Dr. Michael Weiss aus Essen fordert eine Stärkung der Seniorenzahnmedizin. Obwohl die Seniorenzahnmedizin durch die demografische Entwicklung in den nächsten Jahren explodieren wird, steigt im Kollegenkreis die Zurückhaltung in diesem Bereich. Auf Fachtagungen, bei Vorträgen und in Fachzeitschriften schildern uns Experten ein heterogenes, mit Schwierigkeiten gespicktes, finanziell unattraktives Arbeitsfeld [7]. Der fade Beigeschmack wird hin und wieder in einem Schlusssatz gemildert durch Äußerungen, es sei eine sozial wertvolle Tätigkeit, ethisch, charmant, es mache Freude und es gebe viel Dankbarkeit (1). Sogar der universitäre Bereich ist nicht frei von Vorurteilen [6].
Dieses gebetsmühlenartige Kleinreden muss beendet werden. Schauen wir den Tatsachen doch einmal ins Auge: Sinkende Abrechnungszahlen bei konservierenden Leistungen deuten auf ein Zurückgehen der reparativen Zahnheilkunde hin [3]. Demographisch bedingt steigt im Gegenzug der Bedarf an kompetenter, professioneller Alterszahnmedizin. Denkt man an die hohe Teilnehmerzahl bei den Einführungsveranstaltungen der Kooperationsverträge, dann sollte es eigentlich ausreichend motivierte Kollegen geben [5].
Die Alterszahnheilkunde sollte ähnlich professionell wie andere Schwerpunkte im Praxisalltag verankert werden. Für eine Prophylaxe-Abteilung wird man ein bis zwei Behandlungszimmer mit entsprechend weitergebildetem Personal vorhalten, bei Behandlungsschwerpunkten wie der Endodontie oder Implantologie müssen entsprechende Voraussetzungen und Auslastungen geschaffen werden, um wirtschaftlich arbeiten zu können. Ähnlich, wenn nicht noch anspruchsvoller, ist die Alterszahnheilkunde: Hier müssen wir nicht nur praxisinterne Abläufe installieren, sondern auch mit dem komplexen, externen Konstrukt der Pflegeeinrichtung synchronisieren.
Wichtige Voraussetzungen für das erfolgreiche Betreiben eines Praxisschwerpunktes Alterszahnheilkunde sind:
- Empathie und Verständnis für die ältere Generation
- Behandler und ZFA müssen im Umgang mit Senioren geschult sein.
- Behandler sollte im Umgang mit Pflegeeinrichtungen besonders geschult sein.
- Der Behandler ist professioneller Dienstleister einer Pflegeeinrichtung und muss sich in deren Strukturen und Abläufe eindenken
- Bereitschaft, das Pflegepersonal zu schulen
- Mehrbehandlerpraxis
- mehrere zu betreuende Heime
- mindestens zwei spezialisierte ZFA
- professionelles Outfit
- Organisationsmehraufwand
- regelmäßige Erfolgskontrollen
Die eigene Praxis muss mit Rollstuhl und Rollator erreichbar sein [4]. Die Geräteausrüstung kann zunächst eine untergeordnete Rolle spielen und im Laufe der Zeit nach Bedarf erweitert werden.
Dem schwächer werdenden Image der Alterszahnheilkunde muss entschieden begegnet werden. Demografisch ist die Alterszahnheilkunde das Fachgebiet in der Zahnheilkunde mit dem größten zu erwartenden Wachstum unter den zahnmedizinischen Fachgebieten. Wir sollten uns aus der Ecke der belächelten, selbstlosen Eigenbrötler (wo jeder seinen individuellen Weg geht) befreien und selbstbewusst mit einem anerkannten, professionellen Konzept stark auftreten, um weitere Kollegen für diesen zukunftweisenden Schwerpunkt zu entflammen. Es wird uns den Rücken in der Öffentlichkeit, bei Patienten, gesetzlichen Vertretern und den Pflegeeinrichtungen stärken.
Positive Aspekte der Alterszahnheilkunde:
- weg vom „Handwerker“ hin zum ZahnARZT
- weg vom „Schmalspurmediziner“ hin zum ZahnARZT
- positive Kontakte zu anderen Gesundheitsdienstleistern
- hohes Ansehen bei Angehörigen und Pflegepersonal
- zukunftssicherer Schwerpunkt
- Auslastungsregulativ der Praxis
- erweiterter Patienten-Pool
- die Praxis wird „sichtbar“
- kostenfreie Praxis-PR
- finanziell interessant
Damit die Welle der Euphorie nicht zu groß wird, sei noch auf die Schwierigkeiten hingewiesen, mit denen gerechnet werden muss. Bei guter Vorbereitung und professionellem Handeln stellen sie aber ein lösbares Problem dar.
- Starke Schwankungen in der Heim-Kooperation
- Schwierige Umsetzung umfassender Oralprophylaxe
- Fehlendes orales Problembewusstsein
- Auseinandersetzungen mit Angehörigen
- Fehlende Unterstützung von Kammer und KZV
- Fehlende sachkundige Alterszahnkunde-Gutachter
- Wirtschaftlichkeitsprüfungen
- Keine Unterstützung der Dental-Industrie
Die ersten beiden Punkte sind herausfordernd, da wir meist auf uns selbst angewiesen sind. Mit Unterstützung der Fachkräfte einer Pflegeeinrichtung können wir kaum rechnen. Pflegeeinrichtungen leiden unter chronischem Fachkräftemangel. Über die Hälfte des Personals hat einen internationalen Hintergrund und ist nur stundenweise beschäftigt [2]. Bremsend wirkt zusätzlich das oft fehlende orale Problembewusstsein. Für die Unterstützung und Vorbereitung der halbjährlichen zahnärztlichen Vorsorgeuntersuchungen oder den zahnärztlichen Behandlungen in den Wohnbereichen erhalten die Pflegeeinrichtungen keine Aufwandsentschädigung.
Eine zufriedenstellende Betreuung stellt sich ein, wenn es gelingt, alle Maßnahmen vor Ort, so selbstständig wie möglich zu erbringen, also ohne unnötige Belastung der knappen Heimpersonal-Ressourcen. So avanciert das Zahnarzt-Team zu einem gern gesehenen Gast.
Veranstaltungshinweis:
64. Zahnärztetag in Gütersloh
Zahnärztekammer Westfalen-Lippe
Spezialseminar: Donnerstag 15. März 2018, 14 bis 17 Uhr
Präventive und therapeutische Betreuung von Pflegebedürftigen
Dr. Michael Weiss und Team, Essen
Kongress-Vortrag: Samstag 17. März 2018, 15.45 bis 16.30 Uhr
Präventiv-therapeutische Versorgungskonzepte für den pflegebedürftigen Patienten
Dr. Michael Weiss, Essen