Zwölfjährige zu 78 Prozent kariesfrei
Wie steht es um die Mundgesundheit in Deutschland? Wie entwickeln sich Karies und Parodontalerkrankungen? Zeigen sich Erfolge bisheriger Therapiekonzepte? Seit 1989 erforscht das Institut der Deutschen Zahnärzte (IDZ) die Mundgesundheit der Bevölkerung. Am 17. März hat das IDZ gemeinsam mit der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) und der Bundeszahnärztekammer (BZÄK) in Berlin die sechste Deutsche Mundgesundheitsstudie (DMS 6) vorgestellt.
Die Ergebnisse belegten vor allem den Erfolg der präventionsorientierten Zahnmedizin. So zeige sich, dass Deutschland in der Bekämpfung von Karies hervorragend aufgestellt ist: In der Gruppe der Zwölfjährigen sind 78 Prozent der Untersuchten kariesfrei. Bei den jüngeren Erwachsenen (35- bis 44-Jährige) hat sich die Karieserfahrung seit 1989 halbiert; die Anzahl fehlender Zähne ist gleichzeitig signifikant zurückgegangen. Bis zur Mitte ihres Lebens sind die Menschen in Deutschland heute praktisch noch voll bezahnt.

Spürbare Senkung der Krankheitskosten
Dieses erfreuliche Ergebnis sei maßgeblich darauf zurückzuführen, dass die breite Bevölkerung das Angebot frühzeitiger und umfangreicher Präventionsleistungen in Anspruch nimmt. Hierzu zählen sowohl die Früherkennungsuntersuchungen für Kleinkinder als auch die Individualprophylaxe und regelmäßige Kontrolltermine. Dies habe nicht nur zu einer verbesserten Mundgesundheit geführt, sondern auch zu einer spürbaren Senkung der Krankheitskosten insbesondere für Kariesbehandlungen und auch beim Zahnersatz, was dem gesamten Gesundheitssystem zugutekomme.
Auch in der Gruppe der jüngeren Senioren (der 65- bis 74-Jährigen) zeige sich, dass immer weniger Menschen vollständig zahnlos sind und im Durchschnitt mehr Zähne erhalten bleiben. Der Anstieg der Anzahl funktionstüchtiger Zähne unterstreiche zudem die Wirksamkeit des Paradigmenwechsels hin zu einer zahnerhaltenden Therapie. Auch wenn die Primärprävention (Vermeidung von Karies) in dieser Altersgruppe noch nicht vollständig greifen konnte, zeige sich eine bemerkenswerte Stärke in der Sekundärprävention, beim Zahnerhalt.
Risiko Parodontalerkrankungen
Eine erhebliche Krankheitslast belegen die Studiendaten aber weiterhin bei den Parodontalerkrankungen: Danach haben rund 14 Millionen Menschen in Deutschland eine schwere Parodontalerkankung.
Dies sei umso verheerender, als dass bisherige wissenschaftliche Hinweise, dass eine Parodontitis auch Einfluss auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen nimmt und eine unbehandelte oder nicht frühzeitig behandelte Parodontitis zu einer Gefährdung der Mund- und Allgemeingesundheit führt, nunmehr durch die Ergebnisse der DMS 6 bestätigt werden.
Die Studie liefert zudem neue Erkenntnisse über den Zusammenhang von Mundgesundheit und Allgemeinerkrankungen: Demnach sind Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen häufiger zahnlos und haben durchschnittlich etwa zwei Zähne weniger als gesunde Menschen. Dies veranschauliche die große Wichtigkeit sektorenübergreifender Versorgungsmodelle.
Neben aktuellen Zahlen zur Kariessituation in Deutschland und der ungebrochen hohen Krankheitslast durch parodontale Erkrankungen liefert die DMS-6-Studie auch neue Daten zur Molaren-Inzisiven Hypomineralisation (MIH), den sogenannten Kreidezähnen.

Martin Hendges (von links), Vorsitzender des Vorstands der KZBV, Prof. Dr. Christoph Benz, Präsident der BZÄK, und Prof. Dr. Rainer Jordan, wissenschaftlicher Direktor des IDZ, bei der Vorstellung der Ergebnisse der sechsten Deutschen Mundgesundheitsstudie am 17. März in Berlin.
Frühzeitige MIH-Diagnostik
Bei MIH handelt es sich um eine Erkrankung, die nicht durch individuelles Zahnputz- oder Mundhygieneverhalten beeinflusst werden kann, sondern auf eine entwicklungsbedingte Störungzurückgeht, die bereits vor der Geburt bis zum ersten halben Lebensjahr entsteht. Da die Ursachen für die Entstehung der Erkrankung noch nicht abschließend geklärt sind, sei eine frühzeitige Diagnostik des Krankheitsbildes umso wichtiger. Dies unterstreiche einmal mehr die Bedeutung von Früherkennungsuntersuchungen, um Eltern aufklären und für das Kind entsprechende Therapiemaßnahmen ergreifen zu können (dazu in Kürze mehr).
