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Deutschland wartet, aber es dauert noch

Der Kommentar von Chefredakteur Marc Oliver Pick

Er gilt als nicht besonders ambitioniert, und schon bevor er der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, erst recht aber nach seiner Präsentation, ist der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD Projektionsfläche vieler Wünsche und Hoffnungen. Im selben Maße provoziert er Verbesserungsvorschläge und Forderungen – und das nicht nur bei den zahlreichen Playern des Gesundheitsbereichs.

Kanzlerkandidat Friedrich Merz sprach bei der Präsentation in Berlin von einem „starken Plan“, den man vorgelegt habe. Allerdings traut gerade einmal ein Drittel der Deutschen dem in vier zähen Wochen entwickelten Plan diese Stärke zu. Viele sehen ihre Erwartungen an den versprochenen Politikwechsel schon im Vorfeld nicht erfüllt.

Koalitionsvertrag: 299-mal das Wort „wollen“

Von Aufbruch ist wenig spürbar in diesem Koalitionsvertrag, der 299-mal das Wort „wollen“ enthält und nicht weniger als 88 Kommissionen plant. Wollen ist noch lange nicht machen, und Kommissionen ist ein anderes Wort für vertagen. Das kommt nicht gut an, wie die zuletzt dramatisch gesunkenen Zuspruchswerte für den Kanzlerkandidaten spiegeln. Insgesamt ist die Stimmung beim Blick auf die künftige Bundesregierung durchwachsen, wenn nicht gar schlecht.

Andererseits ist ein Koalitionsvertrag kein Vertrag im klassischen Sinn, sondern eine durch Kompromisse errungene Sammlung von Absichtserklärungen. Im Detail bietet er immer noch gewisse Spielräume. Er zeichnet die große Linie vor, an Einzelheiten wird noch gefeilt werden dürfen und müssen.

Reale Gefahr eines globalen Handelskriegs

Ein Koalitionsvertrag als Kompromisspapier muss ein gewisses Maß an Flexibilität mitbringen, denn die Welt ändert sich schneller, als auch der weitsichtigste Politiker voraussehen könnte. Man betrachte als Beispiel nur den wahllosen Zickzack-Kurs der Zoll-Politik eines ehemaligen Partners und die reale Gefahr eines globalen Handelskriegs, der keine Sieger kennt. 

Der Koalitionsvertrag und ein Ja zur Regierungsbildung sind allerdings noch keine beschlossene Sache. Bis aus dem Vertrag ein Regierungsprogramm wird, sind noch einige Hürden zu meistern. Die SPD lässt ihre Parteimitglieder seit Dienstag vergangener Woche über den Vertrag abstimmen. Bis zum 29. April haben sie Zeit für ihr Votum. Und sicher ist da noch gar nichts, denn Gegenwind zeichnet sich seitens der Jusos ab, die mit Kritik unter anderem an der geplanten Migrations- und ­Sozialpolitik nicht sparen.

Abstimmung: kein Störfeuer aus Bayern

Die CDU nimmt sich deutlich weniger Zeit. Für die Abstimmung muss ein Tag reichen, und zwar ein kleiner Parteitag am 28. April. Bislang hat sich allein die CSU per Vorstandsbeschluss zum Koalitionsvertrag bekannt – kein Störfeuer aus Bayern.

Spannend wird danach die Frage sein, wer welches Ministerium führen wird. Während die Verteilung der Ministerien unter den Koalitionspartnern feststeht, herrscht über die Personalien bis auf die üblichen Spekulationen Unklarheit. 

Names-dropping bei den Minister-Posten

Für das CDU-besetzte Gesundheitsministerium wurde zwar bereits über Gesundheitspolitiker Tino Sorge als BMG-Chef spekuliert, aber auch der Name Sepp Müller ist gefallen. Beide gehören dem CDU-Landesverband Sachsen-Anhalt an. Der prominente Virologe Hendrik Streeck, frisch in den Bundestag eingezogen, hat sich gleich selbst als „Lauterbach-Nachfolger“ ins Spiel gebracht.

Jens Spahn jedenfalls, Vorgänger von Karl Lauterbach im Gesundheitsministerium, liebäugelt, falls er nicht den Fraktionsvorsitz übernimmt, wohl eher mit dem Posten des Wirtschaftsministers, nachdem Parteikollege Carsten Linnemann auf den Posten verzichtet hat. Er möchte weiterhin CDU-Generalsekretär bleiben.

Politikwechsel und Staatsmodernisierung unumgänglich

Noch ist also weder klar, ob der Koalitionsvertrag von allen gebilligt werden wird und an welchem Ministerstuhl welches Namensschild hängen wird. Sicher ist, dass ein Politikwechsel und eine Staatsmodernisierung unumgänglich sind, am besten inklusive Bürokratieabbau – auch wenn zu diesem Zweck erst mal ein neues Ministerium geschaffen werden muss. Im Moment gilt also erst mal bis auf Weiteres: Es dauert.