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Volle Sicht im Wurzelkanal

Dr. Tomas Lang setzt bei endodontischen Behandlungen in seiner Praxis „Sirius Endo“ in Essen auf den Einsatz des OP-Mikroskops.

Das Thema Bildgebung hat in der Zahnmedizin im Allgemeinen und in der Endodontie im Speziellen einen hohen Stellenwert, da gerade hier sehr feine Strukturen vorliegen, die erkannt, bewertet und behandelt werden müssen. Diagnostik und Therapie stützen sich dabei auf die bildgebenden Verfahren der Radiologie und die Mikroskopie. dzw-Redakteurin Brigitte Dinkloh sprach für diese Ausgabe mit Dr. Tomas Lang, Endodontologe in der eigenen Praxis „Sirius Endo“ in Essen und Forscher am Institute for Oral Medicine (ORMED) der Universität Witten/Herdecke über die Vorteile des OP-Mikroskops.

Herr Dr. Lang, die Endodontie hat ebenso wie die bildgebende Diagnostik ihre Anfänge im vorletzten Jahrhundert. Gibt es jenseits der zeitlichen Überschneidung noch weitere Korrelationen zwischen den Fachgebieten?

Dr. Tomas Lang: Die Endodontie spielt in der Zahnmedizin von Anfang an eine ganz wesentliche Rolle, denn relativ schnell wollten die Menschen nicht nur die Schmerzen besiegen, sondern auch ihre Zähne erhalten. Zunächst beruhte das Wissen über den Zahnaufbau auf Schliffpräparaten. Ein rein theoretisches Wissen also, das man im Einzelfall nicht überprüfen konnte. Hinzu kam das Problem, dass es noch keine elektrischen Lichtquellen gab und man darauf angewiesen war, das Licht mit Spiegeln in den Zahn zu holen, um in die Kavitäten schauen zu können. In dem Moment, in dem die Technologien aufkamen, die es ermöglichten, die Morphologie des Zahnes besser zu ergründen, wurden sie auch genutzt. Die Zahnmedizin war die erste Disziplin, die die modernen Verfahren wie Röntgenstrahlen und OP-Mikroskop eingesetzt hat. So haben die Kruppschen Krankenanstalten schon 1896, ein Jahr nach ihrer Entdeckung, die Röntgenstrahlen genutzt. Und das erste OP-Mikroskop in der Medizin überhaupt wurde in einer Zahnarztpraxis in Boston um 1907 eingesetzt. Dann ist es in Vergessenheit geraten und erst in den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts von der Zahnmedizin wiederentdeckt worden, nachdem HNO, Augenheilkunde und Neurochirurgen damit operierten. Ab Ende der 90er-Jahre hat sich das OP-Mikroskop zu einem ganz wesentlichen Werkzeug entwickelt und die Bildgebung in der Zahnmedizin beflügelt.

Mikroskope gibt es schon seit dem 17. Jahrhundert, was genau zeichnete das erste OP-Mikroskop aus?

Lang: OP-Mikroskope sind Stereomikroskope mit einer koaxialen Ausleuchtung. In Boston wurde es kurze Zeit später installiert, nachdem Carl Zeiss es auf den Markt gebracht hatte, und zwar von einem Biologen, der unnötigerweise eine Wurzelkanalbehandlung bekommen hatte, weil der Zahnarzt beim Eingriff nicht sehen konnte, ob der Nerv beim Exkavieren der Karies offen lag oder nicht. Das zeigt, dass Patienten Innovationen oftmals schneller einfordern, als Ärzte in der Lage sind, diese umzusetzen.

Können Sie schildern, wie sich die Arbeit der Endodontologen durch die Nutzung des OP-Mikroskops verändert hat?

Lang: Das Mikroskop hat sich als sehr hilfreich erwiesen. Denn in der Endodontie hängt, wie in keinem anderen chirurgischen Fachgebiet, der Erfolg der Therapie davon ab, dass man gründlich arbeitet und nichts von den anatomischen Strukturen in der Tiefe der Kavität auslässt. Wenn man einen Kanal übersieht, hat der Patient weiterhin Schmerzen. Man kann sich mit den anderen Kanälen zwar viel Mühe gegeben haben, aber bei einem übersehenen Kanal muss der Zahn mitunter doch gezogen werden. Das kann man den Patienten mit dem OP-Mikroskop ersparen, und von daher profitiert unser Fachgebiet ganz wesentlich von diesem Instrument.

