Bruxismus, also Knirschen und Pressen mit sich wiederholender Kaumuskelaktivität, gilt als typisches Verhalten ängstlicher und gestresster Menschen. Forscher sind sich einig, dass Bruxismus zentral gesteuert ist.
Okklusale oder funktionelle Störfaktoren spielen offenbar keine primäre ursächliche Rolle [1]. Es gibt aber eine Reihe von Risikofaktoren. Kaukräfte können bei Bruxismus bis zu sechsmal höher sein als bei Menschen mit normaler Muskelaktivität [2]. Sie führen daher einerseits zu Schäden an Zähnen und Restaurationen. Bei etwa jedem zweiten Betroffenen kommen Schmerzen in Kiefergelenken und Muskeln hinzu [3]. Bruxismus verstärkt oder verursacht damit unterschiedliche Beschwerdebilder, die den kraniomandibulären Dysfunktionen (CMD) zugeordnet werden.
Screening ist Pflicht
Vielen Betroffenen ist ihre Gewohnheit nicht bewusst. Damit sie nicht erst bei Problemen im Sinne von CMD oder Zahnschäden ihren Zahnarzt um Hilfe bitten, sollten daher alle Patienten im Rahmen der Anamnese in Bezug auf Knirschen oder Pressen befragt und untersucht werden [3, 4]. Bei gescheiterten Restaurationen kann ein Unterlassen sogar als Kunstfehler bewertet werden.
Für das Bruxismus-Screening gibt es klar strukturierte Schemata, die zunächst Fragebögen und klinische Untersuchungen zu Schmerzen und morphologischen Veränderungen umfassen [5, 6]. Zu letzteren gehören neben Abrasionen, Abfrakturen, Schmelzrissen und keilförmigen Defekten auch Weichteilveränderungen, zum Beispiel Zahnabdrücke am Zungenrand oder Hyperkeratosen der Wangenschleimhaut [3]. Um die Bruxismus-Aktivität und Auswirkungen auf die Okklusion genauer zu untersuchen, eignen sich spezielle Folien (zum Beispiel Brux Checker) oder elektromyografische Methoden [5].
Wegen der möglichen psychischen Komponente sollten Zahnärzte in der Anamnese möglichst offen formulieren: „Kommt es vor, dass Sie bei Stress mit den Zähnen knirschen?“ „Hört Ihr Partner nachts Knirsch- oder Pressgeräusche?“. Zeigen sich Patienten zugänglich, beantworten sie bei festgestellten Beschwerden auch Fragen zu möglichen Risikofaktoren, einschließlich psychischer oder psychiatrischer Probleme [4].
Schlafbruxismus ist häufig mit Schlafapnoe assoziiert. Besteht ein entsprechender Verdacht, müssen Patienten zur näheren Abklärung an einen schlafmedizinisch ausgebildeten Arzt überwiesen werden.
Therapie
Patienten müssen sich ihres Problems bewusst sein [3, 4]. Mithilfe von Aufzeichnungen werden Frequenz und Dauer erhöhter Muskelaktivität festgehalten. Ein angepasstes Verhalten kann stressreduzierend wirken. Werden andere Ursachen vermutet, kann eine interdisziplinäre Behandlung angezeigt sein, zum Beispiel mit Psychologen oder Neurologen.
Neben physikalischer Behandlung mit Kälte oder Wärme werden harte Okklusionsschienen empfohlen, die für neuromuskuläre Entlastung betroffener Strukturen sorgen sollen. Diese werden nachts oder auch tagsüber getragen, müssen speziell angepasste Okklusalflächen haben und sind im Rahmen eines Behandlungsplans genehmigungspflichtig (BEMA K1). Wichtig ist eine geeignete Gestaltung, da sonst auch Schäden auftreten können [7].
Invasive Maßnahmen wie Einschleifen oder Restaurationen sind laut Literatur therapeutisch nicht zielführend. Sie können aber nach entsprechender Vorbehandlung, zu der auch die Eingliederung von Langzeitprovisorien gehört, im Rahmen von Neuversorgungen angezeigt sein [5].
Erkrankung oder Habit?
Da Knirschen und Pressen auch hilft, Stress abzubauen, wird es bis zu einem gewissen Grad als physiologisches Verhaltensmuster angesehen [1]. Viele Menschen bewältigen ihren Stress durch Kaugummikauen oder sie kauen auf Lippen, Wangen, Fingernägeln oder Schreibgeräten. Auch bei Schlafbruxismus wird diskutiert, ob es sich um eine Erkrankung oder ein Verhalten mit individuell unterschiedlicher Ausprägung handelt [8]. So kommt er bei Kindern sehr viel häufiger vor als bei Erwachsenen, was mit der altersbedingt erhöhten Erlebnisbewältigung im Schlaf zusammenhängen könnte.
Es wird herzhaft gestritten, ob – und wenn ja in welcher Weise – Schienen tatsächlich einen Nutzen bringen. Hier stehen wissenschaftliche Evidenz und Expertenerfahrung in klarem Widerspruch. In deutschen wissenschaftlichen Stellungnahmen werden Okklusionsschienen noch durchgehend empfohlen, obwohl vielleicht die Droge Arzt wichtiger ist. Bis die Forschung – vielleicht – Antworten gibt, gilt der Grundsatz: Wer heilt, hat recht.
Dr. Jan H. Koch, Freising
Hinweis: Beiträge in der Rubrik Kompakt können in keinem Fall die klinische Einschätzung des Lesers ersetzen. Sie sind keine Behandlungsempfehlung, sondern sollen auf der Basis aktueller Literatur – die eigenverantwortliche Entscheidungsfindung unterstützen.
Literatur
[1] Lobbezoo F, Ahlberg J, Glaros AG, Kato T, Koyano K, Lavigne GJ et al. Bruxism defined and graded: an international consensus. J Oral Rehabil 2013;40:2–4.
[2] Gibbs CH, Mahan PE, Mauderli A, Lundeen HC, Walsh EK. Limits of human bite strength. The Journal of prosthetic dentistry 1986;56:226–229.
[3] Lange M. Diagnostik von Wach- und Schlaf-Bruxismus. Der Freie Zahnarzt 2016:50–56.
[4] Goldstein RE, Auclair Clark W. The clinical management of awake bruxism. J Am Dent Assoc 2017;148:387–391.
[5] DGFDT. Bruxismus: Ätiologie, Diagnostik und Therapie. Wissenschaftliche Mitteilung. Dtsch Zahnärztl Zeitschr 2014;69:46–47.
[6] Kato T, Yamaguchi T, Okura K, Abe S, Lavigne GJ. Sleep less and bite more: sleep disorders associated with occlusal loads during sleep. J Prosthodont Res 2013;57:69–81.
[7] Magdaleno F, Ginestal E. Side effects of stabilization occlusal splints: a report of three cases and literature review. Cranio 2010;28:128–135.
[8] Raphael KG, Santiago V, Lobbezoo F. Is bruxism a disorder or a behaviour? Rethinking the international consensus on defining and grading of bruxism. J Oral Rehabil 2016;43:791–798.