Entzündungen um Implantate sind schwierig zu erkennen, 3-D-Implantologie fasziniert, und Frontzahnalveolen mit dünnem Knochen sollten augmentiert werden: Auf dem Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Implantologie (DGI) gab es jede Menge Fakten und Tipps zum Mitnehmen, gewürzt mit spannenden wissenschaftlichen Disputen.
Thema Nummer 1: Periimplantits
Periimplantäre Entzündungen und kein Ende – ehrlicherweise war dies in Düsseldorf das Thema Nummer eins. Der Reigen begann mit einer Veranstaltung von Dentsply Sirona Implants, bei der vier renommierte Parodontologie-Professoren sprachen. Im Hauptprogramm wurde gleich zu Beginn der Zusammenhang mit Parodontitis diskutiert. Bei großer Ähnlichkeit im mikrobiellen Profil greifen periimplantäre Weichgewebsentzündungen demnach viel häufiger und schneller auf den Knochen über als parodontale. DGI-Präsident Prof. Dr. Frank Schwarz (Düsseldorf) erläuterte die zentralen Schlussfolgerungen der europäischen (EFP) und US-amerikanischen (AAP) parodontologischen Fachgesellschaften (die dzw berichtete www.dzw.de/neue-klassifikation-parodontaler-und-periimplantaerer-erkrankungen ):
Patienten mit erhöhtem Risiko für periimplantäre Entzündungen:
• Unbehandelte oder behandelte chronische Parodontitis
• Schlechte Mundhygiene
• Fehlende regelmäßige Nachsorge nach Implantatversorgung
Der Stellenwert pflegefreundlicher Versorgungen und regelmäßiger Recalls liegt auf der Hand. Entzündliche Veränderungen sollten zudem so früh wie möglich erkannt und behandelt werden. Neu ist, dass laut EFP/AAP-Empfehlung die Diagnose Periimplantitis nicht auf der Basis von Messwerten erfolgt. Entscheidend seien vielmehr weichgewebliche Entzündungszeichen in Kombination mit Knochenabbau. Die Therapie müsse chirurgisch sein. Der detaillierte Konsens wird im nächsten Frühjahr publiziert.
Schwierige Diagostik
Zugleich ist jedoch generell die Diagnostik erschwert, einerseits wegen der heterogenen und vom Parodont abweichenden, weniger strukturierten Weichgewebe um Implantate. Andererseits können Implantatkomponenten, zum Beispiel bei Platform Switching, Sondierungen verfälschen. Nach einer Literaturanalyse von PD Dr. Dr. Markus Schlee, niedergelassen in Forchheim, bluten zudem periimplantäre Taschen bei Patienten mit oder ohne die Diagnose „Periimplantitis“ vergleichbar häufig (1).
Auch unterscheide sich der zukünftige Knochenverlust bei behandelten und unbehandelten Patienten nicht signifikant (2). Schlee fragte in Düsseldorf provokant, ob chirurgische Behandlung auf der Basis von Sondierungsblutungen nicht in vielen Fällen Übertherapie sei? Auch Röntgenbilder seien häufig nicht aussagekräftig.
Die Moderatoren der Session, Professor Frank Schwarz und Privatdozent Dr. Jan Derks (Göteborg), verfolgten die Ausführungen von Schlee, der einen Lehrauftrag an der Universität Frankfurt am Main hat, sehr aufmerksam.
Entfernung von Biofilm
Praktisch sehr gut verwertbar war der Vortrag von PD Dr. Philipp Sahrmann, Universität Zürich. Biofilmentfernung mit Küretten zur Vorbeugung und Behandlung von Mukositis bewertet er aufgrund von Studienergebnissen kritisch. Stahl und Titan beschädigten die Oberfläche, bei Karbon und Kunststoff verbleibe abgeriebenes Material, das die mikrobielle Besiedelung fördern könne. Am günstigsten schnitten in den Zürcher Untersuchungen subgingivale Luft-Wasser-Pulver-Geräte (zum Beispiel Airflow) mit Glyzin- oder Erythritol ab (3, 4).
Unterschnitte behindern Reinigung
Auch hier bleiben aber wegen nicht erreichbarer Unterschnitte am Implantat 20 Prozent des Biofilms zurück. Zur Desinfektion eignet sich laut Sahrmann anstelle von Chlorhexidin besser Povidon-Iod-Lösung (5). Die chirurgische Therapie bei Periimplantitis wird in Zürich, wie auch anderswo, durchaus erfolgreich durchgeführt. Sie erfolgt ein bis zwei Wochen nach dem subgingivalen Debridement. Die erreichbare Gewebestraffung erleichtere die Lappenbildung und Naht und sorge für stabilere Wunden.
