Wer zum Zahnarzt geht, möchte sich keine Gedanken machen müssen, ob er sich – wegen mangelhaft aufbereiteter Instrumente – mit Hepatitis und Co. infiziert. Doch wie ist es grundsätzlich um die Hygiene in deutschen Zahnarztpraxen bestellt? Und wie kann man alles richtig machen? Das beantwortet Prof. Dr. rer. nat. et rer. medic. habil Lutz Jatzwauk, Krankenhaushygieniker an der Uniklinik Dresden und Vorsitzender des Deutschen Arbeitskreises für Hygiene in der Zahnmedizin, im Interview mit dzw-Redakteurin Evelyn Stolberg.
Wie steht es um die Hygiene in Deutschlands Zahnarztpraxen?
Prof. Lutz Jatzwauk: Ich glaube, die Hygiene in der Zahnmedizin ist in der Gegenwart so intensiv organisiert, wie sie es noch nie war. Oder um es anders zu sagen: Sie ist den anderen medizinischen Fachdisziplinen ebenbürtig. Das war früher mal anders.
Müssen Zahnärzte in naher Zukunft mit gesetzlichen Neuregelungen rechnen?
Jatzwauk: In ganz Deutschland gelten das Infektionsschutzgesetz und die Betreiberverordnung für Medizinprodukte. Ob man den täglich praktizierten Infektionsschutz in der Zahnarztpraxis tatsächlich gesetzlich regeln muss, darf ich allerdings bezweifeln, weil bei jeder Änderung der gesetzlichen Regelung nicht nur medizinische, sondern auch tagespolitische Aspekte eine Rolle spielen. Dabei ist die Einhaltung der Hygiene Bestandteil der zahnärztlichen Sorgfaltspflicht und die Definition des aktuellen Stands der Wissenschaft Aufgabe von (zahn)medizinischen Fachgesellschaften. Aber wahrscheinlich hat es gute Gründe gegeben, von diesem Verfahren abzurücken.
Ist das Thema Hygiene in großen und kleinen Praxen unterschiedlich besetzt?
Jatzwauk: Also, eine kleine Praxis kann sich ebenso gut organisieren wie eine große. Die einzige Herausforderung ist, dass sich die formellen Aufgaben der Hygiene bei der Instrumentenaufbereitung bei kleineren Praxen mit weniger Mitarbeitern auch auf weniger Schultern verteilen.
Wie viele Praxisbegehungen gibt es eigentlich pro Jahr in Deutschland?
Jatzwauk: Einerseits gibt es Kontrollen durch die Gesundheitsämter. Zu deren Aufgaben zählt, zahnärztliche Praxen auf Einhaltung des Infektionsschutzes zu überwachen. Dann gibt es noch Kontrollen auf Grundlage der Betreiberverordnung für Medizinprodukte. Hier schauen die zuständigen Behörden – und das sind meist andere als das Gesundheitsamt – ob Zahnarztpraxen die „Anforderungen der Hygiene bei der Aufbereitung von Medizinprodukten“ nach den Vorgaben der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention am RKI einhalten. Letzteres wird in den meisten Zahnarztpraxen unter Praxisbegehung verstanden. Eine konkrete Anzahl an Begehungen ist mir nicht bekannt, weil es hierfür kein Meldesystem gibt und die Bundesländer unterschiedliche Regelungen haben. Allerdings muss ich ganz klar sagen: Wir betreiben Hygiene, um die behandelten Patienten vor Infektionen zu schützen, und nicht nur, um „Praxisbegehungen“ zu bestehen.
Und wenn bei der Praxisbegehung Mängel festgestellt werden?
Jatzwauk: Dann werden Sie aufgefordert, diese zu beseitigen. Den Praxen wird ein definierter Zeitraum zur Beseitigung der Mängel gesetzt, der dafür meist auch angemessen ist. Passiert danach nichts, kann die Instrumentenaufbereitung untersagt werden, und die Praxis muss die Instrumente bei einem Kollegen oder Dienstleister aufbereiten lassen. Sobald die Mängel abgestellt sind, darf man wieder aufbereiten. Ich erinnere mich noch gut an den sogenannten „Hygieneskandal“ im Krankenhaus München-Bogenhausen. Dort hat das Gesundheitsamt München im Jahr 2010 die komplette Zentralsterilisation geschlossen. An der Uniklinik Mannheim gab es 2014 ähnliche Probleme. Oft sind es ehemalige Mitarbeiter, die solche Vorfälle anzeigen.
