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Notstand bei der Mundhygiene von Pflegebedürftigen

Ein Pfleger hilft einer Seniorin.

Wenn sich Angehörige nicht kümmern, fällt die notwendige Zahnpflege oft unter den Tisch.

Expertinnen für Seniorenzahnmedizin der Zahnärztekammer Niedersachsen (ZKN) fordern mehr Engagement für die Zahnpflege alter Menschen.

Pflegende Angehörige, Heimleitungen und Fachkräfte unterschätzen oft die hohen Gesundheitsrisiken, die durch schlecht gepflegte Zähne und verunreinigten Zahnersatz drohen. Chronischer Zeitmangel und mangelnde Kenntnisse führen zu einem weit verbreiteten Notstand bei der Mundhygiene von Pflegebedürftigen. Die Zahnärztekammer Niedersachsen (ZKN) fordert von allen an der Pflege Beteiligten mehr Engagement für die Seniorenzahngesundheit.

Keine Standards für die Zahnpflege

„Es ist absurd: Immer mehr ältere Menschen kommen in der Regel mit gut gepflegten Zähnen und hochmodernem Zahnersatz in die Pflege. Und dann kümmert sich niemand mehr regelmäßig um die Mundhygiene“, kritisierte die Oldenburger Zahnärztin Silke Lange während der Altenpflegemesse Anfang März auf dem hannoverschen Messegelände. Die Vorstandsreferentin für Seniorenzahnmedizin der ZKN beklagt, dass dieser Bereich weder in der Ausbildung der Pflegeberufe noch im Zahnmedizinstudium eine adäquate Rolle spielt. Ob die Heime mit niedergelassenen Zahnärzten kooperieren, bei der Organisation von Räumen und Terminen für die regelmäßige Prophylaxe und Behandlung helfen oder nur im Notfall anrufen, hänge von der jeweiligen Leitung ab. „Wenn sich Angehörige nicht kümmern, fällt die notwendige Zahnpflege oft unter den Tisch“, sagt Lange.

Kooperationsverträge sind eher selten

In Niedersachsen bestehen derzeit 186 Kooperationsverträge von Zahnmedizinern mit Alten- und Pflegeheimen. Diese werden durch die Kassenzahnärztliche Vereinigung geregelt. Es gibt aber fast 1.800 Pflegeheime und gut 1.260 Pflegedienste. Nach der aktuellen Pflegestatistik des Landes erhielten im Dezember 2015 knapp 318.000 Menschen Leistungen nach dem Pflegeversicherungsgesetz SGB XI. Knapp 80.000 wurden ambulant versorgt. In stationären Pflegeheimen waren 103.305 Frauen und Männer untergebracht. Etwa 69 Prozent der Pflegebedürftigen wurden zu Hause betreut.

Schlimme Verhältnisse

„Wir sehen oft schlimme Verhältnisse im Mund älterer Menschen, die bei der Zahnpflege auf Unterstützung angewiesen sind“, berichtet Lange. Wie in den Jahren zuvor informierte sie am Messestand „quasi rund um die Uhr“ Auszubildende und Fachschüler, Lehrende und Fachkräfte aus der Medizin und den Pflegeberufen, Patienten und pflegende Angehörige. Bei der Beratung stehen notwendige Standards, Techniken und Hilfsmittel für die Mundhygiene im Alter und von behinderten Menschen im Vordergrund.

Hohe Gesundheitsrisiken

„Massive bakterielle Beläge auf Zähnen und Zahnersatz, Entzündungen am Zahnfleisch und in den Mundschleimhäuten, Wucherungen, fortgeschrittene Karies oder Druckgeschwüre durch unsaubere, schlechtsitzende Prothesen sind keine Seltenheit bei hilfsbedürftigen Menschen“, bestätigt die Vorsitzende des ZKN-Ausschusses für Alterszahnmedizin, die Göttinger Zahnärztin Gisela Gode-Troch. Die Multimedikation überlagere bei Pflegebedürftigen oft das Schmerzempfinden, so dass sich Gebissschäden unbemerkt entwickeln könnten. Die Alterszahnmedizin-Expertinnen warnen vor der lebensgefährdenden Schwächung des Immunsystems, des Herzens, der Lunge und des Kreislaufs durch mangelnde Mundhygiene.

Aufklärung, Schulung und Praxis

Nach ihren Erfahrungen sind der strukturelle Zeitdruck in der Pflege und die nur drei Minuten täglich, die für die Zahnersatzpflege und Mundhygiene zur Verfügung stehen, aber auch die Furcht, etwas falsch zu machen, entscheidend dafür, dass die Zahnpflege im ambulanten und stationären Bereich vernachlässigt wird. „Ohne spezielle Schulungen, ausreichend Praxis und Zeit funktioniert die Altenzahnpflege nicht“, betont Lange. Pflegende müssten etwa wissen, wie die Vielfalt an Prothesen, Brücken, Implantaten und Kronen gehandhabt, gereinigt und nach einem oft notwendigen Entfernen aus dem Mund auch wieder richtig eingesetzt werden. Besondere Kenntnisse erfordere auch der Umgang mit bettlägerigen und dementen Patienten. „Langsam Vertrauen aufbauen, tägliche Rituale einüben – dann klappt die unterstützende Zahnpflege auch bei sehr ängstlichen und desorientierten Patienten“, sagt Gode-Troch.

Lange hofft, dass sich die Situation mit Inkrafttreten von Paragraf 22a SGB V im Juli 2018 zum Positiven ändern wird: Dann haben alle Patienten – auch die ambulant und stationär Gepflegten – das Recht auf zusätzliche zahnärztliche Vorsorge. Dazu gehören die Bestandsaufnahme des Mundraums und ein Behandlungsplan.