Praxis-Tipp
• Bei Mukositis scheint sich für das subgingivale Debridement Airflow besser zu eignen als Küretten. Eine chirurgische Periimplantitis-Therapie sollte erst ein bis zwei Wochen nach Debridement erfolgen. (Vgl. dzw ZM kompakt/Praxis-Tipp www.dzw.de/doppelt-haelt-besser-bei-chirurgischer-periimplantitis-therapie)
Unterschiede bei Zirkoniumdioxid-Oberflächen
Zirkoniumdioxidimplantate sind ein weiteres viel diskutiertes Thema, das aber laut Prof. Dr. Kai-Hendrik Bormann (Medizinische Hochschule Hannover, niedergelassen in Hamburg) überbewertet wird. Die Implantate seien in ästhetisch kritischen Bereichen sinnvoll einsetzbar, in der Regel verwendet Bormann aber Titanimplantate, die er biologisch keineswegs für unterlegen hält. Die Osseointegration von Zirkoniumdioxid-Implantaten sei im Tierversuch gut dokumentiert, die Oberflächenmorphologie aber sehr unterschiedlich, neben mikrorauen gebe es relativ glatte Strukturen (6). Viele Produkte am Markt seien wissenschaftlich überhaupt nicht untersucht, was kritisch zu sehen sei.
In vitro konnte weiterhin eine gute Weichgewebsverträglichkeit gezeigt werden. Bormann präsentierte für einteilige Zirkoniumdioxid-Implantate (Straumann) gute Erfolgsraten mit geringem Knochenabbau nach bis zu drei Jahren, die demnächst publiziert werden. Längerfristige klinische Studien existieren bisher kaum (7).
Für und wider 3-D-Planung
Eindeutige Indikationen für die digitale Volumentomografie fehlen laut Prof. Dr. Dr. Stefan Haßfeld bisher. Gegenüber Panoramaschichtaufnahmen (PSA) sei die Technik überlegen, was jedoch in Bezug auf die Bildauflösung moderner PSA-Geräte nicht ganz korrekt ist (vgl. Beitrag ZM kompakt, dzw Nr. 17/2017, Seite 10). Während in den USA und anderen Ländern die juristischen Risiken einer Unterdiagnose betont werden, sei dies in Deutschland weniger der Fall. Entsprechend könne weiterhin nicht von einem diagnostischen Standard gesprochen und der Patientennutzen müsse in jedem Einzelfall abgewogen werden.
Ein faszinierendes Beispiel für den sinnvollen, interdiszplinären Einsatz dreidimensionaler Diagnostik präsentierte die Düsseldorfer Prothetikerin Prof. Dr. Petra Gierthmühlen. Eine 18-jährige Patientin litt unter multiplen Nichtanlagen, Retentionen, kombiniert mit Amelogenesis imperfecta. Mit einem teildigitalen Registriersystem (PlaneFinder, Zirkonzahn) wurde zunächst die Lagebeziehung des Oberkiefers zum Schädel ermittelt. Ein spezieller Gesichtsbogen plus Gesichts-Scan ermöglichte dann, die anatomische Situation ins Labor zu übertragen, wo aufgrund von Dimensionsvorgaben für die fehlenden Zähne ein digitales Mock-up erstellt wurde. Dieses wurde für eine abnehmbare PMMA-Interimsprothese genutzt, die vor der kieferorthopädisch-chirurgisch-implantologischen Rehabilitation eingegliedert werden konnte. Aussehen und Ausstrahlung der Patientin verbesserten sich durch die vorläufige Maßnahme in dramatischer Weise.
Großer Auftritt von Prof. Lindhe
Fachliche und menschliche Eminenz beindruckt auch in Zeiten der Evidenzbasierung. Sie hat ganz sicher ihren eigenen, nicht geringen Wert. So fasste der emeritierte Prof. Jan Lindhe sehr strukturiert den Wissensstand zum knöchernen Umbau nach Extraktionen zusammen. Grundlagen hatte seine Göteborger Arbeitsgruppe in Tierversuchen ermittelt. In weiteren, auch klinischen Studien wurden die Ergebnisse weltweit untermauert.
Der Alveolarkamm wird demnach nach Extraktionen vertikal und horizontal erheblich reduziert, ganz besonders bei dünnem bukkalem Knochen, der in der Oberkieferfront in 85 bis 88 Prozent der Fälle vorhanden ist. Diesem Vorgang lässt sich durch Einbringen von langsam resorbierbarem Knochenersatzmaterial mit Kollagenanteil (Geistlich Bio-Oss Collagen) nachweislich entgegenwirken, nicht aber durch Sofortimplantation.
Praxis-Tipp
• Das Einbringen von geeignetem Knochenersatzmaterial in Extraktionsalveolen ist bei dünnem Knochen zumindest im Frontzahnbereich immer indiziert, auch bei zunächst zahngetragenen Versorgungen.
Vestibuläre Defekte innerhalb der bestehenden Knochenkontur lassen sich nach einer von Prof. Dr. Dr. Henning Schliephake (Göttingen) diskutierten Übersicht mit jedem entsprechend dokumentierten Ersatzmaterial um zirka 80 Prozent auffüllen (8). Bei Defekten außerhalb der Knochenkontur sind GBR-Methoden oder Knochentransplantate erforderlich, eine neuere Methode mit starren Titangittern ist ebenfalls geeignet.