„Einmaliger Erfolg in der primären Prävention“
„Seit 35 Jahren untersuchen wir am Institut der Deutschen Zahnärzte regelmäßig die Zahngesundheit der Bevölkerung in Deutschland. Die jetzt vorliegende sechste Deutsche Mundgesundheitsstudie ist sowohl methodisch als auch in den Ergebnissen besonders: Seit der Einführung der Gruppen- und Individualprophylaxe Ende der 1990er-Jahre konnten wir die Karieslast bei Kindern um 90 Prozent senken. Ein fast einmaliger Erfolg in der primären Prävention chronischer Erkrankungen“, erläutert Prof. Dr. A. Rainer Jordan, wissenschaftlicher Direktor des IDZ.
„Jetzt können wir sicher sagen, dass der eingeschlagene Paradigmenwechsel von einer kurativen Krankenversorgung hin zu einer präventionsorientierten Gesundheitsversorgung nachhaltig greift: Zahnverluste kommen bis ins Erwachsenenalter praktisch nicht mehr vor und der Anteil zahnloser jüngerer Seniorinnen und Senioren ist um 80 Prozent zurückgegangen. Heute sind nur noch fünf Prozent der 65– bis 74-Jährigen zahnlos. Prävention wirkt!“, betont Jordan.
Herber Rückschlag im Kampf gegen Parodontitis
„Die Ergebnisse der DMS 6 zeigen, dass unsere konsequent auf Prävention ausgerichteten Versorgungskonzepte, die aus dem eigenen Berufsstand heraus entwickelt worden sind, wirken“, betont Martin Hendges, Vorsitzender des Vorstands der KZBV. „Dies führt nicht nur zu einer verbesserten Mundgesundheit von Millionen von Menschen in Deutschland, sondern hat auch den Anteil an den Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung für vertragszahnärztliche Leistungen in den letzten Jahren um mehr als 30 Prozent gesenkt.“
Die Ergebnisse belegten aber auch, dass Parodontitis immer noch eine Volkskrankheit und ein wesentlicher Einflussfaktor bei der Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist. „2021 hat die KZBV mit der präventionsorientierten Parodontitisbehandlungsstrecke eine Therapie in die Versorgung gebracht, die auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen basiert und von allen Seiten als Meilenstein begrüßt wurde“, erklärt Hendges. Dieser wichtige Ansatz sei jedoch durch politische Entscheidungen in Form des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes mit seiner strikten Budgetierung schwer beschädigt worden.
„Dem Kampf gegen Parodontitis wurde so ein herber Rückschlag versetzt, der eine nachhaltige Behandlung nun deutlich erschwert. Die neue Bundesregierung ist daher gefordert, die Leistungen für die präventionsorientierte Parodontitistherapie endlich als gesetzliche Früherkennungs- und Vorsorgeleistungen zu verankern und für die Versorgung die erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen. Um die bislang erreichten Erfolge im Hinblick auf die Mundgesundheit zu erhalten und weiter auszubauen, benötigen die Praxen endlich wieder angemessene Rahmenbedingungen für ihre Arbeit“, fordert Hendges.
Datenqualität weiter verbessert
„Die großartigen Ergebnisse der DMS 6 sind ein Grund zur Freude für Patientinnen, Patienten und die Zahnärzteschaft. Sie zeigen, wie nachhaltig die Kombination aus Gruppen- und Individualprophylaxe für eine gute Mundgesundheit sorgt“, ergänzt Prof. Dr. Christoph Benz, Präsident der BZÄK. In allen Altersgruppen konnten die guten Daten gehalten oder sogar verbessert werden.
„Gerade bei Seniorinnen und Senioren bedeuten weniger fehlende beziehungsweise mehr funktionstüchtige Zähne eine gesteigerte Lebensqualität. Die Studie zeigt zudem erstmals, dass Herz-Kreislauf-Erkrankungen nicht nur mit Parodontitis, sondern auch mit Zahnlosigkeit zusammenhängen – ein Auftrag für weitere interdisziplinäre Forschung in diesem Feld“, erklärt Benz.
Nicht alle werden erreicht
Die DMS 6 zeige allerdings auch, dass von der zahnmedizinischen Prävention noch nicht alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen profitierten – Menschen in sozial schwierigen Lebenslagen werden von den Maßnahmen weniger gut erreicht. „Dies stellt eine Aufgabe für die Zahnärzteschaft dar, diese Gruppe noch mehr in den Fokus zu nehmen“, fordert Benz.