Am 11. März 2022 fand in Köln das „5. Symposium zur Senior*innen-Zahnmedizin“ der Deutschen Gesellschaft für Alterszahnmedizin (DGAZ) unter dem Titel „Pflegebedarf beginnt nicht im Seniorenheim. Zahnmedizin und die Häuslichkeit“ in Präsenz statt.
Seniorenzahnmedizin: DGAZ-Symposium zur Pflege in der Häuslichkeit
Die Organisation und wissenschaftliche Leitung der hochkarätig besetzten Veranstaltung verantworteten Dr. Dirk Bleiel, Vorstandsmitglied der DGAZ und niedergelassener Zahnarzt in Rheinbreitbach, in Kooperation mit PD Dr. Dr. Greta Barbe, Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie der Universitätsklinik Köln.
Bleiel eröffnete die sehr gut besuchte Veranstaltung und betonte die Dringlichkeit des Themas des Symposiums: Die ambulante Zahnmedizin sei bislang weitgehend ein blinder Fleck. Prof. Dr. Michael Noack, von 1996 bis 2021 Lehrstuhlinhaber der Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie der Universität Köln, stellte in seinem Grußwort die Seniorenzahnmedizin als etablierten Fachbereich dar.
„Senioren einzige Altersgruppe, die wächst“
Mit seinem Eröffnungsbeitrag „Zahnmedizinische Versorgung in der Häuslichkeit: Was sagt die BZAEK?“ brachte Prof. Dr. Christoph Benz, Präsident der BZÄK und Vizepräsident der DGAZ, die Problematik auf den Punkt: „Zur häuslichen Pflege ist das Wissen noch sehr gering.“ Insgesamt sei die Pflegezahnmedizin etabliert – auch in Fragen der Abrechnung. „Das Spielfeld ist abgesteckt, nur spielen müssen wir“, so Benz und appellierte dazu, eigene Konzepte zu entwickeln. Die Senioren seien die einzige Altersgruppe, die wachse. Schon jetzt kämen rechnerisch 100 Patienten mit Pflegebedarf auf eine Praxis. Benz machte deutlich, dass Zahnmedizin in der Pflege eines der wachsenden Betätigungsfelder sei, während andere klassische Bereiche wie die Behandlung von Karies und Zahnersatz sich stark rückläufig entwickelten.
Aus Sicht der BZÄK sei es nun wichtig, Daten zur Häuslichkeit zu sammeln. Wie aktiv sind die Zahnärztinnen und Zahnärzte? Sind sie mobil, machen Sie Hausbesuche? Wie ist die Mundgesundheit zu Hause? Es gelte Bedarfe zu erfassen, Kontakte zu koordinieren und die Zahnärzteschaft zu motivieren.
Benz thematisierte auch die Delegation in der Häuslichkeit. Müsse der Zahnarzt oder die Zahnärztin bei jeder Versorgung in Rufweite sein, könne dies die ambulante Versorgung in der Breite erschweren. Eine Entwicklung wie in der Medizin lehnte er jedoch vehement ab. Hier sollte die Zahnärzteschaft selbst Regeln festlegen.
Robotik in der Häuslichkeit
In seinem Beitrag „Robotik in der Häuslichkeit: Akzeptanz, Technik und Methodik“ stellte Prof. Dr. Patrick Jahn, Leitung der AG Versorgungsforschung im Department für Innere Medizin der Universitätsmedizin Halle (Saale), verschiedene Roboter und Assistenzsysteme vor, die bereits in der Pflege eingesetzt werden. Sie reichen von humanoiden Robotern wie Pepper, die sozial interagieren können, über Exoskelette, die beim Heben unterstützen, bis zu fahrenden Kommunikationssystemen, die etwa ein Videokonsil ermöglichen. Jahn stellte eine aktuelle Studie zur Akzeptanz der Robotik im Gesundheitssystem vor. Demnach befürworten 55 Prozent den Robotik-Einsatz, 38 Prozent lehnen ihn ab. Unter dem Pflegepersonal finden sogar 68 Prozent den Einsatz sinnvoll, lediglich 13 Prozent sind dagegen.
