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Diskussionsrunde: Amalgam-Aus: Na und?

Bei der Neuauflage der „Bonner Runde“ am 20. November 2024 in Bonn standen Amalgam-Alternativen, selbstadhäsive Materialien, Ausnahmefälle, Mehrkostenregelung, Bema 13 und die Kassenfüllung, das Quecksilber-Verbot und das daraus resultierende Amalgam-Aus im Fokus.

Erstes Statement der Bonner Runde: Für 97 Prozent aller Praxen wird sich ab 1. Januar 2025 kaum etwas ändern. Die Punkte, die Dr. Özgür Padrok, Kinderzahnärztin in Köln, via Zoom zugeschaltet Dr. Peter Schütte, Zahnarzt in Frankfurt am Main, Prof. Dr. Michael J. Noack (Köln), Dr. Andreas Utterodt, Senior Scientist Dental Restorations, Global Research and Development bei Kulzer (Hanau) und dzw-Chefredakteur Marc Oliver Pick (Bonn) zu dieser Aussage führte, fasste Moderator Dr. Andreas Bachmann (Hofheim) direkt zusammen:

  • Nur 2 bis 3 Prozent der Füllungen werden noch mit Amalgam gelegt, Praxen haben ihre Amalgam-
Alternative(n) längst gefunden. 
  • Praxen haben immer schon die ­Indikationsgrenzen der Hersteller beachtet, um sicher zwei Jahre ­Gewährleistung zu erreichen. Die Ausdehnung der Kavität, kaubelastete Bereiche oder Höckerersatz bleiben Selektionskriterium.
  • Die meisten Praxen haben bereits in der Vergangenheit Komposite ohne Zuzahlung gelegt. Motto: ­Bevor ich lange rede, habe ich die Füllung schon gelegt. Mit Bulkfill-Kompositen – und vor allem mit solchen, die keine Deckschicht benötigen – geht es auch bei gewissenhafter Verarbeitung schnell. Es ist fraglich, ob die erhöhte Punktzahl für Bema-Positionen 13 a−d (ca. 1 Punkt pro Fläche) für diese Gruppe betriebswirtschaftlich zufriedenstellend ist.
  • Für Praxen, die auch in der Vergangenheit schon ihren Mehraufwand mit einer Mehrkostenregelung kompensiert haben, bleibt diese Option weiterhin bestehen.
  • Es fehlt ein echtes Kassenmaterial, dessen gute Eigenschaften mit eingeschränkter Äshtetik erkauft wird.

Die neue Kassenfüllung

Aber der Reihe nach. Bis 31. Dezember 2024 gilt: Bema 13 a−d: Kassenfüllung unterschiedlicher Ausdehnung/Anzahl Flächen. Bema 13 e−h: Für alle, die keine Amalgam-Füllung bekommen dürfen (Kinder unter 15 Jahre, Schwangere und Patienten mit Amalgam-Unverträglichkeit).

Ab 1. Januar 2025 gibt es nur noch die Bema 13 a−d. Die Punktzahl je Fläche wurde minimal erhöht. Da Amalgam entfällt, werden die Positionen Bema 13 e−h ersatzlos gestrichen.
Die Beschreibung der neuen Bema-Position 13:

  • Im Frontzahnbereich sind adhäsiv befestigte Restaurationen zum Beispiel aus Dentalkompositen Gegenstand der vertragszahnärztlichen Versorgung.
  • Im Seitenzahnbereich sind direkte Restaurationen aus selbstadhäsiven Materialien Gegenstand der vertragszahnärztlichen Versorgung. Im Ausnahmefall (etwa wenn aufgrund der Ausdehnung der Kavität mittels selbstadhäsiver Materialien keine permanente Versorgung möglich ist) sind Bulkfill-Komposite in Verbindung mit (Universal)-Haftvermittlern Gegenstand der vertragszahnärztlichen Versorgung.

Selbstadhäsive Materialien kommen ohne Haftvermittler aus. Dazu zählen Glasionomerzemente, kunststoffmodifizierte Glasionomerzemente, Glas-Hybride und selbstadhäsive Komposit-Hybride. Bulkfill-Komposite unterschiedlicher Konsistenzen können in Schichten von bis zu 4 mm verarbeitet werden. Für die Mehrzahl muss eine zusätzliche 2-mm-Deckschicht aus traditionellem Komposit gelegt werden. Eine Ausnahme bildet Venus Bulk Flow One von Kulzer.

Für Prof. Dr. Michael J. Noack ist der Verlust des Amalgams verkraftbar: „Das Amalgam-Verbot trifft mich genauso hart wie die Abschaffung von Telefonzellen.“ Es stünden genügend Alternativen − mit unterschiedlichen Indikationsbereichen −zur Verfügung. Entscheidender sei der Shift in der Bedeutung des Amalgam-Ausstiegs. „Die Diskussion hat sich von einem wissenschaftlichen zu einem sozialpolitischen Thema verschoben. Deshalb müssen wir beachten, was die Alternativen können und wann wir welche verwenden.“

Aus Sicht von Dr. Özgür Padrok wird das Thema Haltbarkeit zentral sein. „Bulkfill-Komposite sind ideal 
in der Kinderversorgung. Schnelligkeit, Haltbarkeit und Handling überzeugen – aber sie sind eigentlich zu schön. Insbesondere bei der Narkose-Behandlung muss man aus ethischen Gründen das Material mit der längsten Haltbarkeit wählen. 

