Schwerpunkte der Veranstaltung am 2. November waren das Potenzial und die Möglichkeiten der Tascheneliminierung im Rahmen der Parodontitistherapie. Die Organisatoren Prof. Dr. Jamal Stein und Dr. Christian Hammächer konnten Dr. Alberto Fonzar (Udine/Italien) als Gastreferenten gewinnen, einen renommierten internationalen Experten in der resektiven Parodontaltherapie und Perioprothetik.
Entscheidungsfindungen in der Parodontitistherapie
In seinem Einführungsvortrag über Entscheidungsfindungen in der Parodontitistherapie erläuterte Prof. Jamal Stein die Bedeutung der Prognoseeinschätzung und die Integration interdisziplinärer, insbesondere prothetisch-implantologischer Aspekte für eine zeitgemäße systematische Parodontitistherapie.
Anhand diverser Fallbeispiele zeigte er das Potenzial der Möglichkeiten einer antiinfektiösen nichtchirurgischen Parodontitistherapie. Bis auf wenige Ausnahmen sollte erst drei bis sechs Monate nach dieser Therapiephase eine endgültige Entscheidung über die Erhaltungsfähigkeit erfolgen. Viele initial als hoffnungslos erachtete Zähne können mitunter in einen erhaltungsfähigen Zustand überführt werden. Der Referent betonte, dass die prothetische Planung nach der erfolgten antiinfektiösen Therapie einen entscheidenden Einfluss auf die Einschätzung der Erhaltungswürdigkeit von Zähnen sowie gegebenenfalls notwendiger parodontalchirurgischer Eingriffe hat.
Für unsichere, aber strategisch wichtige Zähne wurden drei Möglichkeiten angeführt:
a) die Überführung in eine sichere Prognose (zum Beispiel durch Hemisektion),
b) die Extraktion und Implantation oder aber
c) die Überführung in einen unstrategischen Zahn.
Darüber hinaus führte Stein an, dass initial unsichere oder hoffnungslose Zähne unter Umständen durchaus lange erhalten bleiben können. Laut der Daten einer Kieler Langzeitstudie konnten über einen Zeitraum von 15 Jahren nach begleitender unterstützender Parodontaltherapie (UPT) 88 Prozent der fraglichen und 60 Prozent der infausten Zähne erhalten werden.
Auch regenerativ behandelte Zähne, die initial eine hoffnungslose Prognose zeigten, bieten im Einzelfall das Potenzial, in einen recallfähigen Zustand überführt zu werden. Allerdings sei dies nur unter der Voraussetzung möglich, dass eine geschlossene Zahnreihe ohne prothetischen Behandlungsbedarf vorliegt. Generell betonte der Referent, dass erst nach Entwurf der prothetischen Gesamtplanung die Konzeption der korrektiven chirurgischen Therapie erfolgen sollte.
Langzeiteffekte nichtchirurgischer und chirurgischer Therapien hinterfragt
Nachfolgend sprach Dr. Alberto Fonzar in seinem Vortrag über „Modern Concepts in Resective Periodontal Surgery“. Das Ziel aller unserer parodontalen Therapiemaßnahmen sollte sein, die Progression der parodontalen Erkrankung aufzuhalten. Fonzar hinterfragte die Langzeiteffekte nichtchirurgischer und chirurgischer Therapien. Auf lange Sicht ähneln sich die Ergebnisse mit bestimmten Einschränkungen. Jedoch seien parodontale Taschen von mehr als 5 Millimetern (mm) auf nichtchirurgischem Weg nicht mehr voraussagbar zu therapieren. Tiefe Taschen und Furkationen müssen als Reservoir für parodontale Keime angesehen werden. Daher stelle sich auch immer die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt einer Reevaluation.
Kurzweilig und dennoch detailliert zeigte Fonzar den Teilnehmern anhand verschiedener langzeit-dokumentierter Fallbeispiele, dass parodontal geschädigte Zähne nach knochen- und zahnresektiver Therapie (Hemisektion, Prämolarisierung und/oder Resektion einzelner Wurzeln von Oberkiefermolaren) auch langfristig als prothetische Stützpfeiler dienen und so häufig Implantate vermieden und aufgeschoben werden können.
Einzelne separierte Wurzeln von Oberkiefermolaren können durchaus als vollwertige prothetische Stützpfeiler fungieren. Der Referent dokumentierte langfristig sehr stabile Ergebnisse. Wurzelfrakturen können zwar nach Jahren auftreten, sind jedoch insgesamt selten. Bei einer Hemisektion sollte nach Möglichkeit der Erhalt der distalen Wurzel bevorzugt werden, da die mesiale Wurzel häufiger frakturiere.
Der Referent legte Wert darauf, dass die Präparation für die spätere Kronenversorgung stets tangential erfolgen sollte, um Substanzverluste zu vermeiden. Nach einer Hemisektion empfiehlt Dr. Fonzar eine Wartezeit bis zur prothetischen Versorgung von mindestens sechs Monaten bis hin zu einem Jahr. Der Referent betonte, dass bei infraalveolären Defekten ab einer Defekttiefe von 3 mm regenerative Maßnahmen in Betracht kommen, während flache infraalveoläre und supraalveoläre Defekte im nicht ästhetisch kritischen Bereich resektiv behandelt werden sollten. Die Taschenelimination ist allerdings laut Aussage des Referenten die einzige Therapie, die in der Parodontologie zu einer langfristigen „Erhaltungssicherheit“ führe.
Keine Evidenz für den „perfekten“ Weg
Zum Abschluss diskutierte der Gastreferent die Frage, welcher Weg der beste sei. Es gibt keine Evidenz für den „perfekten“ Weg. Die Plaquekontrolle sei das Wichtigste. Jedoch unterscheiden sich die Patienten sehr stark entsprechend ihres genetischen Backgrounds und ihres Bakterienspektrums und machen es damit nicht möglich, einen „perfekten“ Weg benennen zu können. Daher empfiehlt er eine möglichst lange Wartezeit bis zur Reevaluation und Planung resektiver beziehungsweise regenerativer Maßnahmen.
Nach diesem Vortrag klang der „4. Parodontologische Fortbildungsabend“ mit zahlreichen Erkenntnissen sowie neuen Perspektiven auf die Möglichkeiten der Zahnerhaltung im geselligen Abend mit zahlreichen kollegialen Gespräch aus. Der nächste parodontologische Fortbildungsabend ist im Herbst 2017 geplant.