Während für die Verwendung des Dentalwerkstoffs Amalgam klare Einschränkungen formuliert wurden, existieren für die Entfernung bestehender Amalgamrestaurationen lediglich unscharf formulierte Empfehlungen, mit deren Hilfe das Risiko einer gesundheitlichen Belastung der Patienten durch eine Entfernung vermieden werden soll [1].
Bei der zahnärztlichen Behandlung von Frauen „sollen während der Schwangerschaft und Stillzeit (Amalgam-Füllungen; der Verf.) nicht entfernt werden, sofern keine dringende zahnärztliche Indikation dazu besteht. Bei dringlicher zahnmedizinischer Indikation können jedoch einzelne Füllungen mit schonender Technik entfernt werden.“ [1]
Keine Definition einer „schonenden Technik“
Unerwähnt bleiben in dieser Empfehlung des Robert-Koch-Instituts sowohl die Definition einer „dringlichen zahnärztlichen Indikation“, als auch die Definition einer „schonenden Technik“.
Als geeignete Maßnahmen, die eine hiermit verbundene Quecksilberexposition verringern helfen sollen, sind eine ausreichende Wasser-Spray-Kühlung und die Verwendung geeigneter Instrumente empfohlen, die eine Entfernung möglichst großer Fragmente unter geringem Anpressdruck ermöglichen. Weil bis dato zum Umgang mit dem hochgiftigen Quecksilber über die Definition der maximalen Arbeitsplatzkonzentration (MAK) hinaus nur vereinzelte Untersuchungen im zahnmedizinischen Kontext durchgeführt wurden, die Rückschlüsse zur Ermittlung von Quecksilberdampfkonzentrationen ermöglichen [2], gleichzeitig aber die Nachfrage nach Entfernung der Amalgamfüllungen in den zahnärztlichen Praxen sehr hoch ist, besteht nach Ansicht des Autors hier dringender Forschungsbedarf. Die momentan existierende Datenlage basiert teilweise auf Untersuchungen der 1960er-Jahre [3]. Quecksilberdämpfe, insbesondere, wegen der leichten Inhalationsmöglichkeit, die beim Herausbohren von Amalgamfüllungen entstehenden, sind aus toxikologischer Sicht als besonders schädlich einzustufen [12].
Belastungen quantifizieren und valide Daten liefern
Künftige, mit moderner Messmethodik durchzuführende Untersuchungen sollten diese entstehenden Belastungen quantifizieren und valide Daten liefern, ob beispielsweise die definierte MAK für Quecksilberdampf bei Versagen einer ausreichenden Wasser- Spray-Kühlung noch eingehalten wird [4, 5]. Da ein Versagen einer suffizienten Wasser-Spray-Kühlung während der Behandlung nicht ausgeschlossen werden kann, ist es wichtig, wie hoch die Werte für Quecksilberdampf ansteigen und ob im Falle eines Versagens der Wasser-Spray-Kühlung bei gegebenenfalls ansteigenden Konzentrationen gesundheitliche Gefahren verbunden sind [6, 7].
Weitere, die Höhe der Quecksilberdampfkonzentration modulierende Faktoren können sein: Bohrerform und Bohrerschärfe. Ohne dass diese Einflussfaktoren durch nähere Untersuchungen beleuchtet werden, können keine validen Aussagen zum Für und Wider einer Entfernung von bestehenden Amalgamrestaurationen, insbesondere im Hinblick auf einzelne Patientenkohorten, gemacht werden.
Bisherige Empfehlungen bleiben unscharf
Da die Angaben über den Grad der Toxizität einer Substanz fast immer von der Dosis, also der zugeführten respektive resorbierten Menge einer Substanz pro Körpergewicht, abhängen, sind ohne die bei einer Amalgamentfernung entstehenden Werte einer wahrscheinlichen Dosis auch keine seriösen kohortenbezüglichen Empfehlungen abzugeben. So stellt eine Quecksilberdampfkonzentration von 50 µg/m3 Raumluft für einen 70-jährigen Patienten ein anderes Belastungsprofil dar als für eine 23-jährige werdende Mutter im ersten Trimenon. Bisherige Empfehlungen, die trotz dieser mangelhaften Untersuchungslage publiziert wurden, bleiben daher im Kern ihrer Aussage unscharf und vage und besitzen nur einen reduzierten wissenschaftlichen Aussagewert.
Die Empfehlung, zur Entfernung geeignete Instrumente – sprich: Bohrer – zu verwenden, beinhal-tet den Ruf nach genauerer Definition. Ab wann ist ein Instrument geeignet, bei welcher Drehzahl sollte gearbeitet werden, um eine unerwünscht hohe Quecksilberdampfkonzentration zu minimieren? Welche Instrumente lassen bei welchem Anpressdruck bei welcher Drehzahl unerwünschte Reibungswärme entstehen? Wie viele Amalgamrestaurationen lassen sich mit welchem Instrument entfernen, bevor dieses stumpf wird und sowohl Anpressdruck und Reibung zu hoch werden. Wird durch einen erhöhten Anpressdruck die Quecksilberdampfkonzentration in die Höhe getrieben?
