Vergangenen Samstag ist die Europerio9 in Amsterdam nach einem viertägigen Feuerwerk an fachlichem Input zu Ende gegangen. Eine der Botschaften, die man gar nicht ernst genug nehmen kann: Bakterienresistenzen gegen Antibiotika nehmen weltweit schneller zu, als Alternativen entwickelt werden, entwickelt werden können – oder entwickelt werden wollen.
Denn noch verkaufen sich die vorhandenen Wirkstoffe wie „geschnitten Brot“. Und das leider im wahrsten Sinne des Wortes, wie in einer Session zu hören war: Anders als in Deutschland, wo Antibiotika verschreibungspflichtig sind, kann man diese in vielen Ländern der Welt im Supermarkt kaufen und zu Hause nach eigenen Vorstellungen dosieren …
Zu sorglos wird und wurde lange Zeit mit der vermeintlichen „Wunderwaffe“ umgegangen, zu häufig wurden und werden Antibiotika „prophylaktisch“ und nach dem Gießkannenprinzip verordnet und eingenommen, zu oft werden Antibiotika nach zu kurzer Einnahme abgesetzt. Dabei hatte Flemming selbst bereits in den vierziger Jahren davor gewarnt, Antibiotika könnten in Zukunft überall frei zu kaufen sein und damit bestehe die Gefahr, „dass der Unwissende sich selbst unterdosiert und seine Mikroben mit nicht tödlichen Mengen des Medikaments resistent macht.“ In der Folge machen multiresistente Keime Kliniken und ihren Patienten – vor allem in Deutschland – das Leben schwer. Auch in der Parodontologie werden Antibiotika verwendet, und die Liste der verwendeten Medikamente ist lang – momentan aber leider nur noch geringfügig länger als die Liste der bereits als wirkungslos identifizierten Medikamente.
„Am wissenschaftlichen Horizont keimt seit vergangenem Jahr zwar das zarte Pflänzchen Phagentherapie, aber bis zum Aufbau einer nationalen Phagenbibliothek, der Schaffung standardisierter Herstellungsverfahren und der Zulassung als anerkannte Behandlung werden noch Jahre vergehen.“
Schätzungen gehen, so war es in Amsterdam zu hören, von weltweit bis zu 700.000 mit mikrobiellen Resistenzen in Zusammenhang stehenden Todesfällen aus. Bis 2050 wird sich diese schon jetzt viel zu hohe Zahl auf unglaubliche bis zu 10 Millionen Tote jährlich – davon 390.000 in Europa und 4,7 Millionen alleine im asiatischen Raum – weltweit steigern und damit Krebs als Todesursache Nummer 1 überflügeln – und nebenbei auch die Fortschritte in der Krebstherapie ausbremsen. Die Kosten für die Behandlung von Patienten mit multiresistenten Erregern werden überproportional ansteigen, weil die Therapie betroffener Patienten länger dauert, teure, zusätzliche Tests nötig werden und teurere Medikamente eingesetzt werden müssen.
Die Konsequenz heißt nicht, auf die adjuvante Gabe von Antibiotika in der Parodontitis-Behandlung zu verzichten, allerdings sollte die Verordnung künftig noch verantwortungsvoller geschehen – am besten nach sorgfältiger Bestimmung der parodontopathogenen Keime mithilfe mikrobiologischer Tests. Der Patient muss idealerweise deutlicher als bisher über die Wichtigkeit der korrekten Dosierung und der optimalen Dauer der Antibiose aufgeklärt werden.
Dass es durchaus Chancen gibt, durch Aufklärung ein Umdenken einzuleiten, zeigen Kampagnen für Professionals und Patienten in Fachmedien und im Fernsehen in Frankreich, wo es über einen Zeitraum von sieben Jahren gelungen ist, die allzu sorglose Gabe von Antibiotika deutlich zu reduzieren, und damit das Tempo neuer Resistenzen eventuell zu verlangsamen.
Am wissenschaftlichen Horizont keimt seit vergangenem Jahr – in Stuttgart wurde das „Nationale Forum Phagen“ gegründet, dass die Phagen-Forschungsaktivitäten bündeln soll – zwar das zarte Pflänzchen Phagentherapie als Alternative zur Antibiose, aber bis zum Aufbau einer nationalen Phagenbibliothek, der Schaffung standardisierter Herstellungsverfahren und einer Zulassung dieser Option als anerkannte Behandlung werden wohl noch Jahre vergehen. In Amsterdam jedenfalls hörte man allenfalls am Rande mal das Stichwort Phagen. Dabei könnten gerade diese hochspezialisierten Viren von großem Nutzen in der Paro-Therapie von morgen sein.