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DMS 6 KfO: Mehr Evidenz wagen

Es sind Überschriften wie diese, die nicht nur Standespolitikern nächtlichen Angstschweiß bescheren: „Gutachten: Nutzen von Zahnspangen unklar“ so das Ergebnis einer Studie des IGES Instituts im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums.

Sechste Deutsche Mundgesundheitsstudie: Zahn- und Kieferfehlstellungen bei Kindern

Oder: „Kieferorthopäden außer Kontrolle. Etwa jedes zweite Kind in Deutschland geht regelmäßig zum Kieferorthopäden. Wie sinnvoll die Therapien sind, ist oft fraglich. Der Bundesrechnungshof fordert eine umfassende Überprüfung.“

Frage nach der Evidenzbasierung der Kieferorthopädie

Mit schöner Regelmäßigkeit taucht der Generalverdacht, kieferorthopädische Behandlung habe gar keinen gesundheitlichen Nutzen, auf und wird medienwirksam verbreitet. Der Nutzen sei nicht evidenzbasiert, es fehle an Forschung dazu. Die Debatte kommt nicht von ungefähr. Geht es hier auch um eine Menge Geld. Allein die GKV gibt im Jahr rund 1,1 Milliarden Euro für kieferorthopädische Behandlungen aus. Dazu kommen die oft nicht unbeträchtlichen Selbstzahlerleistungen.

Doch wie kommt mehr Evidenz in diese Debatte? Das Bundesgesundheitsministerium hätte zwar die Möglichkeit, Versorgungsforschung im Bereich der Kieferorthopädie anzustoßen, zeigt daran aber bislang kein sichtbares Interesse. Die Studie „Zahn- und Kieferfehlstellungen bei Kindern“ ist vor diesem Hintergrund auch nicht zufällig das erste, vorgezogene Modul der Sechsten Deutschen Mundgesundheitsstudie (DMS 6). Am 23. September präsentierten dann auch vier mit sich zufriedene Männer ihr Ergebnis: Dr. Wolfgang Eßer, Vorsitzender des Vorstands der KZBV, Konstantin von Laffert, Vizepräsident der BZÄK, Prof. Dr. Dr. Peter Proff, Präsident der DGKFO und Prof. Dr. Rainer Jordan, Wissenschaftlicher Direktor des IDZ. Nach dem Motto, „Angriff ist die beste Verteidigung“, beauftragte die zahnärztliche Standespolitik beim eigenen zahnärztlichen Institut eine Forschungsarbeit. Die Studie hatte folgende Ziele: „Es war das primäre Ziel dieser Studie, die Verbreitung von Zahn- und Kieferfehlstellungen bei 8- und 9-jährigen Kindern in Deutschland zu erfassen. Es war das sekundäre Ziel dieser Studie, daraus den kieferorthopädischen Versorgungsbedarf abzuleiten. Daneben wurden weitere analytisch-epidemiologische Fragestellungen aufgeworfen: Gibt es einen Zusammenhang zwischen Zahn- und Kieferfehlstellungen und der mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität? Gibt es einen Zusammenhang zwischen Zahn- und Kieferfehlstellungen und Karies?“

Ein Bild, das vier selbstzufrieden grinsende Männer mit Scglips und Anzug in einem repräsentativen Innenraum mit Fensterblick nach außen zeigt. Sie halten jeweils eine DIN A4 Broschüre in den Händen mit einem Kindermund mit Zahnspange als Titelmotiv

Präsentation der Studie: Prof. Dr. Dr. Peter Proff, Präsident der DGKFO; Dr. Wolfgang Eßer, Vorsitzender des Vorstands der KZBV; Konstantin von Laffert, Vizepräsident der BZÄK; Prof. Dr. Rainer Jordan, Wissenschaftlicher Direktor des IDZ (v.l.n.r.)

Standespolitischer Hintergrund

Eßer nannte in seinem Statement ausdrücklich das IGES-Gutachten und die Kritik des Bundesrechnungshofes und die damit verbundene „Kritik an der Wissenschaftlichkeit der Kieferorthopädie als zahnmedizinische Fachdisziplin“ als Auslöser, das neue „KFO-Modul“ in die Sechste Deutschen Mundgesundheitsstudie zu integrieren. Wie geschickt dieser Schachzug war, wird die Zukunft zeigen. Politisch könnte die Studie so als interessensgetrieben ausgelegt werden, wenn Standespolitiker, die auch die kieferorthopädisch tätigen Zahnärztinnen und Zahnärzte vertreten, zu aktiven Playern in der Versorgungsforschung werden.

Auch die Fragestellung nach einem „Zusammenhang zwischen Zahn- und Kieferfehlstellungen und Karies“ könnte als Versuch interpretiert werden, unbedingt einen offenkundigen medizinischen Nutzen kieferorthopädischer Behandlung herstellen zu wollen. „Kariesfreie Kinder hatten seltener einen kieferorthopädischen Behandlungsbedarf. Im Hinblick auf kariöse Zähne haben wir festgestellt, dass Kinder mit kieferorthopädischem Behandlungsbedarf systematisch mehr bleibende Zähne mit einer Karies aufwiesen [7,1 Prozent vs. 44,7 Prozent]“, konstatiert Jordan. Ein naheliegender kausaler Zusammenhang, kann sich jeder doch sofort vorstellen, dass ein Zahnfehlstand die Mundhygiene erschweren kann. Doch ist in der Wissenschaft ein naheliegender kausaler Zusammenhang ein sicheres Indiz dafür, dass weiterer Forschungsbedarf besteht. Nicht mehr.

Weiterer Forschungsbedarf

Auch von Lafferts Ausweitung der Kampfzone auf sein Steckenpferd Aligner verwässert die Debatte mehr als er ihr nutzt. Führt sie doch von der eigentlichen Argumentationslinie ab.

Die Sinnhaftigkeit der Studie steht außer Frage. Aber sie ist eben erst ein Anfang. Das räumt Proff in seinem Statement indirekt ein: „Die DGKFO wird sich auch in den kommenden Jahren mit Nachdruck dafür einsetzen, die Qualitätsstandards und die Evidenzlage der kieferorthopädischen Versorgung in Deutschland weiter zum Wohl der Patientinnen und Patienten zu verbessern.“

Dass IDZ, KZBV, DGKFO und BZÄK nach der Studie zu dem gemeinsamen Ergebnis kommen, es gäbe „keine Unter- oder Überversorgung“ bei Zahn- und Kieferfehlstellungen bei Kindern, ist standespolitisch verständlich, springt in der gesundheitspolitischen Großwetterlage doch wohl eher zu kurz. Wo händeringend und hektisch ein GKV-Finanzstabilierungsgesetz Einsparpotenziale sucht, macht eine Studie noch keinen kieferorthopädischen Mai. Dranbleiben.