Wir Kinderzahnärzte sind allerdings durch den Wegfall von 13 e−h die Leidtragenden dieser Veränderungen. Kinder benötigen mehr Kommunikation zur Bewältigung der Angst, und nun werden die Honorare drastisch gekürzt. Ohne MKV geht hier gar nichts.“

Was sind also die Handlungskonsequenzen für die Praxis? Laut Noack muss zwischen verschiedenen Blickwinkeln differenziert werden. „Einer davon ist, was ich als ‚Kassenmaterial‘ verwenden kann und darf. Wie grenze ich die Mehrleistung nach einer MKV bei besonderen Wünschen der Patienten ab? Und am wichtigsten: Was wünschen die Patienten überhaupt − Basisversorgung oder anspruchsvolle Rekonstruktion?“ In einem dzw-Interview hatte Noack Anfang 2024 bereits geschätzt, dass ca. drei Viertel der Komposit-Füllungen ohne MKV und nur etwa ein Viertel mit MKV gelegt werden.

Schnell und gut

Somit brauchen 75 Prozent der Praxen für Fälle, in denen der Patient nicht zur Zuzahlung bereit ist, ein schnelles, gutes Qualitätsprodukt. Etwa ein Bulkfill-Komposit in einer Universalfarbe, das mit einem Universaladhäsiv in 4-mm-Schichten ohne Deckschicht zu verarbeiten ist − mit vereinfachtem Bestell-, Lagerprozess und Dokumentationsaufwand.

Jeder Zahnarzt muss eine zweijährige Gewährleistung bieten. „Es wäre schlechtes Marketing zu versuchen, den Patienten mit der vorausgesagten geringeren Haltbarkeit eines ‚Kassenmaterials‘ für die MKV zu begeistern. Wie viele Patienten würden sich darauf einlassen? Denn wenn es innerhalb der zwei Jahre schief geht, wird der Patient es nicht dem Material anlasten, sondern dem Behandler“, so Noack.

Dieser Meinung war auch Dr. Peter Schütte: „Schon in der Vergangenheit mussten wir lernen, dass viele Versuche der Zahnärzte, auf ein simples Materialkonzept zu wechseln, mit Misserfolgen verbunden war. Frühe Glasionomere, Ariston & Co. haben nicht Wort halten können. Füllungen hielten kaum zwei Jahre, Zähne wurden geschädigt. Das einzige funktionierende Marketing aus Praxissicht muss die Aussage sein: Alles, was ich in meiner Praxis verarbeite, ist hochwertig und haltbar, auch über die gesetzlich vorgeschriebene Gewährleistung hinaus.“ 

Diese Qualitätsleistung gilt für Kassen-und Mehrkostenversorgungen. Auch das sei ein Vorteil der Bulkfill-Komposite. Sie sind in den Fällen, in denen selbstadhäsive Produkte nicht in Frage kommen, eine Lösung – und sie können in Schichttechnik und damit in der Mehrkostenregelung Einsatz finden. Die Abgrenzung zu höherwertigen Leistungen im Rahmen der MKV sieht Noack weniger bei der Materialwahl, sondern an anderer Stelle: „Unterschiede können in verlängerter Lebensdauer, größerem Komfort, minimal-invasiveren Präparationstechniken oder einem Mehr an Ästhetik liegen. Entscheidend ist, in meiner Dienstleistung klar zwischen Kassen- und Mehrkostenleistung zu differenzieren – aber bitte ohne Abstriche an die Haltbarkeit.“

Wer als Zahnarzt mit einem schmalen Kassenhonorar arbeiten müsse, stelle sich neben dem Aspekt Sicherheit/Langlebigkeit einer Füllung zwangsläufig immer die Frage, was das schnellste und gleichzeitig am einfachsten zu verarbeitende Material ist. Noack: „Deshalb glaube ich, dass wir mit Blick auf selbstadhäsive Materialien eine Scheindiskussion führen – auch fachlich. Aus meiner Sicht wäre ein selbstätzendes Adhäsiv, kombiniert mit einem Bulk-Fill-(Flow)-Material in einer einzigen Farbe und ohne Notwendigkeit einer Deckschicht das neue Standardmaterial – ob mit oder ohne MKV.“

Laut KZBV-Statistik ( 2022) wird der Großteil aller Füllungen (74,4 Prozent) ohne Mehrkosten gelegt. Davon 66,7 Prozent mit plastischen Füllungsmaterialien, 2,2 Prozent waren Amalgamfüllungen und 5,5 Prozent entfielen auf Füllungen nach Bema 13 e−h. Etwas mehr als ein Viertel (25,6 Prozent) aller Füllungen wurden mit Mehrkostenvereinbarung gelegt. Von allen Füllungen waren 29 Prozent Frontzahnfüllungen, hinzu kommen Aufbaufüllungen für Zahnersatz. Grundsätzlich, darin waren sich die Teilnehmer einig, wird sich in den meisten Praxen an eingespielten Verhaltensmustern wenig ändern, da auch künftig kein Zwang bestehe, selbstadhäsive Materialien zu verwenden. Ausgemacht wurden drei Typen von Praxen: 