Entscheidend für stabile periimplantäre Verhältnisse sind ausreichend dicke und breite Weichgewebe. In der DGI-Pressekonferenz betonte Prof. Dr. Michael Stimmelmayr (München und Cham), dass die erforderlichen Dimensionen nicht bekannt sind, aber eher doppelt so groß sein sollten wie um Zähne. Autogene könnten ebenso wie xenogene Bindegewebstransplantate nach aktuellen Studien für diesen Zweck geeignet sein. Dagegen spricht eine Studie, die zumindest im Tierversuch einen Volumenverlust von zirka 90 Prozent nach zehn Monaten zeigte (9).
Fazit
Der 31. DGI-Kongress brachte wie gewohnt ein breites Spektrum an Informationen sowohl für die Praxis als auch für wissenschaftlich Interessierte. Sehr hilfreich waren moderierte Diskussionen, in denen zentrale Inhalte zusammengefasst wurden. Leitlinien und Pressemitteilungen der DGI vermitteln zusätzlich einen guten Überblick zu aktuellen Entwicklungen.
DGI: Fortbildung weiter ausgebaut
Auf einer separaten Pressekonferenz präsentierte die DGI ihre vielfältigen Fortbildungsangebote. Curricula und Masterkurs laufen erfolgreich, doch es gibt Reformbedarf: Das Durchschnittsalter sinkt, und viele Absolventen melden sich wegen fehlender praktischer Betätigung oder Nachweise nicht zur Prüfung zum Tätigkeitsschwerpunkt. Daher startet im kommenden Jahr ein Mentorenkonzept, das die aktuell 64 regionalen Qualitätszirkel ergänzt. Ob dadurch der Mangel an klinisch-praktischen Kursinhalten behoben wird, erscheint aber fraglich. Details zu Angeboten unter www.dgi-ev.de.
Aufgelegt hat die DGI auch vier neue Leitlinien. Prof. Dr. Dr. Knut Grötz (Wiesbaden) betonte, dass diese von den Anwendern kommen sollten. Nur so könnten unsachgemäße Statements vermieden werden wie beim Vorbericht des IQWiG zur Parodontologie.
Dr. Jan H. Koch, Freising
Literatur
[2] Jemt T, Sunden Pikner S, Grondahl K. Changes of Marginal Bone Level in Patients with “Progressive Bone Loss” at Branemark System(R) Implants: A Radiographic Follow-Up Study over an Average of 9 Years. Clin Implant Dent Relat Res 2015;17:619-628.
[3] Sahrmann P, Ronay V, Hofer D, Attin T, Jung RE, Schmidlin PR. In vitro cleaning potential of three different implant debridement methods. Clin Oral Implants Res 2015;26:314-319.
[4] Ronay V, Merlini A, Attin T, Schmidlin PR, Sahrmann P. In vitro cleaning potential of three implant debridement methods. Simulation of the non-surgical approach. Clin Oral Implants Res 2016.
[5] Stein JM, Hammacher C, Said-Yekta Michael S. Combination of Ultrasonic Decontamination, Soft Tissue Curettage and Submucosal Air Polishing With Povidone-Iodine Application for Non-Surgical Therapy of Peri-Implantitis: 12 Months Clinical Outcomes. J Periodontol 2017:1-13.
[6] Pieralli S, Kohal RJ, Lopez Hernandez E, Doerken S, Spies BC. Osseointegration of zirconia dental implants in animal investigations: A systematic review and meta-analysis. Dental materials : official publication of the Academy of Dental Materials 2017. Online 2017_11_06. doi 10.1016/j.dental.2017.10.008
[7] Pieralli S, Kohal RJ, Jung RE, Vach K, Spies BC. Clinical Outcomes of Zirconia Dental Implants: A Systematic Review. J Dent Res 2017;96:38-46.
[8] Troeltzsch M, Troeltzsch M, Kauffmann P, Gruber R, Brockmeyer P, Moser N, et al. Clinical efficacy of grafting materials in alveolar ridge augmentation: A systematic review. J Craniomaxillofac Surg 2016.
[9] Schmitt CM, Matta RE, Moest T, Humann J, Gammel L, Neukam FW, et al. Soft tissue volume alterations after connective tissue grafting at teeth: the subepithelial autologouconnective tissue graft versus a porcine collagen matrix - a pre-clinical volumetric analysis. J Clin Periodontol 2016;43:609-617.
Videoempfehlung
Für eine ursachenbezogene Diagnostik und Therapie von Periimplantitis plädierte PD Dr. Dr. Markus Schlee beim Workshop von Dentsply Sirona Implants auf dem DGI-Kongress in Düsseldorf. Bleeding on Probing alleine ist für ihn kein zuverlässiger diagnostischer Faktor.