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Amalgeddon

Das Ende naht. Es wird keine biblischen Ausmaße haben. Aber es hat Konsequenzen für die Zahnmedizin, die Patientinnen und Patienten. Dentalamalgam wird ab dem 1. Januar 2025 für alle Personengruppen EU-weit verboten – bis auf wenige Ausnahmefälle. Für Kinder unter 15 Jahren und Schwangere galt dieses Verbot bereits seit 2018.

Quecksilberverordnung: EU verhängt Amalgam-Verbot

Nun Schritt für Schritt, wie es dazu kam und zu welchen Folgen es kommen kann.

Bereits am 14. Juli 2023 legte die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine geänderte Quecksilberverordnung vor, die mit dem Stichtag 1. Januar 2025 ein Verbot bereits deutlich vor 2030 in ins Spiel brachte. Sie folgt damit der Intention des von der internationalen Staatengemeinschaft im Jahr 2013 gefassten Minamata-Übereinkommens mit dem die Emissionen und Freisetzungen des Schwermetalls Quecksilber eingedämmt werden sollen. Seit 2017 ist dieses Abkommen völkerrechtlich verbindend.

Umweltgift und Gesundheitsgefährdung

Nun begann das fleißige Lobbyieren in Brüssel und Straßburg – auch von der deutschen zahnärztlichen Standespolitik. Diese hatte sich eindeutig für den Erhalt von Dentalamalgam eingesetzt. So hatte die KZBV in einem Beschluss ihrer 13. Vertreterversammlung im November 2022 die Bundesregierung aufgefordert, „sich auf europäischer Ebene für den dauerhaften Beibehalt von Dentalamalgam als Zahnfüllungsmaterial für die Versorgung vulnerabler Patientengruppen und in klinisch schwierigen Situationen einzusetzen und sich dafür einzusetzen, ein Verbot von Dentalamalgam, sofern o. g. Ausnahmen nicht vorliegen, durch die Europäischen Verordnungsgeber erst deutlich nach 2030 in Kraft treten zu lassen.“ Ganz ähnlich positionierte sich die BZÄK und ergänzte: „Die alternativ zur Verfügung stehenden Werkstoffe können nicht alle Indikationen von Amalgamfüllungen abdecken. Außerdem hätte ein generelles Amalgamverbot auch soziale Folgen: Alle verfügbaren Alternativmaterialien sind erheblich teurer.“

Ganz anders sah und sieht das die IG Umwelt Zahn Medizin, die sich bereits seit einem Jahrzehnt für den Ausstieg aus dem Dentalamalgam einsetzt: „In Deutschland wird Amalgam nur noch für 2,4 Prozent aller Füllungen verwendet und fast die Hälfte der EU-Mitglied-Staaten sind bereits aus der Verwendung ausgestiegen oder haben den Gebrauch auf unter 1 Prozent gesenkt. Die Alternativen haben sich schon lange bewährt, weshalb das Verbot überfällig ist.“

Ausnahmen auf Zeit

Aber viel geändert hat sich an dem Vorschlag der EU-Kommission nicht. Das europäische Parlament und der Europäische Rat haben ihre jeweiligen Verhandlungsposition angenommen. Herausgekommen ist ein Verbot von Dentalamalgam für alle Personen in der EU – wenn auch nicht ganz.

„Eine Ausnahme gilt, wenn die Zahnärztin oder der Zahnarzt die Verwendung von Dentalamalgam aufgrund spezifischer medizinischer Erfordernisse bei der jeweiligen Patientin oder dem jeweiligen Patienten als zwingend notwendig erachtet“, so der Europäische Rat in einer Stellungnahme. Das Verbot der Ausfuhr von Dentalamalgam gilt ebenfalls ab dem 1. Januar 2025. Eine Änderung gibt es lediglich für das Verbot der Herstellung in der EU und der Einfuhr von Dentalamalgam in die EU – das gilt erst ab dem 30. Juni 2026. „Im Rahmen der Änderungen wird eine Ausnahme vorgesehen, nach der die Einfuhr und die Herstellung von Dentalamalgam erlaubt ist, wenn es für Patientinnen und Patienten mit spezifischen medizinischen Erfordernissen verwendet wird“, erläutert der Europäische Rat. Und auch den Ausnahmeregelungen könnte es bald an den Kragen gehen. Die Kommission wird mit der Überprüfung der Ausnahmen bis Ende 2029 beauftragt.