  • Praxistyp 1: legt Füllungen aus GIZ, Glashybrid-Materialien und Komposit auch weiterhin ohne Mehrkosten und freut sich über „einen Punkt pro Fläche mehr“. 
  • Praxistyp 2: wird weiterhin Kompositfüllungen zu eher moderaten Mehrkosten legen. 
  • Praxistyp 3: wird angemessene Mehrkosten vereinbaren.

Angesichts enger Indikationsgrenzen selbstadhäsiver Materialien werden, so die Vermutung, Zahnärzte in den meisten Fällen auf Bulkfill-Komposite zurückgreifen. Es bestehe die Gefahr, dass die Ausnahme der Neuregelung damit zur Regel werden. Denn auch in Zukunft entscheide der Zahnarzt, welches Material er in der GKV-Versorgung verwendet. Grundlage sind seine Erfahrung, die wissenschaftlich belegte Eignung eines Materials (Studien!), die Möglichkeit der Trocken-
legung, die Ausdehnung des Defekts und die ausgewiesenen Indikationsgrenzen. Die Entscheidung für ein Bulkfill-Komposit löst keinen zusätzlichen administrativen Aufwand aus, er muss sich nicht rechtfertigen.

Die Wissenschaft hat übrigens bereits gezeigt, dass Bulkfill-Komposite keinesfalls ein Kompromiss sind – ganz im Gegenteil. Im Vergleich zu Komposit-Füllungen, die in kleinen Portionen gelegt wurden, schnitten Bulkfill-Komposite gleich gut ab, die Verarbeitung war aber schneller! Aus Patientensicht wäre eine Entscheidung für ein Bulkfill-Komposit eher ein Glücksfall, da die Versorgungsqualität steige, so Noack. Vor allem dann, wenn die Verarbeitungsvorschriften eingehalten werden. Ob ohne, mit wenig Zuzahlung oder als MKV bleibe eine unternehmerische Entscheidung. 

Aber Vorsicht Turbo!

Angesichts der bevorstehenden IDS waren sich die Diskutanten einig, dass der Faktor Zeit bei der Kompositverarbeitung sicher thematisiert werden wird, bei Materialanbietern wie bei Geräteanbietern zum Beispiel von 
Polymerisationsleuchten. 

Allerdings seien Versprechen, bei der Komposit-Verarbeitung noch schneller ans Ziel zu kommen, mit Vorsicht zu genießen, so Dr. Andreas Utterodt. „Die Reaktionskinetik eines Komposits kann nicht beliebig beschleunigt werden. Die Rechnung ‚mehr Licht in kürzerer Zeit führt zu schnellerer Aushärtung‘ hat Grenzen und führt durch höheren Spannungsstress eher zu einer nachlassenden Polymerisationsqualität, Stichwort Randspalt.“ Aussagen, die eine Turbo-Härtung versprechen, sollten deshalb besonders kritisch hinterfragt werden, so Utterodt.

drei Herren und eine Dame sitzen an rundem Tisch und disktuieren

„Bonner Runde“ (von links): Prof. Dr. Michael J. Noack, 
Dr. Özgür Padrok, dzw-Chefredakteur Marc Oliver Pick, 
Dr. Andreas Utterodt und (via Zoom) Dr. Peter Schütte diskutierten unter Moderation von Dr. Andreas Bachmann, welche Praxisstrategien nach Bema 13 künftig möglich sind.

Fazit der Bonner Runde

Auch in der Füllungstherapie gibt es kein „one fits all“. Bei der Entscheidung für ein „Bema-13-Material“ kommt es darauf an, dem Anbieter die richtigen Fragen zu stellen: Gibt es ausreichende, durch Studien belegte Langzeiterfahrungen (mindestens über zwei Jahre)? Welche Indikationen sind abgedeckt? Für welche Kavitätengrößen ist das Material geeignet? Zweitrangig ist dagegen der Materialpreis, da die Kosten des Füllungsmaterials nur ca. 9 Prozent der Gesamtkosten ausmachen. 

Die Fakten zu den Materialeigenschaften liegen auf dem Tisch. Die Wissenschaft hat die Grenzen selbstadhäsiver Materialien und die Vorteile adhäsiv zu verarbeitender Komposite – auch der Bulkfill-Komposite – in Leitlinien beschrieben. Hersteller geben deren Indikationsgrenzen in den Gebrauchsinformationen an: ob sie für Klasse I und/oder Klasse II, für kaubelastete Bereiche oder als Höckerersatz geeignet sind. 

Jede Praxis wird ihre Versorgungsstrategie haben und sich die für diese Strategie geeignetsten Materialien in die Schublade legen. Denkanstöße dazu lieferte die Bonner Runde.