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Gesellschafter: Selbständig oder nicht?
Berufsausübungsgemeinschaften sollten ihre Gesellschaftsverträge einer rechtlichen Prüfung unterziehen lassen.

Berufsausübungsgemeinschaften sollten ihre Gesellschaftsverträge einer rechtlichen Prüfung unterziehen lassen.

Vertragliche Absprachen, wonach Gesellschafter einer Gemeinschaftspraxis nicht am Gewinn und Vermögen der Gesellschaft beteiligt sind und als Vergütung für Ihre Tätigkeit einen prozentualen Anteil (üblicherweise 30 Prozent) ihrer selbst erwirtschafteten Honorarumsätze erhalten, dürften künftig vermehrt in den Fokus der Deutschen Rentenversicherung (DRV) rücken. „Rückendeckung“ erhält die DRV von diversen Urteilen der Landesozialgerichte (zuletzt Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 17. Mai 2017 – Az.: L 2 R 427/15), mit denen eine abhängige Beschäftigung des Zahnarztes und damit eine Sozialversicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung bejaht wurde.

Der Fall

In dem vom LSG Niedersachsen-Bremen zu entscheidenden Fall betrieb der Kläger eine Zahnarztpraxis mit angeschlossenen Zahnklinik. Im Rahmen eines Kooperationsvertrages hatten der Kläger und ein Oralchirurg (der Beigeladene) vereinbart, dass der Beigeladene in den Behandlungsräumen des Klägers mit den dortigen Arbeitsmitteln Patienten des Klägers behandelt. Als Vergütung für die von ihm erbrachten zahnärztlichen Leistungen erhielt der Beigeladene ein monatlich nachträglich zu zahlendes Honorar in Höhe von 25 Prozent des von ihm erwirtschafteten Nettoumsatzes (Nettoumsatz = Umsatz abzüglich Material- und Laborkosten). Mit dieser Vergütung waren alle Ansprüche des Beigeladenen für seine Tätigkeit im Rahmen des Kooperationsvertrages abgegolten. Ein Anspruch auf Teilnahme an einem eventuell gesteigerten immateriellen Wert der Praxis bestand weder bei Fortführung noch bei Beendigung des Kooperationsvertrages. Kosten für die Inanspruchnahme der Räumlichkeiten und des Personals hatte der Beigeladene nicht zu tragen.

Nachdem der Beigeladene bei der DRV die Feststellung seines sozialversicherungsrechtlichen Status für seine Tätigkeit als Zahnarzt in der Praxis des Klägers beantragt hatte, stellte die DRV ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis mit Versicherungspflicht in der Pflege- und Arbeitslosenversicherung fest.

Das Urteil

Das LSG Niedersachsen bestätigte – ebenso wie das Sozialgericht Lüneburg als Vorinstanz – ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis und bejahte die Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung, hingegen nicht in der Pflegeversicherung.

Zur Begründung wird Folgendes ausgeführt:

Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist Paragraf 7 Abs. 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung „die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis“ (Paragraf 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) liegt eine Beschäftigung in einem fremden Betrieb vor, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt (BSG, Urteil vom 18. Dezember 2001 – Az.: B 12 KR 10/01 R). Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (BSG, Urteil vom 30. April 2013 – Az.: B 12 KR 19/11 R).

Im dem zu entscheidenden Verfahren sprachen die maßgeblichen Umstände zur Überzeugung des Gerichts für das Vorliegen eines abhängigen, in der Arbeitslosenversicherung versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses zwischen dem Kläger und dem Beigeladenen. Letzterer trage kein Unternehmerrisiko, da ihm als Gegenleistung für die von ihm erbrachten Tätigkeiten nach Maßgabe des Kooperationsvertrages eine Vergütung in Höhe von 25 Prozent des von ihm erwirtschafteten Nettoumsatzes zustand, wobei ihm Kosten für die Inanspruchnahme der Räumlichkeiten und des Personals nicht extra in Rechnung gestellt wurden. An einem Unternehmerrisiko fehlte es auch deshalb, weil der Beigeladene kein eigenes Kapital eingesetzt habe.

Nach alledem habe der Beigeladene eine fremdbestimmte Arbeit geleistet und sei deshalb wie ein abhängig Beschäftigter in die Praxis des Klägers eingeordnet gewesen.

Konsequenzen für die Praxis

Es ist zu erwarten, dass Berufsausübungsgemeinschaften mit „Nullgesellschaftern“ künftig vermehrt in den Fokus der DRV geraten werden, nachdem auch andere Gerichte, etwa das LSG Baden-Württemberg mit Urteil vom 23.11.2016 (Az: L 5 R 1176/15), ebenso entschieden haben.

Unter „Nullgesellschaften“ versteht man Berufsausübungsgemeinschaften, bei denen die Betriebsmittel der Praxis steuerliches Sondervermögen eines Partners (in der Regel des Seniorpartners) sind und der Juniorpartner nicht mit Kapital an der Gesellschaft beteiligt ist. Der Juniorpartner erhält einen prozentualen Anteil (üblicherweise 30 Prozent) an seinem eigenen Honorarumsatz und trägt ansonsten kein Kostenrisiko.

Solche Berufsausübungsgemeinschaften sind gut beraten, ihre Gesellschaftsverträge einer rechtlichen Prüfung unterziehen zu lassen und – sofern erforderlich – an die aktuelle Rechtsprechung anzupassen. Sollte nämlich die DRV zu dem Ergebnis kommen, dass keine echte Gesellschafterstellung, sondern in der Person des Juniorpartners ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt, kann sie für die letzten vier Jahre rückwirkend Sozialversicherungsbeiträge, insbesondere zur Arbeitslosenversicherung nachfordern.

Der Umstand, dass die Zulassungsgremien bei der jeweils zuständigen Kassenzahnärztlichen Vereinigung solche „Nullgesellschaften“ genehmigt haben, ändert übrigens nichts an der sozialversicherungsrechtlichen Statusbeurteilung durch die DRV, da die Regeln des Berufs- und Vertragszahnarztrechts für die DRV nicht bindend sind.