Europapolitisch ist das gewünschte Ziel zum Umweltschutz damit wohl erreicht. Marlene Mortler, MdEP (CSU), Berichterstatterin des Europaparlaments: „Nach einer intensiven Verhandlungswoche konnten wir nun eine Einigung zum Verbot von Zahnamalgam erzielen. Das ist ein wichtiger Schritt hin zu einer quecksilberfreien Zukunft. Ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis – denn damit haben wir sichergestellt, dass quecksilberhaltiges Zahnamalgam nur noch in medizinisch notwendigen Fällen angewandt werden darf.“ Laut Europäischer Kommission werden in der EU jährlich 40 Tonnen Quecksilber für Dentalamalgam verbraucht. Nach Angaben der IG Umwelt Zahn Medizin stecken noch rund 1.000 Tonnen Quecksilber in den Zähnen der europäischen Bevölkerung.

Ruf nach qualifizierter Studie

Wo durch die neue Quecksilberverordnung umweltpolitische Ziele erreicht werden, stellen sich in der Zahnmedizin sehr dringliche, wenn auch nicht ganz neue Fragen.

Wie also Dentalamalgam ersetzen? Viel Zeit bleibt jetzt nicht für Standespolitik und Wissenschaft, sich zu einigen, welches Zahnersatzmaterial oder welche Zahnersatzmaterialien künftig zuzahlungsfrei für GKV-Versicherte eingesetzt werden sollen. Und dann müssen die Kassen diese Empfehlungen ja auch erst einmal übernehmen. Und die Krankenkassen haben klamme Kassen. Da wird sicher nicht jedes Wunschmaterial übernommen. Am Ende könnten die Patientinnen und Patienten die Dummen sein und selbst für Standard-Füllungen zur Kasse gebeten werden, um entweder für adäquate Materialien zuzuzahlen oder um alle paar Jahre ungeeignetes Material auf Kosten der Zahnsubstanz erneuern zu lassen.

Die KZBV hatte im bereits zitierten Beschluss gefordert: Um den Rechtsanspruch der Versicherten auf eine Versorgung mit einem zuzahlungsfreien, wissenschaftlich erprobten Füllungsmaterial erfüllen zu können, ist es erforderlich, möglichst umgehend eine qualifizierte hochwertige Multicenterstudie aufzusetzen, um diese Daten zu erhalten.“ Und hatte die Finanzierung dazu vom Bund gefordert.

Und wie sollen die Ausnahmeregelungen umgesetzt werden? Der Zeitraum, wie lange Dentalamalgam noch hergestellt und importiert werden darf, ist überschaubar. Schon heute ist die Zahl der Anbieter stark zurückgegangen. Spätestens seit der im Mai 2021 in Kraft getretenen neuen Medizinprodukteverordnung sind die Sicherheitsanforderungen für Dentalamalgam noch einmal deutlich gestiegen. Eine EU-Zertifizierung ist damit sehr aufwendig. Die europäischen und meisten amerikanischen Anbieter haben sich vom europäischen Markt zurückgezogen. Aber wie sollen vulnerable Gruppen und Menschen mit spezifischen medizinischen Erfordernissen mit Dentalamalgam versorgt werden, wenn auf dem Dentalmarkt keines mehr vorhanden ist?

Die Entscheidung von Europäischem Parlament und Europäischen Rat ist formal noch nicht in Kraft, wird es aber mit höchster Wahrscheinlichkeit noch vor der Europawahl in diesem Jahr werden. In vielen europäischen Nachbarländern wird schon länger kein Amalgam mehr eingesetzt. Auch hier werden die Patientinnen und Patienten versorgt. Und BZÄK, KZBV und DGZMK werden hoffentlich schon Lösungsszenarien in den Schubladen haben.

Hoffentlich.

Titelbild: Azar – stock.adobe.com