Amalgam als Krebsrisiko
Da vermehrt chronisch Erkrankte und auch viele Tumorpatienten eine Amalgamentfernung wünschen [9], ist aus zahnärztlicher Sicht die kompetente Beratung mithilfe einer Risiko-Nutzen-Abwägung, die sich auf aktuelle wissenschaftlich ermittelte Daten berufen können muss, erforderlich. Nicht grundlos veröffentlicht das Deutsche Krebsforschungszentrum (dkfz, Heidelberg) gezielt Informationen zum Thema („Amalgam als Krebsrisiko“) auf seiner Homepage [10].
Die hohe pulmonale Resorptionsquote inhalierter Quecksilberdämpfe (bis zu 80 Prozent) und ihre teratogenen Eigenschaften sollten ein kritisches Nachdenken über eine Amalgamentfernung etwa in der Frühschwangerschaft ermöglichen [13].
Fazit
Aufgrund der großen Häufigkeit noch vorhandener Amalgamfüllungen und der damit verbundenen hohen Durchführungsquote von Amalgamentfernungen in den zahnärztlichen Praxen, insbesondere bei chronisch Erkrankten und Tumorpatienten, wäre bei der bekanntermaßen hohen Toxizität von Quecksilberdampf eine genaue Quantifizierung der möglichen entstehenden Belastungsbreite sehr vorteilhaft und wichtig. Die momentan zu diesem Thema vorhandenen Untersuchungen berufen sich zum Großteil auf Daten, die teilweise vor 50 Jahren ermittelt worden sind und daher mit Daten, die auf heutiger Messmethodik beruhen, nicht zu vergleichen sein dürften.
Sollten bei nicht optimalen Bedingungen Quecksilberdampfkonzentrationen ermittelt werden, die ein Überschreiten der MAK oder der von der WHO empfohlenen Werte [11] nachweisen, so müssten sich hieraus in der Folge klare arbeitsbezogene und notfalls auch behandlungsrelevante und auch behandlungseinschränkende Konsequenzen ergeben.
Dr. Hans-Werner Bertelsen, Bremen
Literatur
[1] Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts: Amalgam: Stellungnahme aus umweltmedizinischer Sicht Mitteilung der Kommission „Methoden und Qualitätssicherung in der Umweltmedizin“ Bundesgesundheitsbl – Gesundheitsforsch – Gesundheitsschutz 2007, 50:1304–1307DOI10.1007/s00103-007-0338-z Online publiziert: 5. Oktober 2007, edoc.rki.de/bitstream/handle/176904/287/2569lt94O74HM.pdf?sequence=1&isAllowed=y
[2] Prof. Gottfried Schmalz (Regensburg) in einer persönlichen Mitteilung v. 26. Oktober 2019
[3] Berufsgenossenschaft: BGW Forschung: Quecksilber in Zahnarztpraxen
web.archive.org/web/20140228223054, www.bgwonline.de/SharedDocs/Downloads/DE/Medientypen/bgw_forschung/GP4_Quecksilber_in_Zahnarztpraxen_Download.pdf?__blob=publicationFile
[4] Mercury-Tracker 3000 IP, mercury-instrumentsusa.com/Brochures/MI%20Tracker%203000-IP%20Brochure.pdf
[5] Anseros Quecksilber-Analysator, www.anseros.de/de/produkte/quecksilbermessung/
[6] D. Arenholt-Bindslev, G. Schmalz: Quecksilber-Exposition beim Entfernen von Amalgam-
Füllungen; Dtsch Zahnärztl Z 50, 870-874, 1995
[7] LV Powell, GH Johnson, M. Yashar, DJ Bales: Mercury vapor release during insertion and removal of dental amalgam. Oper Dent. 1994 Mar-Apr;19(2):70-4.
[8] dkfz: Amalgam als Krebsrisiko: www.krebsinformationsdienst.de/vorbeugung/risiken/amalgam.php
[9] Prof. Jutta Hübner (Onkologie, Jena) in einer persönlichen Mitteilung v. 21.1.2020
[10] dkfz (Heidelberg): Amalgam als Krebsrisiko: www.krebsinformationsdienst.de/vorbeugung/risiken/amalgam.php
[11] Umweltlexikon-Katalyse-Institut, Köln, umweltlexikon.katalyse.de/?p=6460
[12] Prof. Thomas Eschenhagen (Toxikologie, Hamburg) in einer persönlichen Mitteilung v. 23. Januar 2020
[13] H.-W. Bertelsen: Three Trends In “Alternative Dentistry” Part 3: Amalgam Removal and Avoidance; Blog: Edzard Ernst, 2018 edzardernst.com/2018/09/three-trends-in-alternative-dentistry-part-3-amalgam-removal-andavoidance/