Ein Steri ist teuer. Was raten Sie Praxen, die sich keinen anschaffen können oder wollen?
Jatzwauk: Wenn ich ein Fuhrunternehmen betreibe, brauche ich einen Lkw. Ein Zahnarzt, der seine Geräte aufbereiten will, braucht einen Dampfsterilisator und in der Regel einen Thermodesinfektor. Oder er muss eben alles bei einem Dienstleister aufbereiten lassen. Bei uns in der Zentralsterilisation am Uniklinikum Dresden arbeiten derzeit etwa 100 Mitarbeiter, die auch für unsere zahnärztliche Poliklinik und externe Gesundheitseinrichtungen die Instrumentenaufbereitung durchführen. Es gibt mittlerweile aber auch einige kommerzielle Anbieter außerhalb von Gesundheitseinrichtungen, die sich auf die Instrumentenaufbereitung spezialisiert haben. Bei externer Aufbereitung muss die Praxis aber einen höheren Instrumentenbestand einplanen, weil der Rücklauf länger dauert. Die Kosten sind dann transparent, was im Fall der eigenen Aufbereitung durch Helferinnen nicht immer gegeben ist. Der Anteil der Personalkosten an der Instrumentenaufbereitung wird meist unterschätzt. Bei uns im Klinikum sind mindestens 70 Prozent der Aufbereitungskosten für Instrumente den Personalkosten zuzuordnen.
Welchen Unterschied macht es, ob ich Hand- und Winkelstücke manuell oder maschinell aufbereite?
Jatzwauk: Auch manuell kann man bei der Instrumentenaufbereitung sehr gute Ergebnisse erzielen. Das haben wir selbst bei komplizierten Instrumenten wie Hand- und Winkelstücken in der MAZI-Studie (bit.ly/2T0Xqy8) für die Zahnärztekammer Westfalen-Lippe, an der ich auch beteiligt war, bewiesen. Die manuelle Aufbereitung hat den Nachteil, dass sie – bezogen auf ein einzelnes Instrument – länger dauert und Personal bindet. Wir empfehlen im DAHZ-Leitfaden außerdem, manuell aufbereitete Hand- und Winkelstücke generell, auch wenn sie nicht invasiv eingesetzt werden, abschließend im Dampfsterilisator zu desinfizieren. Letztlich ist aber die Entscheidung „manuell versus maschinell“ tatsächlich eine reine Zeitfrage. Gibt es genügend Mitarbeiter, die entsprechende Leerzeiten haben?
Die Zahnärzte treibt das Thema um, wer in der Praxis für die Hygiene zuständig sein soll. Wäre ein Steri-Angestellter die Lösung?
Jatzwauk: Der Zahnarzt hat einen Behandlungsvertrag mit seinem Patienten. Deshalb ist auch er verantwortlich für dessen Infektionsschutz und muss alles in Bezug auf die Hygiene organisieren. Er muss – und kann – natürlich nicht alles selbst machen, aber er muss sich darum kümmern und dafür sorgen, dass seine Mitarbeiter das entsprechende Wissen besitzen, die Verfahren organisieren und validieren. Wenn ein Patient infolge eines nachweisbaren Hygienemangels beim Zahnarzt infiziert wird, haftet niemand anderes als der Zahnarzt. Und da Verfahren der Instrumentenaufbereitung, anders als beispielsweise eine unterlassene Händedesinfektion, durch die geforderte Dokumentation mindestens fünf Jahre nachvollziehbar sind, ist das Risiko hier besonders hoch. Bei den sogenannten „Hygieneskandalen“ in den Zentralsterilisationen von Krankenhäusern der letzten Jahre wurden die Geschäftsführer für organisatorische Mängel verantwortlich gemacht, nicht die einzelnen Mitarbeiter.
