiver Methoden, die mehr Zahnerhalt und eine bessere frühe Versorgung ermöglichen. 

Nächster Halt 
im Mai 2025 in Bonn

Die nächste Jahrestagung der DGKiZ findet vom 15. bis 17. Mai 2025 im World Conference Center in Bonn statt. Unter dem Motto „Das Lächeln der Zukunft“ werden die Schwerpunktthemen Kommunikation mit Kindern, Eltern und im Team sowie Endodontie im Milch- und Wechselgebiss in spannenden Vorträgen und Workshops praxisnah und interaktiv beleuchtet. Weitere Informationen auf dgkiz-jahrestagung2025.de

Dagmar Kromer-Busch, Köln

Literatur

[1] Paris S, Meyer-Lückel H: Paradigmenwechsel. In: Meyer-Lückel, Hendrik; Paris, Sebastian; 
Ekstrand, Kim R. (Hrsg.) Karies – Wissenschaft und Klinische Praxis. Thieme, Stuttgart 2012, 
S. 70–75.
[2] Krämer N. Aktuelle Leitlinien zum Kariesmanagement. Oralprophylaxe Kinderzahnmedizin. 2024;46:157–162. 
[3] Dorri M, Dunne SM, Walsh T, Schwendicke F. Micro-invasive interventions for managing 
proximal dental decay in primary and permanent teeth. Cochrane Database Syst Rev. 2015;2015(11):CD010431. Published 2015 Nov 5. doi:10.1002/14651858.CD010431.pub2
[4] Figundio N, Lopes P, Tedesco TK, Fernandes JCH, Fernandes GVO, Mello-Moura ACV. Deep 
Carious Lesions Management with Stepwise, Selective, or Non-Selective Removal in Permanent Dentition: A Systematic Review of Randomized Clinical Trials. Healthcare (Basel). 2023;11(16):2338. 
[5] Duggal M, Gizani S, Albadri S, et al. Best clinical practice guidance for treating deep carious lesions in primary teeth: an EAPD policy document. Eur Arch Paediatr Dent. 2022;23(5):659–666. doi:10.1007/s40368–022–00718–6
[6] S3-Leitlinie Fissuren- und Grübchenversiegelung 2024. AWMF-Registernummer 083–002. 
Update für 2017; dgzmk.de
[7] Rahman A, Hinrichs-Priller J Ambulante zahnärztliche Behandlung von Kindern und Jugend-
lichen in Allgemeinanästhesie. Oralprophylaxe Kinderzahnmedizin. 2022;44(4):22–25. https://doi.org/10.1007/s44190–022–0632–3