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Ohne Umwege – Spahn plant ohne Selbstverwaltung

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn

CDU und CSU bringen sich seit einiger Zeit gegenüber der Selbstverwaltung in Stellung. Schon Ende letzten Jahres hatte die Staatsministerin für Digitalisierung, Dorothea Bär, gegenüber der „Welt“ die Selbstverwaltung grundsätzlich infrage gestellt: „Ganz ehrlich, Selbstverwaltung klingt nicht nur wie Selbstbeschäftigung, ganz häufig beschäftigen sich diese Gremien auch vor allem mit sich selbst“, so Bär, und weiter: „Zum Glück zwingt uns die Digitalisierung, alle Systeme infrage zu stellen und auch mal zu überlegen, ob tatsächlich alles noch zeitgemäß ist.“ Ganz heimlich, still und leise legte nun Bundesgesundheitsminister Spahn noch einen drauf. Gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ kündigte er an, dass künftig die „Liposuktion zur Behandlung des Lipödems“ von den Kassen übernommen werden soll. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), der normalerweise über die Erstattungsfähigkeit befindet, hatte den Nutzen dieser Behandlung bislang nicht als ausreichend belegt gesehen. Die beschlossene weitere Untersuchung ist nach anderthalb Jahren noch „in Vorbereitung“. Mehrfach hatte Spahn bereits die Geschwindigkeit der Selbstverwaltung gerügt. Jetzt versucht er, sie durch die Hintertür zu umgehen. In einem Änderungsantrag des BMG heißt es, „Paragraf 94a Verordnungsermächtigung zur Aufnahme von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden. (1) Das Bundesministerium für Gesundheit wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu bestimmen, die in der Versorgung zulasten der Krankenkassen zu erbringen sind.“ De facto bedeutet das eine Art „Staatsstreich“. Der Vorsitzende des G-BA, Prof. Josef Hecken, zeigte sich auch sichtlich „not amused“: „Mit einer solchen Ermächtigung des BMG wäre der Weg in die Beliebigkeit und Staatsmedizin vorprogrammiert. Per Ministerverordnung könnten Behandlungsmethoden, deren Nutzen und Schaden völlig ungeklärt sind, nach Belieben und politischer Opportunität in die Gesetzliche Krankenversicherung gelangen. Dies wäre ein vollständiger Systembruch.“

Anlässlich des jüngsten Vorstoßes des Bundesministers für Gesundheit mahnt der Vorsitzende des Vorstands der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV), Dr. Wolfgang Eßer: „Wir erachten es als außerordentlich unglücklich, dass ausgehend von einem Einzelfall grundlegende Prinzipien der Selbstverwaltung und der evidenzbasierten Medizin aufgeweicht werden sollen. Auch ist der Vorstoß nicht geeignet, eine Debatte über Strukturen und Legitimation des G-BA zu führen. Kritik an langen Beratungsdauern und an Inhalten der Entscheidung des G-BA kann legitim sein. Jedoch sollte deshalb nicht gleich das gesamte System infrage gestellt werden.“  Die gesundheitspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Maria Klein-Schmeink, begrüßt zwar generell eine Beschleunigung der Entscheidungsprozesse im Sinne der Patienten, zugleich warnt sie aber: „Es würde nicht nur die Sicherheit der Patientinnen und Patienten gefährden, sondern auch wirtschaftlichen Interessen Tür und Tor öffnen.“

Nach welchen Kriterien diese ministeriellen Rechtsverordnung künftig getroffen werden, bleibt vage. Das BMG behält sich vor, eigene Daten zu erheben, Sachverständigengutachten einzuholen sowie medizinische Fachgesellschaften und Patientengruppen einzubeziehen. Dass das BMG seine Strategie für Gesetzentwürfe verändert hat, erklärte Spahn schon beim E-Health-Kongress der Unions-Bundestagsfraktion im vergangenen Dezember. Statt umfangreicher Gesetzesvorhaben wie ein E-Health-Gesetz 2, wolle man die notwendigen Maßnahmen in die laufenden Gesetzesvorhaben mit einbringen. Dazu bietet sich derzeit das TSVG an. Spahn will Tatsachen schaffen und Prozesse voranbringen. Dazu will er sich augenscheinlich mit Strukturen „ermächtigen“, die es ihm erlauben, die Selbstverwaltung zu umgehen. Das hat zum Teil auch ganz pragmatische Gründe. Der digital-begeisterte Minister sieht in den langen Zulassungsprozessen wohl einen Hemmschuh für Innovationen. Sind etwa große Pharmakonzerne dafür ausgestattet, den langen Weg in die GKV-Erstattung zu gehen, sieht es bei den digitalen Innovationstreibern häufig anders aus. Die Zulassungsprozesse sind gerade für Start-ups mit digitalen Medizinprodukten ein Problem, da sie selten über ausreichend Kapital verfügen, um den gerne fünf/sechs Jahre währenden Prozess bis zur Kassenerstattung zu überstehen. Sie will Spahn gerne im Land halten und auch nicht an die PKV verlieren. Ob er mit diesem „Staatsstreich“ durchkommt?