Uns wird von Zahnarztpraxen zurückgemeldet, dass die Dokumentation ein schwieriges Thema ist. Wo liegen die Herausforderungen?
Jatzwauk: Nach der heutigen Rechtsauffassung gilt: Was nicht dokumentiert ist, wurde nicht gemacht. Deshalb dokumentieren die meisten Sterilisatoren und RDG (Thermodesinfektoren) mittlerweile alles automatisch. Wenn ein Gerät das nicht leistet, würde ich es nicht kaufen. Wenn Sie etwas manuell aufbereiten, müssen Sie das per Hand dokumentieren. Für die Validierung von manuellen Verfahren gibt es Normen. Das funktioniert also auch, kostet aber Zeit.
Vor kurzem schrieb eine ZFA in den sozialen Medien, ihr Chef wasche jeden Abend die Einmalhandschuhe im Waschbecken, um sie nochmal zu benutzen. Wie würden Sie reagieren, wenn Sie so etwas mitbekommen?
Jatzwauk: Bei diesem speziellen Fall würde ich sagen, der Zahnarzt sollte Mathe-Nachhilfe nehmen. Wir kaufen Handschuhe mittlerweile für unter 1 Cent pro Stück ein. Es ist völlig unökonomisch, Schutzhandschuhe zu reinigen, zu desinfizieren, anschließend auf Dichtigkeit zu prüfen und zu sterilisieren. Früher war das üblich, und die Infektionsraten waren nicht zwingend höher. Ich glaube, viel wichtiger ist es, nicht nur die Handschuhe zu tragen, sondern sich auch die Hände häufig zu desinfizieren.
Das soll nicht heißen, dass man alles direkt entsorgen soll. Ich höre immer wieder, eine Alternative zur Aufbereitung seien Wegwerfinstrumente. Alle, die darauf bauen, sollten sich informieren, wie und unter welchen Bedingungen diese hergestellt werden. Es gibt da einen schon mehrere Jahre alten Beitrag der BBC mit dem Titel, „Surgery‘s Dirty Secrets“. Demnach werden rund 70 Prozent aller chirurgischen Instrumente – weltweit – in Pakistan hergestellt. Geschätzt 10.000 Kinder, von denen einige unter acht Jahre alt sind, müssen da mitarbeiten, damit wir hier eine sterile Schere aus Edelstahl für 1 Euro kaufen und nach einer Nutzung wegwerfen können. Solange der Stahl aus Deutschland geliefert wird, darf das Instrument mit „made in Germany“ gekennzeichnet werden.
Wenn ich höre: „Ich kaufe für ein paar Euro Hand- und Winkelstücke“, muss mir doch klar sein, dass da was nicht stimmen kann. Qualitativ hochwertige und nachhaltig produzierte Instrumente haben ihren Preis. Dann kann das Instrument durchaus auch aus Pakistan kommen. Schauen Sie sich den Beitrag bitte mal an. Wenn Sie ihn gesehen haben, werden Sie über Ihre Instrumente und nachhaltiges Handeln anders denken.
Lutz Jatzwauk, Jahrgang 1955, Prof. Dr. rer. nat. et rer. medic. habil, absolvierte ein Studium der Mikrobiologie in Greifswald. Von 1984 bis 1986 folgte ein Postgraduales Studium an der Akademie für ärztliche Fortbildung Berlin, 1986 die Promotion und 2006 die Habilitation und „Venia Legendi“ mit dem Lehrgebiet Hygiene. Seit 2013 ist er APL-Professor an der Medizinischen Fakultät der Technischen Universität Dresden. Bereits seit 1998 ist er Leiter des Zentralbereichs Krankenhaushygiene und Umweltschutz am Universitätsklinikum Carl-Gustav-Carus an der Technischen Universität Dresden. Er ist Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene, Mitglied der Deutschen Arzneibuch-Kommission, Vorsitzender des Deutschen Arbeitskreises für Hygiene in der Zahnmedizin (DAHZ) und Vorsitzender des Arbeitskreises Dentalinstrumente der Bundeszahnärztekammer (AKDI).