Bei geraden Kanälen ist das verständlich, aber wenn ein Kanal eine Krümmung aufweist, hilft Ihnen das Mikroskop dann auch noch?

Lang: Bei weiten apikalen Durchmessern kann man bei einem geraden Kanal bis zum Knochenmark sehen. Typischerweise ist ein Kanal 2 cm lang, und wenn er gerade ist, wie bei Frontzähnen und einwurzeligen Prämolaren und weitlumig, können wir an der Wurzelspitze von orthograd noch operieren. Bei einem gekrümmten Kanal spielt die Sicht eine untergeordnete Rolle, selbst in dem seltenen Fall, wenn sich der Kanal noch einmal teilt. In den meisten Aufbereitungs- und Füllprozeduren können wir blind arbeiten bis zur Wurzelspitze. Glücklicherweise finden in der Kavität die Aufzweigungen der Kanäle statt, und da ist das alles sehr gut sichtbar. Ergänzend nutzen wir dann auch das DVT, um nichts zu übersehen.

Trotzdem hat sich das OP-Mikroskop noch nicht überall durchgesetzt, und es bleibt eine privat vergütete Leistung. Könnten nicht viele Zweiteingriffe, Wurzelspitzenresektionen beziehungsweise Zahnverluste vermieden werden, was den finanziellen Mehraufwand durch das Mikroskop rechtfertigen würden?

Lang: Es ist eine private Leistung, die Zuschlagsposition ist aber so gering, dass man davon nicht einmal die Betriebskosten decken kann. Dies ist aber nicht problematisch, da die Leistungen, die unter dem OP-Mikroskop erbracht werden, einen sehr hohen Nutzen haben, der wiederum auch liquidiert werden kann. In den einzelnen Fachgruppen und -disziplinen ist das OP-Mikroskop heute Standard, rund 80 Prozent der Endodontologen arbeiten mit einem Mikroskop. Das war vor 20 Jahren noch anders, damals gründete sich gerade die Fachgesellschaft für Endodontie in Deutschland. Heute kommen diejenigen, die sich strukturiert weiterbilden möchten, an der Anschaffung eines Mikroskops nicht mehr vorbei. Das hat die Endodontie deutlich verbessert. Auch beim Hauszahnarzt ist das Mikroskop im Kommen. Und meiner Meinung nach ist der Nutzen eines OP-Mikroskops wesentlich weiter gefasst, als dass man mehr sieht. Es ist wesentlich mehr als nur eine bessere Lupe.

Durch die koaxiale Ausleuchtung ermöglicht das OPM den stereoskopischen Blick und die Arbeit tief im Wurzelkanal. So können tiefe Kanalabzweigunge  erkannt und sicher therapiert werden.

Was meinen Sie damit?

Lang: In meiner endodontischen Überweiserpraxis „Sirius Endo“ in Essen arbeite ich heutzutage acht Stunden klinisch mit dem OP-Mikroskop, aber ich benötige in der Regel von der höchsten Vergrößerung des Mikroskops vielleicht 30 Minuten. Danach könnte ich auf die Lupenbrille umsteigen oder sogar ohne Lupe arbeiten. Aber trotzdem sitze und arbeite ich weiter am Mikroskop, weil mir zum einen viele weitere Dinge auffallen, die einen Einfluss auf die Therapie haben. Zum anderen ist mein gesamter Workflow auf die Arbeit unter dem Mikroskop abgestimmt, vor allem die Ergonomie und die Assistenz. Im ORMED-Institut an der Universität Witten/Herdecke haben wir wissenschaftlich untersucht, wie die einzelnen Zahnärzte während der Behandlung sitzen. Das Mikroskop kann so konfiguriert werden, dass man immer einen perfekten geraden Sitz hat. Und wenn man den richtigen Stuhl und den richtigen OP-Tisch hat, dann kann sich der Zahnarzt so gut abstützen, dass er komfortabel ohne Haltungsschaden arbeiten kann. Das hat für mich einen sehr hohen Stellenwert, denn viele meiner Kommilitonen leiden bereits unter Haltungsschäden. Kollegen, die ohne perfekt eingestelltes Mikroskop arbeiten, haben einen Knick in der Halswirbelsäule. Daraus resultieren Nackenschmerzen oder soar ein Bandscheibenvorfall. Eine Regel besagt: eine Molaren-Endo gleich eine Stunde Physiotherapie. Die Endodontie hat daher den Ruf eines Knochenjobs. Das muss aber nicht mehr sein, denn das Mikroskop unterstützt den Arzt nicht nur dabei, perfekt zu sehen, sondern auch, sich optimal zu organisieren und gesund zu sitzen. Ich habe arbeitsunfähige Kollegen auf das Mikroskop geschult, die dadurch wieder arbeitsfähig wurden.