Patientenzufriedenheit durch gelungene Kommunikation
Über „Kommunikative Herausforderungen in der Zahnmedizin: Besonderheiten der aufsuchenden Betreuung“ referierte Prof. Dr. Christine Schiessl, Fachärztin für Anästhesiologie, Palliativmedizin, Spezielle Schmerztherapie, Ärztliche Psychotherapeutin, niedergelassen in eigener Praxis in München. Gelungene Kommunikation führe zur hoher Patientenzufriedenheit, damit zu Therapietreue und sei letztendlich auch ein „geldwerter Vorteil“.
Bei Zahnärzten ergeben sich in der Patientenkommunikation spezielle Problemstellungen. Allein durch die Behandlungssituation ist die physische Augenhöhe nicht gewährleistet, durch den Mundschutz – auch in Nicht-Corona-Zeiten – sind Mimik und Gestik eingeschränkt wahrnehmbar und durch das „Arbeitsfeld“ Mundhöhle ist das Sprechen nur bedingt möglich. Hier gewinnt die non-verbale Kommunikation eine starke Bedeutung.
Gerade bei Senioren in der Häuslichkeit verlangt die Kommunikation ein hohes Maß an Empathie, so Schiessl. Bei dementen Patienten empfahl Schiessl die Validation nach Noamie Feil, eine Methode, bei der die Lebensumstände des desorientierten Menschen akzeptiert werden.
„Pflege und Zahnmedizin brauchen Augenhöhe“
In ihrem mit einem beeindruckenden Zahlenwerk hinterlegten Vortrag „Mundgesundheit in der Häuslichkeit aus Sicht der Pflege“ warf Ramona Waterkotte, Zahnarzthelferin, Exam. Pflegefachkraft, Soziologin und Pädagogin B.A. Pflegekosmos Mainz, einen Blick in die Gegenwart und Zukunft der Pflege. Seit 1993 bis heute haben sich die „Pflegefallzahlen“ vervierfacht bei einer gleichbleibenden Zahl an Pflegefachkräften. Zwar sei Zahn- und Mundpflege in den Leistungskomplexen enthalten, doch werden viele Pflegearbeiten mittlerweile durch qualifizierte Pflegehelfer und pflegerische Hilfskräfte übernommen. Fehlendes Wissen führten häufig dazu, dass latente Mund- und Zahnbeschwerden im Alltag oft so lange unbemerkt blieben, bis sie akut würden. Und dass auch Zahnärzte Hausbesuche machten, sei häufig unbekannt.
Die Gründe für die Vernachlässigung der zahnmedizinischen Versorgung seine vielfältig, so Waterkotte. Ambulant verschwimme auch die Übernahme von Verantwortung für die Mundgesundheit. Wer ist zuständig? Die Angehörigen, der Patient, der Pflegedienst? Waterkotte zeigte auch einige Lösungsansätze zur Verbesserung der Situation auf:
- Begleitete Taxifahrten zum Zahnarzt
- Mehr Hausbesuche steigern die Motivation zur Mundhygiene
- Pflegekräfte schulen
- Menschen mit Demenz unbedingt zu Hause behandeln
- Augenhöhe von Pflege und Zahnmedizin
Digitale Transformation
Den Abschluss bildete Dr. Volkmar Göbel, Niedergelassener Zahnarzt in Gössenheim, mit seinem Vortrag zur „Digitalen Transformation in der aufsuchenden zahnärztlichen Behandlung von pflegebedürftigen Patienten“ aus der Praxis. Göbel betreut mit seinen Teams 1.400 Patienten mobil. Dazu hat er für die aufsuchende Betreuung einen komplett digitalen Workflow entwickelt: digitales Röntgen, mobile Behandlungseinheit, Laptop mit Zugang zum PVS und intraoraler Kamera. Wichtig sei aber vor allem, dass die die Zahnärzteschaft „bottom-up“ eigene Konzepte entwickele, bevor sie von der Politik eines „übergestülpt“ bekomme.
Fazit
Die Seniorenzahnmedizin hat sich auf dem Symposium der DGAZ als ein zentrales Zukunftsthema präsentiert – mit vielen Ansätzen und vielen offenen Fragen gerade auch um die Mundgesundheit in der Häuslichkeit. Fragen, die dringend auf Antworten warten. Mit einer älter werdenden Babyboomer-Generation sind baldige Lösungsansätze alternativlos.