Das OP-Mikroskop bewahrt den Zahnarzt also vor Haltungsschäden?

Lang: Ja, das ist richtig. Allerdings passt nicht jedes Mikroskop für jeden Arzt, es ist wenig sinnvoll, ein Gerät von der Stange zu kaufen. In meiner Praxis haben wir ein Messsystem entwickelt. Das Mikroskop ist eine Mischung aus verschiedenen optischen Instrumenten, die so ausgewählt sein müssen, dass sie zu den jeweiligen Körpermaßen passen. Nur dann kann man im ergonomischen Optimum arbeiten. Dieses Angebot machen wir Kollegen im Rahmen unserer Kurse und Hospitationen in meiner Praxis, wobei wir die Kollegen auch bei den ersten Schritten am Mikroskop unterstützen. Weiter gibt es auch die Möglichkeit, sich bei der Deutschen Gesellschaft für mikro-invasive Zahnmedizin, der DGmikro, zu informieren.

Wie hoch ist die genutzte Vergrößerung im OP-Mikroskop?

Lang: Die meiste Zeit benötigen wir nur eine Vergrößerung, die etwa der der Lupenbrille entspricht, nämlich auf das 3- bis 4-Fache der natürlichen Sehkraft. Situativ kann man sich aber genau die Vergrößerung einstellen, die zu der jeweiligen Situation, die sie bewältigen wollen, passt. Und das ist entspannend. Wenn ich mehr sehen will, drehe ich einmal am Objektwechsler und habe dann eine 20- oder 30- bis 35-fache Vergrößerung. Wobei die höchste Vergrößerung nur gebraucht wird, wenn tief unten im Wurzelkanal im Rahmen einer Revisionsbehandlung eine Stufe passieren möchte, am Ende des Kanals, am Terminus, eine MTA-Wurzelfüllung vorgenommen wird oder ein abgebrochenes Instrument aus dem Wurzelkanal herausgeschallt werden muss. Das sind die Momente für die höchste Vergrößerung, die aber bezogen auf die Gesamtzeit eher selten sind.

Leidet eigentlich die 3-D-Wahrnehmung beim OP-Mikroskop?

Lang: Beim dreidimensionalen Sehen wird ein Gegenstand immer aus zwei Blickwinkeln gesehen, weil man ja zwei Augen hat. Dadurch kann sich der Mensch in der Welt orientieren. Der Abstand der Augen sorgt für die Parallaxe, und wenn die Augen dichter beieinander sind, verschlechtert sich das räumliche Sehen in Abhängigkeit von der Größe des Raums. Das Mikroskop macht nun aus einem großen Menschen einen sehr kleinen, auch was die dreidimensionale Wahrnehmung anbelangt. Denn normalerweise hat der Mensch einen Augenabstand von 65 mm, im Mikroskop wird dieser im Strahlengang auf 20 mm zusammengeführt, denn das ist ein viel besserer Augenabstand zur Orientierung im kleinen Raum. Die räumliche Wahrnehmung innerhalb der Kavität ist also exzellent, man fühlt sich wie ein verkleinerter Mensch, der in dem Zahn herumwandert. Sie ist aber schlechter, wenn Sie eine weitere Orientierung haben möchten, zum Beispiel die gesamte Mundhöhle in einem sehen möchten. Man muss immer das Werkzeug wählen, das zur Situation passt, und die Dreidimensionalität gewinnt massiv durch das Mikroskop für die Fragestellung, die es bedient, nämlich zahnbezogen präzise zu arbeiten.

Dieses Interview erscheint in voller Länge auch als Podcast unter intradental.de